Soziologenkunst aus dem Kreativgefängnis

In der Berliner NGBK beschäftigt sich die Ausstellung »This Land is My Land« mit der Nation, Rassismus und all dem. Schön, aber wo bleibt die Kunst? von jessica zeller

Es ist wie immer: Gegen acht Uhr abends gehe ich zur Vernissage, treffe ein paar kulturlinke Freunde und Bekannte, trinke ein Bier, unter­halte mich mehr oder weniger gepflegt und schaue mir währenddessen in den Räumen der »Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst« (NGBK) und im Künstlerhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg die neue Ausstellung an. Ich bin hier, um eine Bespre­chung von »This Land is My Land« zu schreiben. Bereits bei der Pressebegehung am Vormittag desselben Tages zeigten sich die Kuratorinnen und Kuratoren – oder, wie es hier üblicherweise heißt, die »Projektgruppe« – sehr bemüht um mich. Sie haben sich ja auch wirklich wieder einmal Gedan­ken gemacht. Um »nationale Identität« geht es diesmal, darum, dass diese immer wieder neu konstruiert werde. Eben um die Fragen danach, was vermeintlich deutsch ist, Stichwort »Du bist Deutschland«, Fußball-WM usw., und welche Lebensperspektiven dabei ausgeblendet werden: die der Migrantinnen und Migranten nämlich.

Stimmt alles. Kopfnicken, ja, ja, Rassismus, davon ist ja wirklich nur noch selten die Rede, dafür immer mehr von der Gefahr des Islamismus. Wir sind uns schnell einig. Nur gibt es ein Problem: Mir ist langweilig. Denn in der NGBK wird nicht einfach nur Kunst ausgestellt, die man dann schön oder hässlich, durchdacht oder ziemlich platt finden kann. Hier sieht man ausschließlich gesellschaftspolitisch engagierte Kunst, kuratiert von gesellschaftspolitisch engagierten Leuten und betrachtet ausschließ­lich von ebensolchen. Die NGBK ist das Zentrum des politisch korrekten, immer kritischen, basisdemokratischen, linksalternativen Kreuzberger Akademikermilieus. Man kennt sich, man schätzt sich, und man redet über Dinge, die man sowieso schon weiß und ungerecht findet (wahlweise Rassismus, Globalisierung, Überwachung im öffentlichen Raum, Unterdrückung der Frau, Nationalismus). Alle zwei Monate lädt man dann Künstler ein, die darüber irgendwie anders als die Theorietexte, die man selbst liest, reflektieren sollen. Die, die dann doch nur schreiben können und keine Kunst machen, äußern sich meist im zugehörigen Ausstellungskatalog.

»This Land is My Land« (wieso konnte man es nicht einfach bei dem Originaltitel des Folksongs »This land is your land« belassen?) ist natürlich von der Idee her nicht schlecht, überhaupt nicht. Einige der Arbeiten sind mir schon aus anderen Ausstellungen bekannt und haben mir gut gefallen. Petra Bauers Dokumentarfilm »Der Fall Joseph« zum Beispiel über den Tod des 6jährigen Jungen im sächsischen Sebnitz wurde vor anderthalb Jahren in einer Ausstellung zu »Populismus« in Frank­furt gezeigt und sagt viel über die Funktions­weise der Me­dien und der Gesellschaft aus. Die Frage nach dem wirklichen Täter wird interessanterweise offengelassen.

Auch Katinka Bocks Videoinstallation »Dort ist überall und wir sind immer hier«, in der jugendliche »Re-Migranten« über ihr Leben zwischen der deutschen und der türkischen Kultur sprechen und die schon einmal in der »Istanbul«-Schau im vergangenen Jahr im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen war, eröffnet neue Perspektiven auf subjektive Erfahrungen und ihre gesell­schaftlichen Bedingungen.

