Autoritäre Vorschläge

Nach den jüngsten Ausschreitungen in den französischen Banlieues will der Innenminister die Gesetze zur Kriminalitätsprävention verschärfen. von bernhard schmid, paris

Fast alles, was die Herzen autoritärer Gemüter bewegt, möchte der französische Innenminister Nicolas Sarkozy auf die Tagesordnung bringen. Ab Mitte November soll in der Nationalversammlung über das neue Gesetz zur Kriminalitätsprävention diskutiert werden. Bereits vor sechs Wochen ist der Entwurf in erster Lesung vom Senat, der anderen Kammer des Parlaments, angenommen worden. Aber der ehrgei­zi­ge Sicherheitspolitiker und potenzielle Präsi­dent­schaftskandidat Sarkozy plant, während der neuen Debatte einige Verschärfungen vorzuschlagen, mit denen er bislang im Kabinett nicht durch­kom­men konnte. Offensichtlich hofft er bei den Parlamentariern auf mehr Unterstützung.

Sarkozy hat seinem Kollegen im Justizressort, Pascal Clément, bereits vor Monaten die Show gestohlen und die Ausarbeitung des Gesetzes an sich gezogen, das eigentlich zu großen Teilen in dessen Zuständigkeitsbereich fällt. Der Premierminister Dominique de Villepin verhinderte im Frühsommer einige Verschärfungen, die Sarkozy vorgeschla­gen hatte. Auch so hat es der Entwurf durchaus in sich. So sollen Sozialarbeiter in Zukunft gegenüber der Polizei und dem jeweiligen Bürgermeister auskunftspflichtig sein. Bisher zählte es zu den Grund­lagen dieser Berufsgruppe, ein Vertrauensverhältnis zu den von ihnen betreuten Personen zu schaffen, indem sicher gestellt war, dass individuelle Daten so genannter Problempersonen vertraulich behandelt und nicht den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt wurden.

Nun sollen vor allem den Bürgermeistern verstärkt Befugnisse zur Ausübung von repressiver Gewalt erteilt werden. Es ist etwa geplant, ihnen Zugang zu allen Daten »sensibler Gruppen« zu ermöglichen, die von So­zialarbeitern betreut werden. Wenn sie auf diesem Wege Kenntnis davon erhalten, dass Kinder oder Jugendliche aus »sozialen Problemfamilien« straffällig geworden sind oder zu häufig die Schule schwänzen, sollen sie künftig die Möglichkeit haben, den Familien Sozialleis­tungen, wie Kindergeld oder Schulbeihilfen, zu streichen. Kritiker befürchten, dass damit lokalen Amtsträgern, vor allem in sensiblen Vorwahlperioden, ein enormes Druckmittel an die Hand gegeben wird. Sozialdemokratische Bürgermeister haben sich bereits zusammengeschlossen und öffentlich erklärt, dass sie »eine solche Macht gar nicht wollen« – während konservative und reaktio­näre Amtsinhaber sich nicht dagegen wehren, in Zukunft die Möglichkeit zu haben, reihum Sozialleistungen zu streichen.

Hinter den Überlegungen zur Verschärfung der Repression gegen Erziehungsberechtigte steht die von Konservativen, aber auch von der sozialdemokratischen Präsidentschaftsbewerberin Ségolène Royal derzeit öfter vorgetragene Behauptung vom »Versagen der Eltern«. Wenn die Jugendlichen in den Trabantenstädten randalieren, dann liege dies daran, dass die Familien ihre Sprösslinge nicht stark genug »im Griff« hätten. Worauf manche besonders konservative Väter in Einwandererfamilien mitunter entgegnen, nach dem französischen Gesetz und wegen aufdring­licher Sozialarbeiter dürfe man seine Kinder ja nicht mal anständig prügeln, da könne ja nichts aus ihnen werden.

