40 Spione auf Alsterfahrt

Ein Spionageschiff, Leuchtraketen, ein nicht identifiziertes Flugobjekt – und widersprüchliche Aussagen. Eine kleine Chronologie der Ereignisse. von ulrich w. sahm, jerusalem

Der Sprecher des Bundesverteidigungsminis­teriums in Berlin ist irritiert über die erneu­te Anfrage zu den Zwischenfällen, zu denen es zwischen israelischen Kampfflugzeugen und der deutschen Marine gekommen ist. »Für uns sind das Vorfälle, keine Zwischenfälle, und die sind doch jetzt abgeschlossen«, sagt er. Gleichwohl hat er Verständnis für die journalistische Bitte, eine »abschließende Chronologie« der Ereignisse zu verfassen. So erklärt er sich bereit, noch einmal den Ablauf der Dinge aus seiner Sicht darzustellen.

Alles begann am Dienstag, dem 24. Oktober, um 9.11 Uhr, mit der »Alster«. Erst wenig später, um 9.30 Uhr folgte der Vorfall mit dem Hubschrauber auf dem Weg nach Nakura. So die Darstellung in Berlin. Schon hier zeigt sich ein offensichtlicher Widerspruch zu den Angaben des israelischen Militärs und der meisten Medienberichte. Denn in Israel beginnt die Geschichte um 9.05 Uhr mit einem Hubschrauber, der sich »der israelischen Küste« näherte und per Funk nicht auf einer abgesprochenen Frequenz meldete. Israelische Kampfjets überflogen das »nicht identifizierte Flugobjekt mit Kurs auf Israel« in 2 000 Fuß Höhe. Fünf bis sechs Meilen vor Erreichen des israelischen Luftraums habe sich der Hubschrauberpilot gemeldet. Die israelischen Piloten drehten ab, und der Hubschrauber flog weiter nach Nakura, dem Uno-Hauptquartier. Das liegt nur wenige hundert Meter jenseits der Grenze zu Israel. Nur ein geringfügiges Abweichen vom Kurs hätte den Hubschrauber nach Israel fliegen lassen.

Weil alles so nah beieinander liegt, konnten die Israelis nicht wissen, ob der Hubschrauber nach Libanon oder Israel fliegen wollte. »Auch Deutschland wartet nicht, bis ein unbekanntes Flugzeug in seinen Luftraum eingedrungen ist, sondern versucht, es vorher abzufangen«, meint ein israelischer Offizier beim Hintergrundgespräch. Letzt­lich, so die israelische Version, hätte dieser Vorfall vermieden werden können, wenn der deutsche Pilot ein paar Minuten früher seine Absichten auf einer vereinbarten Frequenz durchgegeben hät­te.

Ob Missverständnis, Panne oder Versehen, jedenfalls scheinen die Militärs auf beiden Seiten daraus kein Drama machen zu wollen. Und nachdem Israels Ministerpräsident Ehud Olmert sich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel »für die Missverständnisse« entschuldigt hat, scheint ja nun alles gut zu sein. Es fragt sich da nur, warum er sich ent­schuldigen soll, wenn es sich um ein »Missverständ­nis« handelte und nicht um einen beabsichtigten »un­freundlichen Akt«, wie das »israelische Bedrängen eines deutschen Hubschraubers« auch schon genannt wurde. Der Sprecher in Berlin jedenfalls betont, es habe aufklärende Telefongespräche der beiden Verteidigungsminister und des israelischen Generalstabschefs mit dem Generalinspektor gegeben.

Nun zur »Alster«, einem »Flottendienstboot«, das nicht zum offiziellen Marineverband der Bundeswehr in den Diensten der Unifil gehört. Dessen Anwesenheit war den Israelis angeblich nicht bekannt, wie eine Militärsprecherin auf An­frage erklärte. »Flottendienstboot« ist ein anderes Wort für das, was ein Normal­bürger als »Spionageschiff« bezeichnen würde, während die Militärs etwas vornehmer von »Aufklärung« reden. Die »Alster« hat jede erforderliche Technik an Bord, um den »Feind« auszukundschaften und so den eigenen Schiffen besseren Schutz zu bieten.

