Sag uns, wo du geboren bist

In Spanien bestimmen die Konflikte zwischen dem Zentralstaat und den Regionen die Diskussion. Eine Bürgervereinigung aus Barcelona kritisiert mittlerweile den katalanischen Nationalismus. Dritter Teil der Serie »Nationalismus in Europa«. von thorsten mense

Ein »Akt gegen Spanien« und »für Terroristen« sei es gewesen, »die perfekte Metapher für das Spanien von Ministerpräsident Zapatero«, schimpfte der Generalsekretär der Volkspartei (PP), Ángel Acebes, Anfang Oktober. Anlass waren nicht die bevorstehenden Friedensgespräche mit der baskischen Separatistentruppe Eta, sondern der Grund war ein Fußballspiel in Camp Nou, dem Stadion der katalanischen Hauptstadt Bar­celona. Dort waren die Mannschaften der beiden autonomen Regionen Baskenland und Katalonien gegeneinander an­getreten. Die Mannschaften und ihre Anhänger fordern, auch bei internationalen Wettkämpfen ihre »Nationen« vertreten zu dürfen.

Wegen der Jahrzehnte währenden Streitigkeiten um den Status der autonomen Regionen verläuft die Grenze zwischen den politischen Akteuren immer weniger zwischen rechts und links, sondern vielmehr zwischen spanischen und regionalen Nationalisten. Die jeweilige nationale »Identität« gilt als Grundlage des politischen Handelns und dient als Basis der Argumentation. Das führt manchmal zu absurden Ergebnissen: »Migranten sind auch Katalanen«, war im vergangenen Jahr auf einem Transparent auf einer Solidaritätskundgebung für illegale Migranten im Hungerstreik zu lesen.

Als im Frühjahr die Reform des katalanischen Au­tonomiestatuts verhandelt wurde, lautete die Kritik des PP, dass die sozialdemokratische Regie­rungspartei Psoe die Einheit Spaniens zerstöre. Von linken Gruppen und Parteien kam die Kritik, dass sie eben gerade das nicht tue. Das Regionalparlament hatte im ersten Entwurf der Reform Ka­talonien als »Nation« bezeichnet, woraufhin der PP eine Unterschriftenaktion startete, um eine Volks­abstimmung herbeizuführen. Über vier Millionen Spanier, fast zehn Prozent der Bevölkerung, unterschrieben die Aussage, dass Spanien »die einzige Nation« sei. Die Reform wurde dann in abgeschwächter Form angenommen, gegen den Willen der ERC, der Republikanischen Linken Kataloniens. Aus Protest zog sich die ERC aus der Regional­regierung zurück, was zur Auflösung des Parlaments führte.

Am Mittwoch vergangener Woche standen Neuwahlen an, aus denen die gemäßigten Nationalisten des konservativen Wahlbündnisses CiU mit 32 Prozent der Stimmen als Gewinner hervorgingen. Im Wahlkampf wurde erneut deutlich, dass es immer seltener um inhaltliche Differenzen geht, sondern um die Frage, welches Verhältnis man zur jeweiligen »Nation« hat. Der Generalsekretär der CiU, Josep Antoni Duran Lleida, hatte am Tag vor der Wahl die Sozialisten aufgefordert, auch seine Partei zu wählen. Der Kandidat des PSC, der Schwesterpartei des Psoe, José Montilla, könne die Interessen Kataloniens nicht wirksam vertreten, da er in Andalusien geboren sei, sagte Lleida.

Die Regierungspartei Psoe hält sich in der Regel mit nationaler Rhetorik stark zurück. Sich zu sehr auf die Seite der Separatisten zu stellen, würde die Partei viele Sympathien im Rest Spaniens kosten. Den spanischen Nationalismus in der Tra­dition Francos mitzutragen, wie ihn der PP vertritt, ist ebenso unmöglich. Zudem ist Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero in Katalonien geboren und gilt als Vertreter eines modernen pluralistischen Spanien.

