»Debatte offen, Grenzen dicht«

Die Migrationspolitik in Europa verharrt in Abschottungs- und Repressionsansätzen. Dabei ist die EU-Politik häufig mitschuldig an der Entscheidung zur Flucht. Ein Interview mit dem Europa-Sprecher von Pro Asyl, karl kopp
Von

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der französische Innenminister Nicolas Sarkozy wollen mit ihren Vorschlägen zu einer europäischen Einwanderungspolitik auf die »zirkuläre Migration« reagieren. Was meinen sie damit?

Es gibt verschiedene Definitionen der »zirkulären Migration«, aber im Konzept von Schäuble und Sarkozy ist es eigentlich nicht mehr als ein neues Label für den Rückgriff auf das Gastarbeitermodell der fünfziger Jahre. Sie verkaufen das als Ansatz gegen Braindrain, also die Abwanderung von Intelligenz, indem sie Migranten nur drei bis fünf Jahre ins Land lassen wollen, um sie möglichst über ein Rückübernahmeabkommen mit dem Herkunftsland danach wieder problemlos hinauszubefördern. Im Kern geht es in dem Papier nicht um eine Öffnung, sondern um Repression, um eine verstärkte Bekämpfung der illegalen Einwanderung, um effizientere Rückführungsmechanismen. Mit Blick auf die Südstaaten der EU wird in dem Papier gefordert, in Zukunft Legalisierungsmaßnahmen für Menschen ohne Status zu unterlassen.

Schäuble und Sarkozy begründen ihren Vorschlag mit der zunehmenden Migration im Zuge der Globalisierung. Ist das nicht auch eine Anerkennung von Tatsachen, also auch ein Fortschritt in der Diskussion?

Neu ist höchstens, dass die Debatte um legale Einwanderungsmöglichkeiten nach Europa inzwischen auch bei Hardlinern angekommen ist. Man kann sagen: Die Debatte wird eröffnet, aber die Grenzen bleiben dicht. Das Papier wird als europäische Einwanderungskonzeption verkauft, aber es ist das Gegentei. Man will eben keine gemeinsamen Einwanderungsstandards auf EU-Ebene, sondern es bleibt alles auf nationalstaatlicher Ebene. Der Begriff »zirkuläre Migration« taucht auch in dem UN-Migrationsbericht auf. »Zirkulär« bedeutet beispielsweise auch die Wiederkehr von Migranten. Der Bericht plädiert für mehr Durchlässigkeit, fordert reguläre legale Einwanderungsmöglichkeiten. Dann laufen Migranten nicht Gefahr, bei der illegalen Einreise zu Tode zu kommen, es mindert die Ausbeutungsmöglichkeiten, denen Menschen ohne Aufenthaltsstatus permanent ausgesetzt sind.

Ist dieser deutsch-französische Vorschlag eine Reaktion auf die Flüchtlingsdramen, die regelmäßig am Mittelmeer sichtbar werden?

Es gibt keinen Flüchtlingsansturm, wie immer behauptet wird. Die Bilder die wir aus Lampedusa oder von den kanarischen Inseln sehen, zeigen die Flaschenhälse der Abschottung. Die Fluchtwege haben sich verschoben, und die Todesrate steigt. Die deutsch-französische Initiative wird an diesem Massensterben nichts ändern. In dem Konzept will man das Grenzregime noch effizienter gestalten, mit Frontex-Einsätzen, mit gemeinsamen Grenzschutzpatrouillen, mit mehr Rück­übernahmeabkommen, mehr Druck auf die Herkunftsländer. Die Botschaft an die Transit- und Herkunftsländer ist: Wenn ihr kooperiert, gibt es mehr Entwicklungshilfe und vielleicht mal ein Einwanderungskontingent.

Es ist ja auch überhaupt nicht in Sicht, dass Deutschland irgendwann solche Quoten für legale Arbeitsmigranten aus Afrika beschließt. Wir haben immer noch eine Zugangsbeschränkung zum Arbeitsmarkt für Migranten aus den neuen EU-Staaten.

In dieser Woche tagt die Innenministerkonferenz. Da wird es um die Bleiberechtsregelung gehen, die offenbar sehr dürftig ausfallen wird. Außerdem plant die Bundesregierung weitere Verschärfungen, die insgesamt in die Richtung gehen, die Migration mehr nach wirtschaftlichen Interessen zu steuern.

