Staatsfeinde mit Tattoos

Nicht Guerillas, sondern Jugendbanden gelten den Regierungen Zentralamerikas als größte Gefahr. Die Sicherheitskräfte werden hochgerüstet. von knut henkel

Marabunta heißt eine besonders aggressive Ameisenart im Amazonas-Regenwald, die in Scharen in andere Regionen einfällt und eine Schneise der Verwüstung hinterlässt. Und aus Marabunta wurde im Laufe der Zeit das kurze, einprägsame Mara«, erklärt Raúl Piñeda. »Maras« werden die Jugendbanden in El Salvador genannt, die einige Stadtteile der Hauptstadt San Salvador beherrschen. Colonia 22 de Abril ist eines dieser Stadtviertel, die von Taxifahrern nach 18 Uhr nicht mehr angefahren werden.

Es gibt viele solcher Viertel in San Salvador, und die Jugendbanden werden für nahezu alle Verbrechen verantwortlich gemacht. »Mit der Angst vor den Maras werden gute Geschäfte gemacht«, sagt Piñeda. Mindestens drei Abgeordnete, die Sicherheitsfirmen betreiben, kennt der 41jährige Kinderarzt. Wenn die Auftragslage nicht stimmt, platzieren sie hier ein Interview, da ein paar Fotos, und schon wird wieder nach der »harten Hand«, nach dem Militär gerufen.

Die Soldaten gehen seit Jahren rigoros gegen die Straßenbanden vor. Nächtliche Razzien und willkürliche Verhaftungen sind nichts Ungewöhnliches, denn die Gesetze wurden im Jahr 2003 unter der Regierung des damaligen Präsidenten Francisco Flores geändert. Er folgte dabei dem Beispiel seines Kollegen Ricardo Maduro in Honduras. Der ließ in der Hauptstadt Tegucigalpa Straßenkontrollen auf dem Weg in die Armenviertel durchführen. Alle männlichen Mitfahrer mussten die Hemden lüften, und jene, auf deren Oberkörper bunte Bilder und Zahlencodes zu sehen waren, wurden abgeführt.

Bei den nächtlichen Razzien in Tegucigalpa, San Salvador oder Guatemala City sind gepanzerte Fahrzeuge keine Seltenheit. Schwer bewaffnet sind die Armee- und Polizeieinheiten unterwegs, die ganze Viertel systematisch durchsuchen und alle entfernt Verdächtigen erkennungsdienstlich erfassen. Schon eine Tätowierung reicht als Beweis für die Bandenzugehörigkeit, worauf Haftstrafen von zwei bis fünf Jahren stehen.

»Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren wurden strafrechtlich wie Erwachsende behandelt. Das missachtet alle von El Salvador unterzeichneten internationalen Konventionen«, sagt Piñeda. Er arbeitet für die NGO Plan International, die mehrere Hilfsprojekte für Kinder in El Salvador unterhält. Die internationalen Proteste, unter anderem von Amnesty international und Unicef, haben die Regierung in San Salvador zur Kurskorrektor veranlasst. »Jetzt dürfen Kinder unter 18 Jahren nicht mehr ins Gefängnis. Reintegrationszentren, wo die Kinder und Jugendlichen ein Programm durchlaufen, sind entstanden. Doch diese Zentren sind genauso überfüllt wie die Gefängnisse und die Zustände alles andere als ideal«, erklärt Piñeda.

Er hält wenig von der Politik der mano dura, der harten Hand, gegenüber den Banden. Doch in Zentralamerika wird grenzübergreifend gegen die zwei großen Banden, die Mara 18 und die Mara 13, auch »Mara Salvatrucha« genannt, vorgegangen. Anfang Februar 2005 beschlossen die Präsidenten von Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua die Schaffung einer regionalen Militäreingreiftruppe unter der Führung der USA gegen »Banden und Terrorismus«.