Nur wenn der Psoe die nationale Souve­ränität bedroht sieht, wird die Nation zur Verteidigung herangezogen. Im aktuellen Streit um die Übernahme des Energie­unternehmens Endesa durch den deutschen Konzern Eon erklärte Zapatero, dass der Energiesektor »in spanischen Händen« bleiben solle. Die spanische Ener­giekommission CNI verhängte daraufhin strenge Auflagen, die nun zu einer Klage der EU-Kommission wegen Verstoßes gegen den freien Wettbewerb führten.

In Spanien ist es weniger die Rechte, die Angst vor Europa hat. Trotz aller Polemik über den »Machtverlust« Spaniens warb der Vorsitzende des PP, Mariano Rajoy, im vorigen Jahr für die Annahme der EU-Verfassung. Vor allem die Linke sieht ihre regionale bzw. »nationale« Souveränität vom vereinten Europa bedroht.

Der katalanische und der baskische Na­tionalismus gewannen ihre Stärke vor allem durch den spanischen Bürgerkrieg und die darauf folgende Unterdrückung durch den Diktator Francisco Franco. Dass viele Bewohner dieser Regionen nicht zur spanischen Nation gehören wollen, deren Vertreter noch vor etwas mehr als 30 Jahren zum Schutz der »spa­nischen Rasse« die Sprache und Kultur von Minderheiten verboten und die Land­striche mit Terror überzogen, leuchtet ein. Zudem waren in der Anfangszeit der baskische und vor allem der katalanische Nationalismus eng mit kommunistischen und anarchistischen Ideen verknüpft. Jedoch ist die Forderung nach einer eigenen Nation mitt­lerweile zum Selbstzweck geworden.

Einen linken Anspruch auf folkloristischen Demonstrationen unter dem Motto »Wir sind eine Nation!« sucht man vergebens, ebenso wie bei der Forderung nach Aufwertung der jeweiligen Regionalsprache zur einzigen Amtssprache. Und wenn eines der Hauptargumente der Linken gegen die EU-Verfassung lautet, dass die »Nationen ohne Staaten« nicht anerkannt würden, ist man nicht mehr weit von der Forderung rechtsradikaler Gruppen nach einem »Europa der Vaterländer« entfernt.

»Die Verfassung hat nicht die Nation erschaffen, sondern es war die Nation, die sich eine Ver­fassung gegeben hatte«, schrieb der linke Politikwissenschaftler und Schriftsteller Ramón Cotarelo neulich in einem Essay. Die Basken, Katalanen und Galizier gehörten nicht zur spanischen Nation und müssten als eigenständige Nationen ebenfalls das Recht auf eine eigene Verfassung haben. Wer ihnen dies verweigere, unterstütze den »autoritären, undemokratischen« Nationalismus Spaniens, so seine Argumentation.

Ende vorigen Jahres gründeten bekannte Linksintellektuelle und Künstler in der katala­nischen Hauptstadt Barcelona die Vereinigung Ciutadans de Catalunya (»Bürger Kataloniens«), die sich dem katalanischen Nationalismus entgegenstellen will. »Wie alle Ideologien, die das Symbolische verehren, verwechselt der Nationalismus die Analyse der Tatsachen mit dem Festhalten an abstrakten Prinzipien«, heißt es in der Gründungserklärung. Anstatt sich um die realen Probleme der Menschen zu kümmern, werde die nationale Unabhängigkeit zum obers­ten Ziel des politischen Kampfes erhoben. Damit unterscheide sich der linke Nationalismus nicht mehr vom konservativen Nationalismus. Wegen ihrer Kritik am katalanischen Nationa­lis­mus, dem Mitbegründer und berühmten Thea­termacher Albert Boadella zufolge eine »kollek­tive Krankheit«, gelten die Ciutadans vielen Lin­ken als »Faschisten« und werden als solche auch schon mal attackiert.

Bei den Wahlen zum katalanischen Regionalparlament vergangene Woche standen auch die Ciutadans auf dem Wahlzettel. »Uns ist egal, wo du geboren bist. Uns ist egal, welche Sprache du sprichst. Uns ist egal, welche Kleidung du trägst. Wir kümmern uns um dich«, stand auf einem Wahlplakat geschrieben. Sie erhielten ge­rade mal drei Prozent der Stimmen.