Drauf gepfiffen?

Während die Schiedsrichter in den Profiligen bei rassistischen Pöbeleien einschreiten, sind ihre Kollegen in den Amateurklassen häufig eher Teil des Problems als Teil der Lösung. von alex feuerherdt

Der Auftakt war Matthias Anklam vorbehalten: Als beim DFB-Pokalspiel zwischen Hansa Rostock II und dem FC Schalke 04 Anfang September der Schalker Spieler Gerald Asamoah von den Tribünen mit Affenlauten bedacht wurde, veranlasste der Schiedsrichter aus Hamburg in der Halbzeitpause eine Lautsprecherdurchsage. Durch diesen Vorfall alarmiert, schickte Volker Roth, Vorsitzender des DFB-Schiedsrichterausschusses, den Referees der Bundes- und Regionalligen einen Dreistufenplan, wie ihn Fifa und Uefa bereits praktizieren. Dieser sieht vor, dass bei »rassistischen oder fremdenfeindlichen Äußerungen des Publikums« zunächst der Stadionsprecher einzuschalten ist. Im Wiederholungsfall soll das Spiel für fünf Minuten unterbrochen werden; der Unparteiische verlässt in dieser Zeit mit den Mannschaften den Platz. Hilft auch das nichts, wird die Partie abgebrochen. »Ich erwarte eine genaue Beachtung dieser Bestimmungen, damit solche Auswüchse in unseren Stadien nicht Fuß fassen können, sondern im Keim erstickt werden«, gab Roth den Schiedsrichtern mit auf den Weg.

Einem von ihnen wurde bereits eine Woche später die zweifelhafte Ehre zuteil, die Richtlinien in die Tat umsetzen zu dürfen: Michael Weiner ließ in ­Aachen vom Stadionsprecher durchsagen, dass er die Partie abbrechen werde, sollten die »Asylanten«-Rufe nicht aufhören. »Ich bin froh, dass uns der DFB nach den Vorkommnissen in Rostock zu einer harten Linie gegen Rassismus aufgefordert hat«, erklärte der Referee nach dem Spiel. Noch deutlicher wurde DFB-Präsident Theo Zwanziger: »Die Vereine können sich nicht länger damit herausreden, dass es sich bei rechtsradikalen und rassistischen Ausfällen um die Aktionen einiger weniger Störenfriede handelt. Sie sind mitschuldig. Sie tragen die Verantwortung und müssen auch mit den Konsequenzen leben – bis hin zum Punktverlust.«

Während der DFB noch Anfang der neunziger Jahre hartnäckig leugnete, dass es so etwas wie Rassismus und Antisemitismus im deutschen Fußball überhaupt gibt, und sich erst nach zähen Verhandlungen zur Mitwirkung an eher paternalistischen Kampagnen à la »Mein Freund ist Ausländer« überreden ließ, verhängt er inzwischen drastische Sanktionen und beteiligt sich sogar an Aktivitäten des Netzwerks Football Against Racism in Europe (FARE): Am vorletzten Wochenende hielten vor dem Anpfiff der Erst-, Zweit- und Regionalligabegegnungen Spieler, Schiedsrichter und Zuschauer überdimensionale rote Pappkarten mit der Aufschrift »Zeig Rassismus die Rote Karte« in die Höhe.

So tatkräftig wie im bezahlten Fußball ist man in den Spielklassen unterhalb der Regionalliga nicht; Antisemitismus und Rassismus können sich dort seit Jahren nahezu ungehindert austoben. Auch die Referees zeigen im Amateurbereich weit weniger Neigung, das Reglement anzuwenden, als ihre Kollegen in den Profiligen. Klaus Brüning et­wa hatte Ende September reichlich Gelegenheit, beim Kreis­liga­spiel zwischen der VSG Altglienicke und dem TuS Makkabi Berlin dem Antisemitismus die Rote Karte zu zeigen, doch er entschied sich dafür, die zahlreichen Rufe wie »Synagogen müssen brennen«, »Auschwitz ist wieder da« und »Vergast die Juden« zu ignorieren (Jungle World 42/06). »Ein Schiedsrichter, der selbst dann noch weghört, wenn er auf verbale Entgleisungen, die in seiner unmittelbaren Nähe von anderen wahrgenommen werden, ausdrücklich hingewiesen wird, und der andererseits auf die vergleichsweise geringfügige Kritik an einer Entscheidung durch den Trainer einer spielbeteiligten Mannschaft mit einem Verweis aus der Coachingzone reagiert, zeigt damit, dass er der vielfältigen Aufgabenstellung eines Spielleiters nicht gewachsen ist«, begründete das Sportgericht die lebenslängliche Sperre des Unparteiischen.