»Maras sind unsere al-Qaida«, meint Ricardo Maduro, der ehemalige Präsident von Honduras. Für 60 Prozent der Morde werden die Jugendbanden pauschal verantwortlich gemacht. Immer wieder werden ihnen Straftaten in die Schuhe geschoben, darunter auch so manche Exekution von Bandenmitgliedern durch Polizeieinheiten. »Soziale Säuberung« wird das intern genannt, und nicht nur in Honduras soll es Killerkommandos geben, die gezielt Gangmitglieder umbringen.

Mehr als 70 000 Mitglieder sollen die beiden Banden in Mittelamerika haben. Drogenverkauf und Erpressung sind die wichtigsten Einnahmequellen der Gangs, die ihren Ursprung in den USA haben. Der Bürgerkrieg in Mittelamerika spielte in der Entstehungsgeschichte eine wesentliche Rolle, denn er ist einer der zentralen Gründe für die Flucht gen Norden in die USA. Um der politischen Gewalt in den Herkunftsländern, ob El Salvador, Nicaragua oder Guatemala, und der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit zu entfliehen, siedelten sich viele Hispanics in Los Angeles, Miami oder New York an. So entstand die Mara 18 in der 18. Straße im Stadtteil Rampart von Los Angeles und wurde bald darauf zu einer von Mexikanern beherrschten Gang. Als Gegengewicht entstand die Mara Salvatrucha, eine salvadorianische Bande, die sich die flinke und angeblich listige Forelle (trucha) als Wappentier erkor.

Mit dem Ende der Bürgerkriege in Mittelamerika setzte in den neunziger Jahren die Rückwanderung ein. 1992, im Jahr der Aufstände in Los Angeles, begannen die US-Behörden, straffällig gewordene Jugendliche aus Mittelamerika abzuschieben. Diese hatten neue Einflüsse in die USA mitgebracht, von den Kleidungscodes über den Crackhandel und -konsum bis zum brutalen Einsatz von Schuss- und Schlagwaffen. Auch die Sprache in den Gangs mutierte zum »Spanglish«.

Straffe Organisation ist ein Kennzeichen der Gangs, die zum Netzwerk der beiden großen Banden gehören. Die dominieren fast überall, mit Ausnahme von Nicaragua und dem vergleichsweise friedlichen Costa Rica, die Bandenszene. »Um Nachschub müssen sich die Maras keine Gedanken machen, denn angesichts von hoher Jugendarbeitslosigkeit, fehlender Schul- und Ausbildungsangebote und weit verbreiteter Perspektivlosigkeit sind die Banden attraktiv«, sagt Piñeda. »Viele Familien sind durch den Bürgerkrieg, aber auch durch Auswanderung kaputt gegangen. Viele Kinder sind allein geblieben, weil die Eltern oder ein Elternteil ausgewandert sind. Sie sind faktisch oft sich selbst überlassen und finden in den Maras einen Familienersatz.« An derartigen Hintergründen zeigen die Regierenden allerdings kaum Interesse. Und Geld für Bildungsprogramme ist besonders knapp in Honduras und El Salvador. Dort wird wesentlich weniger Geld aus dem öffentlichen Haushalt in die Ausbildung der Jugend investiert als in Costa Rica oder Nicaragua.

Die Maras haben sich angesichts der staatlichen Verfolgung in den letzten Jahren immer besser organisiert. Für die Armee und die Polizei ist das ein zusätzlicher Grund, sie aufs Korn zu nehmen. Unterstützt werden sie von US-Ermittlern, eine Filiale des dem FBI unterstehenden National Gang Intelligence Center in San Salvador sammelt fleißig Informationen für die moderne Aufstandsbekämpfung. Längst gelten die Gangs nicht nur als Bedrohung für Mittelamerika, sondern auch für die Ost- und Westküste der USA. Die dortigen gated communities, die abgeschotteten Wohnviertel, müssen schließlich genauso geschützt werden wie jene in San Salvador oder Guatemala City.