In der Tat: Ein Bleiberecht für wenige wird gegenverhandelt mit massiven Verschärfungen im Ausländerrecht. In Deutschland ist offenbar nicht mal das möglich, was in fast jedem anderen europäischen Land selbstverständlich ist, nämlich Menschen, die schon fünf, zehn, 15 Jahre im Land sind, ein Bleiberecht zu gewähren. Wie kann da von einer veränderten Einwanderungspolitik die Rede sein? Dass große Gruppen, wie die knapp 10 000 irakischen Flüchtlinge, aus der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen werden sollen und dass man die Bedingungen, in den Genuss solch einer Bleiberechtsregelung light zu kommen, so hoch hängt, drückt aus, dass sich die Innenminister der Realität und dem gesellschaftlichen Konsens verweigern, dass diese Menschen hier angekommen sind und einfach zu dieser Gesellschaft dazugehören.

Der angesprochene Braindrain ist ja ein reales Phänomen. Die Migration hat Auswirkungen auf die Länder, aus denen Menschen auswandern. Inwiefern müsste daher nicht die Beschäftigung mit Fluchtursachen ernster genommen werden?

Wir sagen auch: Fluchtursachen bekämpfen! Und was wir erleben, ist, dass immer effizienter Flüchtlinge bekämpft werden. Konzepte der Fluchtursachenbekämpfung sind schlicht nicht existent, und die europäische Verantwortung bleibt ausgeblendet. Europa zerstört mit seinen Agrarsubventionen die Märkte auf dem afrikanischen Kontinent und produziert damit Elend, Hunger und neue Fluchtursachen. Das gleiche gilt für die EU-Fischereipolitik.

Dass Rückkehrer für ihr Herkunftsland auch einen Wert darstellen, lässt sich nicht bestreiten. In gewisser Weise berücksichtigt ja das Schäuble/Sarkozy-Papier diesen Aspekt.

Nicht nur die Rückkehrer, sondern auch die Migranten. Auch Sarkozy und Schäuble haben zur Kenntnis genommen: Die Geldüberweisungen der Flüchtlinge und Migranten an ihre Familien zuhause sind ein Mehrfaches höher als die internationale Entwicklungshilfe. Im Jahr 2005 waren es offiziell 167 Milliarden US-Dollar, und da kommen noch viele nicht registrierte Gelder hinzu. Das ist eine direkte Entwicklungshilfe für die Herkunftsregionen. Man kann sagen: Jeder Migrant, der woanders arbeitet und Geld zurückschickt, schafft vier Arbeitsplätze im Herkunftsland. Umso mehr müsste man doch sagen: Öffnet Europa! Schafft legale Einwanderungsmöglichkeiten! Schafft den Druck ab, der durch das Visa-Regime entsteht! Leute müssen einreisen und sich orientieren können. Es darf nicht jede Entscheidung, nach Europa zu immigrieren – auf häufig lebensgefährlichen Wegen –, eine absolute, existenzielle sein.

Wie sollte die Migrationspolitik der Zukunft aussehen?

Obwohl das Projekt Europa zur Absenkung der Menschenrechts- und Asylstandards geführt hat, wollen wir, dass es europäische Lösungen gibt. Wir brauchen ein europäisches Asylrecht, und damit zuallererst einen gefahrlosen Zugang nach Europa für Schutzsuchende. Wir wollen eine europäische Einwanderungspolitik, mit einem legalen Zugang zum Arbeitsmarkt. Wir wollen außerdem, dass Flüchtlingsaufnahmeprogramme geschaffen werden. Wenn Flüchtlinge beispielsweise in Afrika jahrelang schutzlos in Elendslagern leben, dann sollte die EU gemeinsam solche Menschen evakuieren und ihnen eine Lebensperspektive hier geben. Wer ernsthaft die Gründe für erzwungene Migration und Flucht bekämpfen will, der muss die Strukturen beseitigen, aus denen Armut und Elend resultieren. Wer die dramatische Ungleichverteilung von Lebens- und Entwicklungschancen verändern will, der muss auch für eine andere, gerechtere Handels-, Agrar- und Fischereipolitik der EU eintreten.

interview: ivo bozic