Der deutschen Version zufolge wurde die »Alster« bereits vor dem Vorfall mit dem Hubschrauber von einem Geschwader israelischer F-16 überflogen, die Leuchtraketen und zwei Schüsse aus der Bordkanone abfeuerten. Die Israelis sagen, dass die »Alster« erst nach dem Vorfall mit dem Hubschrauber, um 10.11 Uhr, vor der Küste in internationalem Gewässer an der Reihe war. Fregattenkapitän Dirk Groß in Berlin sagte wörtlich: »Wir melden nicht ständig die Posi­tion unserer Schiffe den Israelis.« Das sei in internationalen Gewässern überflüssig. Außerdem hätte die »sehr effiziente israelische Armee« das deutsche »Flottendienstboot« kennen müssen. »Sie haben doch sicherlich auch schon Bilder von dem Schiff gesehen«, meinte der Sprecher.

Die Ansicht, dass die Anwesenheit und Identität der »Alster« den Israelis eigentlich hätte bekannt sein müssen, zeugt zwar von hohem Respekt für Israels Fähigkeiten im Bereich der Aufklärung, könnte aber eben auch zu »Missverständnissen« führen, falls die Israelis doch nicht alle Schiffs­typen der in Eckernförde beheimateten deutschen Kriegsschiffe genau studiert haben sollten.

Die Israelis behaupten, dass die »Alster« 45 Meilen vor der Küste Israels in ein allseits bekanntes israelisches Manövergebiet gefahren sei, »wo unsere Kampfflugzeuge täglich von sechs Uhr morgens bis in die Nacht üben und dabei auch Leuchtmunition abschießen«. Da die Alster nicht zur Unifil gehört, könnte es natürlich sein, dass die 40 an Bord befindlichen Aufklärungsspezialisten des Kommandos strategische Aufklärung der Bundeswehr nicht wussten, was angeblich alle anderen Armeen in der Region wissen. Eine israelische Militärsprecherin sagte, dass das Manövergebiet über internationalen Gewässern der Unifil bekannt sei, und dass ihre Schiffe und Flugzeuge es tunlichst meiden.

Immerhin betont der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin: »Wir haben nie von Beschuss auf das Schiff gesprochen«, während die Israelis behaupten, gar nicht geschossen zu haben. Beide Seiten haben Filmmaterial als »klaren Beweis«, doch beide versichern, es nicht veröffentlichen zu wollen. So bleibt es bei zwei unbewiesenen Aussagen.

Offen bleiben so viele Fragen, vor allem die, wieso die Alster ausgerechnet vor der israelischen Küste lauschte und beobachtete und warum sich die deutschen Hubschrauberpiloten zunächst nicht gemeldet haben, was die Israelis aus verständlichen Gründen nervös machte. Aber auch, ob die israelischen Angaben hinsichtlich des Manövergebiets stimmen. Aus politischen Gründen wird es wohl bei diesen sich widersprechenden Angaben bleiben.

Dabei kann man erleichtert feststellen, dass eigentlich nichts passiert ist. In einer Region, wo es Toter und Verletzter bedarf, damit jemand über einen »Vorfall« berichtet, dürften die drei bisher gemeldeten Vorfälle (am Freitag darauf wurde ein weiterer Hubschrauber »über­prüft« oder »bedrängt«, je nach Ansicht) vor allem einen Neuigkeitswert gehabt haben, weil sich erstmals Deutsche und Israelis mit ihren Kriegsmaschinen zu nahe kamen. Das gilt vor allem in Deutschland als unerträglicher Gedanke. In Israel wurden diese Vorfälle hingegen kaum beachtet. Denn die Israelis sind mit ganz anderen Dingen viel ernsthafter beschäftigt: mit tödlichen Kämpfen im Gaza-Streifen, den fast täglichen Versuchen von Selbstmordattentätern, nach Israel einzudringen, drei immer noch entführten Soldaten, einer Regierungskrise und nicht zuletzt einer großen Anzahl von Politikern, darunter Minister und der Staatspräsident, die wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und der Korruption Ärger mit der Justiz haben. Vorfälle wie die mit der Bundeswehr können die Israelis daher kaum schockieren.