Heute bleibt die Kantine kalt

Flüchtlingsstreik in Blankenburg

»Wir haben Angst. Wir haben aber auch Mut bekommen«, sagt Hakan Cerhan*, ein junger Mann aus der Türkei. Über zwei Jahre schon lebt er in dem sieben Kilometer vor Oldenburg gelegenen Flüchtlingslager Blankenburg. Dort verweigern nach einer Abstimmung seit dem 4. Oktober rund 200 Migranten aus verschiedenen Herkunftsländern das schlechte Kan­tinenessen und boykottieren auch die 35 lager­internen Ein-Euro-Jobs. Die Putz-, Garten- und Renovierungsarbeiten stellen die einzige lega­le Möglichkeit dar, das monatliche Taschengeld von 38 Euro ein wenig aufzustocken.

Auf Demonstrationen in Oldenburg forderten die Streikenden Geld für Lebensmittel statt des ungenießbaren Kantinenessens, freie Arztwahl – statt von der Lagerärztin gegen alles Parace­tamol verabreicht zu bekommen – und ein Ende der Abschiebungen. Auch sprachen sich die Flüchtlinge für ein Ende der Isolation sowie das Recht auf Gesundheit und Bildung aus.

Die Lebensbedingungen in dem ehemaligen Dominikanerkloster sind so schlecht, dass antirassistische Gruppen und Flüchtlingsorganisationen seit Jahren seine Schließung fordern. »Offiziell leben hier 560 Flüchtlinge, doch wer kann, taucht unter, lebt woanders, denn spätestens seit 2004 ist ganz klar, dass aus den Steinbaracken in Blankenburg niemand mehr dezentral untergebracht wird«, sagt Ronald Sperling vom Antirassismus-Plenum Oldenburg.

Blankenburg ist neben Braunschweig und Bramsche das dritte große, unmittelbar vom Land betriebene Lager in Niedersachsen. Viele Flüchtlinge müssen nach ihrer Erstaufnahme gleich dort bleiben, und das oft jahrelang. Erst vor sechs Monaten gab es einen kurzen, aber heftigen Protest von etwa 20 Bewohnern. Doch so weit reichend und lang anhaltend wie diesmal war noch keine Aktion in Blankenburg. Die Mehrheit der Bewohner beteiligt sich, der Durchhaltewillen ist stark, trotz großer Verunsicherung. Denn Lagerleitung und Mitarbeiter versuchen dem Antirassismus-Plenum zufolge, die Flüchtlinge einzuschüchtern, und drohen mit Strafen. Gleichzeitig lud der Lagerleiter Christian Lüttgau die Presse ein. »Plötzlich gab es frittierte Calamares auf Porzellantellern«, berichtete Cerhan über die zweite Streikwoche.

Inzwischen ist die Busverbindung zum Lager unterbrochen, mehrere Flüchtlinge wurden zu so genannten Botschaftsanhörungen vorgeladen, damit man sie bald abschieben kann. Drei Streikende wurden vorige Woche in die Lager Bramsche oder Braunschweig gebracht, weitere sollen ebenfalls zwangsverlegt werden, sind aber derzeit nicht auffindbar. »Um sechs Uhr morgens kam die Polizei mit Hunden und hat meinen Kollegen wie einen Verbrecher festgenommen, sein Handy weggenommen und ihn in ein 250 Kilometer entferntes Lager transportiert«, sagt Cerhan. Dennoch: »Der Streik ist eine gute Erfahrung, denn wir sehen, dass wir ohne Kampf nichts erreichen können. Und die Unterstützung mit Geldspenden und Essen ist toll.«

Die Landesregierung lässt sich das Lager in Blankenburg etwas kosten: Statt einer jähr­lichen Pauschale von 4 270 Euro pro Person, die bei einer dezentralen Unterbringung an die entsprechenden Kommunen zu zahlen wäre, kostete die zentrale Unterbringung im Jahr 2005 pro Person 9 662 Euro. Doch dies erscheine nur auf den ersten Blick teurer, erklär­te Niedersachsens Innenminister Uwe Schü­ne­mann. Denn die zentrale Unterbringung sowie die Amtshilfe der örtlichen Ausländerbehörden führe zu einer erhöhten Anzahl von Ausreisen.

anke schwarzer

* Name von der Redaktion geändert

Aktuelle Informationen unter: www.nolager.de