Der Dreistufenplan des DFB bei rassis­tischen Vorfällen ist in den unteren Ligen zwar noch nicht offiziell eingeführt worden; dennoch haben die Schiedsrichter auch dort die Möglichkeit, entsprechende Sanktionen zu ergreifen. Denn in den Bestimmungen der Landesverbände werden die Referees angewiesen, bei Ausschreitungen jedweder Art geeig­nete Maßnahmen wie Durchsagen, Unterbrechungen und Spiel­abbrüche zu ergreifen.

Doch die wenigsten machen davon Gebrauch; im Gegenteil gibt es immer wieder Klagen darüber, dass die Unparteiischen noch nicht einmal auf dem Platz tätig werden. »Ras­sistische Pöbeleien der Zuschauer sowie Äußerungen von Spielern, die gezielt den ausländischen Gegenspieler provozieren sollen, werden in den Begegnungen der Amateurklassen unzureichend von den Schiedsrichtern wahrgenommen«, kritisiert Jürgen Scheidle in dem von ihm mitherausgegebenen Buch »Tatort Stadion«.

Noch weiter geht der Radiomoderator, Journalist und Buch­autor Klaus Walter, der selbst mehrere Jahre in einem Amateurverein gespielt hat: »Je niedriger das fußballerische Niveau, desto niedriger ist das Niveau der Unparteiischen. Viele, zumal in den unteren Klassen, agieren ihren normalen Rassismus mit der Pfeife aus. Gerne leiten sie das Spiel wie ein Feldherr die Schlacht und reagieren empfindlich, wenn Ausländer sich beschweren.«

Chikale Loa kann ein Lied davon singen. Als der Angolaner kürzlich in einem Bezirks­liga­spiel des VfL Jesteburg bei der SG Elbdeich rassistisch angegangen wurde, geschah seinen Angaben zufolge dies: »Der gegnerische Torhüter kam auf mich zu und machte Affengeräusche. Nachdem ich den fünf Meter daneben stehenden Schiedsrichter fragte, warum er nichts macht, bekam ich die Gelbe Karte. Als ich mich darüber aufregte, sah ich sogar Gelb-Rot.«

Die Aussagen der Referees sind wiederum maß­geblich für die Urteile der Sportgerichte nach Platzverweisen. Und auch hier ergeben sich bisweilen erhebliche Unterschiede in der Strafzumessung für deutsche und nicht deutsche Kicker, wie die Universität Hannover in einer gemeinsam mit dem Niedersächsischen Fußballverband erarbeiteten Studie fest­stellte.

Bei einer Analyse von fast 4 000 Verwaltungsentscheiden und Sport­ge­richts­urteilen im Jugendfußball ergab sich, dass nicht deutsche Jugendspieler bei vergleichbaren Taten deutlich härter bestraft werden als ihre deutschen Mitspieler. Mögliche vorangegangene verbale Provokationen spielen bei der Urteilsfindung in der Regel keine Rolle, obwohl sie nach Beo­bachtungen des Sportsoziologen Gunter Pilz nicht selten der Auslöser für Unbeherrschtheiten sind: »Oft werden vor allem die jungen Türken von ihren deutschen Gegenspielern und den Zuschauern gezielt mit Begriffen wie ›Kanakensau‹ oder ›Hurensohn‹ provoziert.«

Die Schiedsrichter ahnden jedoch zumeist nur die Tätlichkeiten, die auf manche dieser rassistischen Pöbeleien folgen – häufig allerdings deshalb, weil die Beleidigungen hinter ihrem Rücken geschehen.

Immerhin geht ein Verein nun mit gutem Beispiel voran: Beim vogtländischen Oberligisten ZFC Meuselwitz ziert seit Beginn dieser Spielzeit nicht nur der Schriftzug des Sponsors die Trikots, sondern auch die Aufschrift »Gegen Rassismus«. »Nachdem es nicht nur in der NOFV-Oberliga Süd immer wieder in den Stadien rassistische Vorfälle gegeben hatte, ist dies ein konsequentes Zeichen des Vereins und der Mannschaft für ein friedvolles und faires Miteinander auf und neben dem Fußballplatz. Zur Nachahmung empfohlen«, heißt es dazu auf der Homepage des Clubs.