»Es sieht nach Putsch aus«

Ein Gespräch mit dem Islamwissenschaftler ralph ghadban über die innenpolitische Auseinandersetzung im Libanon und die Bedeutung des Unifil-Einsatzes

Ralph Ghadban stammt aus dem Libanon und war dort an der Gründung der Neuen Linken ­beteiligt. Seit dem Jahr 1972 lebt der promovierte Islam­wis­senschaftler in Berlin, wo er an der Evangelischen Fachhochschule unterrichtet.

Der Führer der Hizbollah, Hassan Nasrallah, fordert vom libanesischen Premierminister Fuad Siniora die Einrichtung einer »Regierung der nationalen Einheit«. Er hat dies mit einem Ultimatum bis Mitte des Monats verbunden. Er verlangt mehr Ministerposten für die Hizbollah und droht mit Sit-ins. Die USA warnen inzwischen vor einem Umsturz im Libanon. Wie sehen Sie das?

Diese Entwicklung war vorauszusehen. Die Hizbollah versucht, eine Regierung zu errichten, die ihrem »göttlichen Sieg« gerecht wird. Sie sagt: In Israel gibt es eine Armee, hinter der eine Regierung steht. Im Libanon gibt es einen Widerstand, aber hinter dem steht keine Regierung. Deshalb will sie eine Regierung als Verlängerung des Widerstands.

Die derzeitige Regierung repräsentiert die Mehr­heit der Bevölkerung. Die Regierung war weise genug, sogar der Opposition Ministerposten zu überlassen. Die Hizbollah und die prosyrische Amal stellen insgesamt vier Minister. Der christliche General Michel Aoun hat damals das Angebot ausgeschlagen. Er hätte sich auch an der Regierung beteiligen können. Der Forderung nach einer Einheitsregierung wird also bereits weitgehend entsprochen.

Die Hizbollah fordert offenbar mehr Minister, um die Zweidrittelmehrheit der übrigen Regierungsmitglieder brechen zu können.

Amal und Hizbollah stellen ein Drittel der Regierung. Nun sagt die Hizbollah, unter den Christen habe Aoun die Mehrheit. Also würden die prosyrischen Kräfte unter den Christen zusammen mit Amal und Hizbollah die Mehrheit vertreten.

Droht im Libanon ein Bürgerkrieg? Der Staatspräsident Emile Lahoud meint, die jüngsten Äußerungen erinnerten ihn an die »Tage des Bürgerkriegs«?

Das Ultimatum ist ernstzunehmen. Die Hizbollah will das internationale Tribunal wegen der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Jahr 2005 verhindern. Denn das Tribunal könnte den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad verurteilen und damit die Regierung in Syrien gefährden.

Es handelt sich also um den Versuch, den syrischen Einfluss im Libanon aufrechtzuerhalten?

Die Einrichtung einer »Regierung der nationalen Einheit« würde bedeuten, dass die Herrschaft Syriens wiederhergestellt wird. Es sieht nach einem Putsch aus. Die Hizbollah droht mit Gewalt, nur sie ist bewaffnet. Die Mehrheit der Libanesen sagt, dass sie die Probleme im Dialog lösen möchte. Sie will keinen Bürgerkrieg. Seit dem Abzug der Syrer hat keine Konfession versucht, sich wieder zu bewaffnen. Nur die Hizbollah besitzt nach wie vor Waffen.

Wie gut steht die Hizbollah nach dem Krieg da?

Sie ist stärker als früher. Die Grenze zu Syrien wird nicht kontrolliert, und die Waffen werden nach wie vor geliefert.

Wird die Hizbollah als eine »Widerstandsbewegung« auch von anderen gesellschaft­lichen Kräften als den Schiiten unterstützt? Und kann sie deshalb so auftreten?

Die Hizbollah will die anderen Konfessionen spalten. Bei den Christen ist ihr das teilweise gelungen. Aber was die Hizbollah nicht versteht, ist, dass etwa Aoun durch sein Bündnis mit der Hizbollah die Hälfte seiner Anhänger verloren hat. Er ist keine Macht mehr unter den Christen.

Außerdem hat die Hizbollah auf die Teilung der Sunniten spekuliert und gehofft, vor allem deren islamistischen Flügel zu gewinnen. Das ist ihr nicht gelungen. Die Sunniten halten zusammen, die Rechnung ist nicht aufgegangen. Die Hizbollah hat außerdem gehofft, die Drusen zu spalten. Das ist ihr gleichfalls nicht gelungen.

In dieser Beziehung hat die Hizbollah mehr verloren, als sie zugibt. Sie hatte vor dem Krieg viele Sympathien, sie war umgeben von der Aura des Widerstands. Mit dem Krieg kam die Ernüchterung. Die anderen Konfessionen haben sich distanziert. Selbst unter den Schiiten gibt es eine Strömung, die sich gegen die Hizbollah gewendet hat. Aber dort ist ihre Macht nicht gebrochen. Gleich nach dem Krieg hat sie unter den Schiiten 400 Millionen Dollar als Entschädigung verteilt. Das hat die Menschen an die Hizbollah gebunden.

Saudi-Arabien will in dieser Auseinandersetzung vermitteln. Wie schätzen Sie diesen Versuch ein?

Das ist eine völlig unklare Angelegenheit. Nabih Berri, der Vorsitzende der Amal, hat Saudi-Arabien besucht. Man hat gehofft, dass er einen gemäßigten Flügel unter den Schiiten entwickeln kann. Es zeigt sich aber, dass er ein Briefträger der Hizbollah ist.

Wie soll Saudi-Arabien auch vermitteln? Die Hizbollah vertritt den Iran im Libanon. Um zu vermitteln, müsste Saudi-Arabien einen Gesandten nach Teheran schicken, nicht nach Beirut.

Was bedeutet diese Entwicklung für den Unifil-Einsatz?

Ursprünglich sollte dieser Einsatz ein militärischer sein. 30 000 Mann sollten die Hizbollah entwaffnen. So dachten die Amerikaner. Der französische Präsident Jacques Chirac aber war dagegen. Es gehe nur darum, eine entmilitarisierte Region im Südlibanon zu errichten. Das wurde von den anderen als Schutz für Israel akzeptiert.

Die Truppen kamen, aber die Hizbollah konnte sich weiter bewaffnen. Sie ist jetzt stärker als vorher und kritisiert die Anwesenheit der Unifil. Sie will einen Widerstandsstaat errichten und den Krieg fortführen.

Also wird der Einsatz zur Farce?

Ja. Man muss sich entscheiden, ob man militärisch vorgehen will, also gegen die Hizbollah und gleichzeitig gegen die Israelis.

Die Israelis haben nämlich immer noch nicht verstanden, worum es geht. Die Verletzungen des Luftraums sind lächerlich. Das bringt ihnen nichts und nützt nur der Hizbollah. Viele denken, Israel wolle vielleicht doch auch eine Konfrontation.

Was sollte Israel tun?

Israel hat der Resolution 1 701 zugestimmt und sollte sich an sie halten.

Die israelischen Gefangenen wurden auch nicht freigelassen.

Das muss verhandelt werden, das ist keine Vorbedingung.

Die Freilassung wird in der UN-Resolution 1 701 gefordert.

Das ist eine Frage von Verhandlungen. All das gibt den Israelis kein Recht, sich so zu verhalten. Es ist eine große Dummheit der Israelis, ihre objektiven Verbündeten, nämlich die Regierung in Beirut, zu schwächen. Beide wollen die Entwaffnung der Hizbollah. Was will Israel denn? Die israelische Politik stärkt die Hizbollah.

interview: stefan wirner und deniz yücel