Pam, nimm mich!

Die Brachialsatire »Borat« ist so geschmacklos wie gut. von markus ströhlein

In Borat Sagdiyevs Welt gibt es eine recht schlichte Hierarchie. Ganz oben steht Gott. Dann kommt der Mann. Ihm folgen das Pferd und der Hund. Dann kommt lange nichts, ehe in gebührendem Abstand die Frau­en und die Ratten ihren Platz in der Rangordnung haben. Ach ja, die Schwulen, die Zigeuner und die Juden gibt es in Borats Welt zu seinem eigenen Bedauern auch noch. Wirft man sie nicht in den nächsten Brunnen oder erhängt man sie nicht, dann taugen sie ganz vortrefflich als Zielscheiben für Schießübungen.

Sie finden das nicht lustig? Ist es aber. Der Film »Borat« ist zum Schreien komisch. Man muss seinem Schöpfer danken. Der britisch-jüdische Komiker Sacha Baron Cohen hat sich die Figur des Borat ausgedacht.

Cohen wurde mit der Ali G. Show bekannt. Wer die Serie um den vertrottelten HipHopper Ali G. gesehen hat, kennt Borat Sagdiyev bereits. In jeder Folge ließ Cohen den vermeintlich kasachischen Fernsehmoderator Borat auf eine kleine Entdeckungsreise gehen. Borat besuchte britische Universitäten, Cricketclubs und Ruder­vereine. In den USA sah er sich Baseballspiele an. Er traf sich mit Countrystars und Politikern. Wo er auftauchte, hinterließ er ratlose, überforderte, blamierte oder wütende Menschen.

Nichts anderes tut der Mann mit der Dauerwelle, dem Schnauzer, dem hässlichen Anzug und dem tippelnden Gang in der Satire »Borat – Kulturelle Lehrung von Amerika, um Benefiz zu machen für glorreiche Nation von Kasachstan«. In dem Film versetzt Borat die ahnungslo­sen Leute, denen er begegnet, mit seinen sexis­tischen, homophoben, rassistischen, antisemiti­schen und manchmal auch einfach nur unglaub­lich dummen Einlassungen in den Zustand von Fassungslosigkeit oder Verärgerung, oder er er­heischt im schlimmsten und häufigsten Fall lei­ses oder starkes Einverständnis.

Borats Reise beginnt aber in seiner Heimatstadt Kuzcek. Hier stellt er uns seine Familie vor: Seine Mutter ist mit 43 Jahren die älteste Frau im Dorf, seine Schwester die viertbeste Prostituierte in ganz Kasachstan. Wir lernen den Dorfvergewaltiger kennen. Und Borat zeigt uns das so genannte Judenrennen: Anders als beim Stierrennen in Pamplona laufen die Teilnehmer nicht vor den schnaubenden Tieren davon, son­dern vor Juden aus Pappmaché. Als eine Pappfi­gur ein Ei legt, klärt Borat auf: »Nun muss das Judenei schnell zerschlagen werden, bevor ein neuer Jude schlüpft.«

Der Fernsehmoderator, der nach eigenen An­gaben vorher »Zigeunerjäger« war, reist schließ­lich im Auftrag des kasachischen Informationsministeriums in die USA. Denn Kasachstan ist zwar schön, kann aber noch einiges von Ameri­ka lernen. Auf den großartigen Auftakt folgt lei­der eine stellenweise ermüdende Handlung. Ver­bunden werden die pseudodokumentarischen Szenen, die dann folgen, durch eine Liebesgeschichte. Als Borat im Fernsehen die Serie »Bay­watch« sieht, verfällt er Pamela Anderson. Er begibt sich quer durch das Land, um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Doch selbst diese überflüssige Nebenhandlung kann der Film wettmachen. Denn am Ende trifft Borat Pamela Anderson und gesteht ihr seine Liebe. Auf seine ganz eigene Art, versteht sich.

