Zelte abbrechen!

Zelten ist eine Vollzeitbeschäftigung, die mit Urlaub nichts zu tun hat. von regina stötzel

Sie erwachen, weil irgendetwas auf Ihrem Oberschenkel krabbelt. Die Sonne knallt auf das provisorische Dach über Ihnen. Sie liegen in einer Lache von Schweiß und fühlen sich so zerschlagen, als hätten Sie drei Nächte durchgezecht. Das erste, was Sie an diesem Tag erblicken, sind zwei Spinnen, die sich auf Ihrem Bein ein Wettrennen liefern. Sie schrecken hoch und wissen, dass an Weiterschlafen nicht zu denken ist. In dem hüfthohen Nylontreibhaus ist es viel zu heiß, und draußen droht die Natur.

Zelten kann, selbst bei Sonnenschein, immer nur eine Notlösung sein. Etwaige Unannehmlichkeiten bei Regen und Sturm stellen allenfalls nebensächliche Argumente gegen diese Form der Unterkunft dar. Sollten Sie eine der berühmten Unwettergeschichten erleben, bei denen ein kleiner Bach durch Ihre Behausung fließt, Stoffwände gegen Ihren Kopf gepustet oder das Zelt mitsamt seines erbärmlichen Inventars fortgeweht wird, können Sie von Glück sprechen. Denn dann haben Sie wenigstens etwas zu erzählen.

Von einer gewöhnlichen Campingfahrt gibt es rein gar nichts zu berichten. Über schlecht gekleidete Menschen oder Toilettenhäuschen, deren Neonbeleuchtung nachts den Mottenbestand der gesamten Umgebung anlockt, möchte niemand etwas hören. Auch schmutzige Fingernägel und unebene Liegeflächen, Heringe, über die man gestolpert ist, Dornen, an denen man sich die Beine zerkratzt hat, und Ameisen, die durchs Essen gelaufen sind, bieten mitnichten den Stoff für eine spannende Geschichte.

Während der Urlauber den Sonnenuntergang am Meer genießt, muss der Camper das letzte Tageslicht ausnutzen, um eine Tütensuppe zu kochen. Sobald es dunkel ist, endet der Tag, denn eine Kneipe, die den Namen verdient, ist nicht in Reichweite. Nach drei Seiten, die man gelesen hat, macht die Taschenlampe schlapp. Gesprächsstoff fehlt, weil man nichts erlebt hat, und das Liebesleben leidet mangels Abgeschiedenheit, Lärmschutz und eines Mindestmaßes an Körperpflege.

Vormittags schafft man es gerade so, sich einen Kaffee zu kochen. Wasser muss herbeigeholt werden. Der Topf und die Tassen sind noch dreckig, das Feuerzeug ist verschwunden. Die Diskussion darüber, wer den Verlust zu verantworten und ein neues zu besorgen hat, trübt die Stimmung. Schließlich flackert die Gasflamme ins Leere, weil ein leichter Wind weht, so dass es ewig dauert, bis das Wasser kocht. Der Zucker ist aufgebraucht, die Milch schmeckt schon leicht säuerlich. Im Schnitt fällt jede dritte Tasse Kaffee bereits um, bevor man den ersten Schluck genommen hat. Dann geht alles wieder von vorn los.

Im Laufe des Tages müssen Strippen nachgezogen, Zeltstangen repariert, Gänge zum Waschhäuschen oder zum armselig bestückten »Supermarkt« unternommen werden. Die stetige Suche nach Gegenständen, die sich irgendwo in Kisten oder Rucksäcken, unter Isomatten oder in Beuteln im Vorzelt befinden müssen, dauert Stunden und strapaziert die Nerven. Der landläufigen Annahme, Campen erhöhe die Mobilität, sei an dieser Stelle entschieden widersprochen. Zwar mag es bisweilen von Vorteil sein, das Zelt an einem beliebigen Ort in der Pampa aufstellen zu können. Nur kommt man von dort so schnell nicht wieder weg. Acht Stunden Erwerbsarbeit sind ein Klacks gegen das Auspacken, Aufbauen, Aufpumpen und die Inbetriebnahme einer vollständigen Campingausrüstung. Alles wieder einzupacken und zu verschnüren, nimmt ebenfalls einen ganzen Tag in Anspruch.

Der Mensch hat mit viel Mühe den aufrechten Gang erlernt – beim Zelten ist die typische Fortbewegung das Kriechen. Der Mensch besorgte sich ein festes Dach über dem Kopf – beim Zelten liefert er sich den Elementen beinahe schutzlos aus. Der Mensch zog sich Kleider an, um Erfrierungen vorzubeugen – auf Campingplätzen trägt er allenfalls eine Regenjacke oder einen Wollpullover zur kurzen Hose. Der Mensch erfand Betten, Sofas, Sessel, Stühle, Hollywoodschaukeln und andere nützliche Dinge, um während der Schlaf- und Erholungsstunden, im Liegen und im Sitzen, einen gewissen Abstand von dem Ungeziefer zu halten, das auf dem Boden kreucht und fleucht. Beim Zelten richtet er sich mit Kreaturen ein, die sechs oder acht Beine haben. Denn mecklenburg-vorpommersche Spinnen, schottische Mücken und die Ameisen aller Länder finden jedes Löchlein im Innenzelt oder stürzen sich in Horden hinein, während der Camper mit den Reißverschlüssen kämpft. Die Biester fallen über jedes Fleckchen nackte Haut und alles Essbare her.

Eines Tages, wenn Sie unter der Erde liegen, wird die Natur Sie zu sich holen. Lassen Sie es nicht schon vorher ohne Not so weit kommen!