Was aber die Politiker, die Vorwürfe gegen die Eltern erheben, nicht erläutern, ist, wie beispielsweise eine afrikanische Mutter, die morgens von sechs bis neun Uhr und abends nach Feierabend in Paris Büros putzt, ihre Kin­der stärker überwachen soll, wenn sie nur in einer weit entfernten Trabantenstadt eine Woh­nung findet. Royal, die ihre jüngste Tochter im Jahr 1992 vor laufenden Kameras zu Welt brachte, um der Öffentlichkeit zu demonstrieren, wie sorglos die Mutterschaft doch sei, plagen solche Sorgen nicht. Sie kann sich aber auch eine ganze Schar von Babysitterinnen und Kindermädchen leisten, war sie doch 1992 bereits Staatssekretärin.

Sarkozy und Clément – selbst ein Scharfmacher, der im Jahr 1981 gegen die Abschaffung der Todesstrafe stimmte – wetteifern derzeit um neue Gesetzes­texte, mit deren Hilfe Ausschreitungen in den Banlieues und Auseinandersetzungen zwischen Jugend­lichen und Polizeikräften oder Vertretern der öffent­lichen Dienste, wie Angehörigen der Feuerwehr und Beschäftigten der Transportbetriebe, künftig stärker sanktioniert werden können.

Den passenden Anlass dazu lieferten die jüngsten Ausschreitungen in manchen Banlieues, aber auch am Rand von Marseille – wo es keine Banlieues gibt, sondern die ärmeren Viertel innerhalb der Stadt lie­gen –, in den vergangenen 14 Tagen. Ein Jahr nach den Unruhen in französischen Vorstädten blieb es, trotz des enormen Medienrummels rund um das »magische Datum«, insgesamt weitgehend ruhig. Aber in einigen Fällen gingen Kleingruppen von Jugendlichen, denen das Abfackeln von Autos wohl nicht mehr spektakulär genug erschien, zu Brandanschlägen auf Busse über. Dazu kam es in neun Fällen, meist an Orten, wo es 2005 ruhig geblieben war. Viele Anwohner erklärten sich die Angriffe deshalb als eine Verschwörung äußerer Interessengruppen – zugunsten der Wahlkampfstrategie von Sarkozy etwa oder zugunsten von Stadtplanungen, die die Unterschichten diabolisieren und längerfris­tig loswerden möchten.

Als Erklärung ist dies nicht plausibel. Aber es belegt, dass die Attacken nicht auf einen breitere Bewegung zurückgehen wie noch die Riots, sondern auf harte Kerne von Gangstrukturen. Gesellschaftlich isolieren sie sich damit. Vor allem, seit in Marseille die 26jährige französisch-senegalesische Studentin Mama Galledou in einem brennenden Bus lebensgefährlich verletzt wurde. Drei weitere Fahr­gäste erlitten dabei leichte Brandverletzungen oder Rauchvergiftungen.

Die bestehenden Gesetze erlauben es bereits problemlos, die Urheber solcher Taten zu langjährigen Haftstrafen zu verurteilen. Die drei 15 bis 17 Jahre alten Randalierer, die den Bus in Marseille angezündet haben, könnten 30 Jahre Gefäng­nis wegen Brandstiftung mit gefährlicher Körperverletzung erwarten. Minderjährigkeit kann der Richter als mildernden Umstand berücksichtigen, er muss es aber nicht.

Sarkozy aber möchte das Jugendstrafrecht ab 16 Jahre fast völlig abschaffen und auf Vorbestrafte automatisch das Erwachsenenrecht anwenden. Zudem möchte er einen neuen Sondertatbestand einführen. Sollte ein »Repräsentant der öffentlichen Ordnung« verletzt werden, soll der Täter nicht nur – wie bisher – wegen Körperverletzung und wegen »Widerstands gegen die Staatsgewalt« bestraft werden können. Sondern er hätte demnach zusätzlich ein neues Sonderdelikt begangen, eben das der Verletzung eines Amtsträgers. Dabei stünde nicht die Verletzung eines Menschen hinter der Uniform, sondern der Angriff auf ihn als Funktionsträger im Vordergrund. Das widerspiegelt ein autoritäres Staatsverständnis.