Zwischen dem Abschied aus der Heimat und der Begegnung mit Anderson kommt es vor allem zu schier unglaublichen Szenen. Der Charakter Borat mag plump erscheinen. Seine Bewegungen sind un­nachahmlich unbeholfen und linkisch. Doch Cohen hat ihn bis in die letzte Feinheit ausgefeilt. Mit seinem Begleiter, dem vermeintlichen Produzenten der Dokumentation, spricht Borat ein kehliges Phantasie­kasachisch. Sein Englisch ist gebrochen, aber von mar­kiger Skurrilität. Der Film wird in Deutschland zwar auch synchronisiert erscheinen. Doch wer ihn nicht im Original sieht, verpasst das eine oder ande­re Bonmot, wie etwa Borats Aufforderung zum Bei­schlaf: »I want to make romance inside of you!«

Cohen beherrscht nicht nur das große Poltern. Er hat auch ein Händchen für Slapstick. Borat lässt ver­sehentlich ein Huhn in der U-Bahn von New York frei. Männer rennen schreiend vor ihm weg, weil er sie auf gute kasachische Art mit Küsschen begrüßen möchte. Er beginnt seine Koffer vor den Augen eines irritierten Portiers im Fahrstuhl des Hotels auszupacken, weil er ihn für sein Zimmer hält.

Doch am besten gelingt Cohen eben immer noch der satirische Großangriff. Borat besucht die USA nicht, er fällt dort ein. Denn er kennt keine Hemmungen. Er zieht mit besoffenen Studenten über Minderheiten her. Er kommt mit den Rednecks auf einem Rodeotreffen darin überein, dass es doch das Beste sei, Schwule einfach aufzuhängen. Ein Autohändler gibt Auskunft darüber, welcher Wagen dafür geeignet sei, »Zigeuner zu überfahren«. Und ein Waffenhändler weiß Rat, mit welcher Waffe man sich am besten gegen Juden verteidigen kann.

Borat kennt keine Skrupel. Er ist Rassist, Sexist, Antisemit. Er reißt die Grenzen des zivilisierten Verhaltens ein und lockt so seine Gesprächspartner aus der Reserve. Sie folgen ihm bereitwillig in den Bereich, in dem man alle Zurückhaltung fahren las­sen und für kurze Zeit ein Barbar sein kann. »Die Szenen zeigen auf dramatische Weise, wie Rassismus von dumpfem Konformismus und irrsinniger Bigot­te­rie gespeist wird«, sagt Cohen über seine satirische Methode. Dass Cohen auch in den unerträglichsten Momenten stets eisern in seiner Rolle bleibt, verdient Respekt. Denn der Komiker tut sich wirklich einiges an.

Amüsiert sind freilich nicht alle über den Film. Die kasachische Regierung hat »Borat« zur Staatsaffäre erhoben. Im Dezember vergangenen Jahres hat sie bereits Borats in Kasachstan registrierte Home­­page sperren lassen. Sie hat Cohen mit einer Klage gedroht und eine Werbekampagne begonnen, um das vermeintlich beschädigte Ansehen des Landes in den USA wiederherzustellen. Selbst auf einem Treffen zwischen US-Präsident George W. Bush und dem kasachischen Präsidenten Nursutlan Nazar­bayev soll Cohens Film ein Thema gewesen sein. Bo­rat hat bereits geantwortet. In einem kurzen Video auf seiner Homepage stellt er sich hinter »seine Regierung« und verurteilt Cohen für seine »Lügen«. Es sei richtig, »den Juden zu verklagen«.

Das Europäische Zentrum für Ziganismusforschung hat Klage gegen den Film wegen »volksverhetzender Aussagen« eingereicht. Der Verleih hat da­raufhin alle Stellen aus den Werbematerialien entfernt, die Sinti und Roma beleidigen könnten. Und auch die US-amerikanische Anti-Defamation League äußerte sich besorgt über »Borat«. So weise Cohen zwar stets stolz auf seine jüdische Herkunft hin und benutze den Humor, um den absurden und irrationalen Antisemitismus zu entlarven. Man befürchte jedoch, dass Teile des Publikums nicht aufgeklärt genug seien, Cohens Art des Humors zu verstehen.

Für den Fall, dass er wirklich auf eine größere Summe verklagt werden sollte, hat Borat aber einen Plan. Er will Kinder mit Schokoladenschminke bemalen und an Madonna verkaufen. Und für Kinder hat selbst Borat ein Herz: »Ich hoffe, dass Madonna ihnen ein guter Vater sein wird.«

Borat (USA 2006), Regie: Larry Charles. Buch: Sacha Baron Cohen, Anthony Hines, Peter Baynham, Dan Mazer. Darsteller: Sacha Baron Cohen, Ken Davitian, Pamela Anderson. Start: 2. November 2006