Susan Hillers »J.Street Project« schließlich wurde so oft rezipiert, dass es einem irgend­wie bekannt vorkommt. 303 deutsche Straßen hat die Künstlerin im Laufe von drei Jah­­ren Arbeit gesucht, gefunden, fotografiert und gefilmt, deren Namen einen Rückschluss auf jüdisches Leben zulassen: »Jüdenstraße«, »Judendamm« oder – leider kein schlechter Scherz – »Auf der Judenhut« und »Auf dem Judenbuckel«. Betrachtet man einige wenige neue Arbeiten, die zum Nachdenken oder wenigstens zum Schmunzeln anregen, etwa wenn Johannes Blank sich in seinem Webportal »rentagerman« für teures Geld als Deut­scher mieten lässt (hat schon häufiger geklappt), müsste man eigentlich meinen, dass es sich hier um eine in Teilen wirklich gelun­gene Zusammenstellung handelt.

Dass dem nicht so ist, hängt hauptsächlich damit zusammen, dass die guten Werke zusammen mit einem Haufen Arbeiten ausgestellt sind, denen jegliche Form der ästhe­tischen Reflexion vollkommen abhanden gekommen ist. Farida Heuck etwa kritisiert das neue Zuwanderungsgesetz in ihrer Arbeit »Zertifikat Deutsch«, indem sie einfach Formulare und den Akt des Ausfüllens in schlechter Qualität abfilmt. Falk Haberkorn und Sven Johne entwerfen eine hässliche Zeitungscollage (»Kaufkraft und Heimatgefühl«), in der Meldungen aus Ostdeutschland, nebeneinander aufgeklebt, die halbe Wand bedecken und eigentlich nur das Klischee bestätigen, das man schon kennt: Ostdeutsche sind Rassisten mit niedrigen Löhnen, die in ihrer Freizeit Handyweitwurf üben. Johannes Räther fotografiert unoriginell die Werbeplastiken der Kampagne »Land der Ideen«, spielt auf Kopfhörern Äußerungen von Merkel, Beckenbauer und Co. ab und nennt das Ganze »Prachtstraße (Die deutsche Achse)«.

Unter der Bezeichnung »Politische Kunst« soll wohl in all den genannten Kunstversuchen mit eher peinlichen Mitteln auf gesellschaftliche Miss­stände aufmerksam gemacht werden. Gelingen soll das mit an die Wand geklatschen, großforma­tig kopierten Zeitungsausschnitten oder einem einfachen Abfilmen bzw. Abfotografieren der Wirklichkeit. Um die Ecke zu denken, wird hier nicht für nötig befunden. Mehrere Lesarten ein und derselben Arbeit zulassen? Wozu, wenn es doch nur darum geht, eine »Botschaft« zu übermitteln. Im Einklang dazu stehen der zumindest gefühlte erhobene Zeigefinger der Künstler und Künstlerinnen und ihr Bewusstsein dafür, was richtig und was falsch ist.

»Deutschland einig Vaterland« ist gleich böse, migrantische Hybridität ist gleich gut. So entsteht jedoch im besten Fall Soziologie mit anderen Mitteln, und im schlimmsten Fall kommen politisch korrekte Zumutungen dabei heraus. Denn die gegenseitige Befruchtung von Kunst und Politik klappt – zumindest hier – äußerst selten, und schon gar nicht dann, wenn sich eins dem anderen unterordnet. Sprich: Sie funktioniert vor allem dann nicht, wenn Kunst nur aus einem politischen Bewusstsein entsteht und nicht der Realität eine neue, unabhängige Ebene hinzufügt.

Die NGBK scheint, wie jüngere interne Auseinandersetzungen vermuten lassen, sich dieses Problems prinzipiell durchaus bewusst zu sein. Der Ort, seine Macher und nicht zuletzt seine Besucher sind jedoch im Kreuzberger Kreativgefäng­nis gefangen und drehen sich im Kreis, wo Projektgrup­pen Kunst machen und zukünftige Projektgruppen sich diese angucken.

»This Land is My Land«. NGBK, Berlin, bis zum 3. Dezember