Es geht um die Wurst

Bei den Präsidentschaftswahlen in Venezuela hat es die Opposition schwer. Denn nicht nur die von Chávez umworbenen Armen sind mit seiner Politik zufrieden. von simón ramírez voltaire

Die Welt wird sich an die Auftritte von Hugo Chávez wohl gewöhnen müssen: Sein Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag gilt als sicher. Rund 60 Prozent wollen den wohl umstrittensten Präsidenten Latein­amerikas für eine dritte Amtsperiode wählen. Das ergaben verschiedene Umfragen venezolanischer und internationaler Forschungsinstitute. Uneinig sind sich diese allerdings im prognostizierten Anteil der Wähler, die für den sozialdemokratischen Gegenkandidaten der Opposition, Manuel Rosales, stimmen wollen. Die Ergebnisse schwanken hier zwischen 27 und 40 Prozent.

Chávez bricht mal wieder Rekorde. In nahezu allen Bereichen scheint seine Politik die Mehrheit der Venezolaner zufriedengestellt zu haben. Wie das Forschungsinstitut Ipsos in einer Befragung für die Nachrichtenagentur Associated Press er­mittelte, mei­nen 61 Prozent der Venezolaner, dass ihr Land auf dem richtigen Weg sei. Selbst in der Mittelschicht bewerten 56 Pro­zent die Arbeit von Chávez positiv. In den ärmeren Schichten steigt die Zustimmung auf 80 Prozent. Mit der Gesundheits- und Bildungspolitik sind sogar rund 75 Prozent der Bevölkerung zufrieden – Zahlen, von denen die meisten Regierungschefs der Welt nur träumen können. Nicht ganz so gut bewertet wurden Chávez’ Leistungen bei der Bekämpfung von Korruption und Kriminalität.

Selbst seine spektakulären und nicht immer diplo­matischen Auftritte kommen gut an. Seine latein­amerikanischen Verbündeten empfanden es als überflüssige Provokation, den US-Präsidenten George W. Bush vor einer UN-Versammlung als »den Teufel« zu bezeichnen. Doch die Venezolaner erfreut es offenbar, wenn Chávez den US-Präsidenten ärgert und ein lateinamerikanisches Bündnis gegen ihn aufzubauen versucht. 59 Prozent sind der Ansicht, Chávez treffe außenpolitisch die richtigen Entschei­dungen. Bush genießt in Venezuela keinen guten Ruf, 63 Prozent haben über ihn eine schlechte Meinung.

Chávez steht dagegen wie ein Heiliger da. Seine große Beliebtheit folgt allerdings nicht allein aus seiner übermäßigen Präsenz in den Medien und der fast religiösen Bindung zwischen ihm und seinen Anhängern. Sie hat offenbar auch einen materiellen Grund. So gut wie in diesem Jahr ging es der Bevölkerung lange nicht mehr. In den venezolanischen und internationalen Medien gilt ihr Präsident zwar als Sprücheklopfer und Provokateur, am Ende scheint aber auch in der »bolivarischen Revolution« das zu zählen, was beim Bürger im Geldbeutel hängen bleibt.

Die Kaufkraft ist im vergangenen Jahr so stark gestiegen, dass sich das Konsumverhalten der Vene­zo­laner deutlich gewandelt hat. So ist der Verkauf von Maismehl, das in armen Haushalten zur täglichen Herstellung von Fladenbrot verbraucht wird, im vergangenen Jahr um acht Prozent zurückgegangen. Stattdessen verzeichnen die Händ­ler einen deutlich größeren Verbrauch von höherwertigen Produkten wie etwa anderen Getreidesorten, Nudeln, Brot und Keksen. Auch der Umsatz von Wurstwaren und Räucherschinken zog deutlich an. Insgesamt verbrauchten die Venezolaner zwischen sechs und zwölf Prozent mehr Lebensmittel als im Jahr zuvor, sagte der Präsident der natio­nalen Mühlenbetriebe (Monaca), Nicolás Constantino.

Doch nicht nur die unteren Schichten haben ihren Lebensstandard während der Amtszeit von Hugo Chávez verbessert. Auch die Reichen wurden reicher. Die Anzahl der verkauften Autos, darunter viele Luxusmodelle, verdoppelte sich im vergangenen Jahr. In Carácas werden zahlreiche Restaurants eröffnet, die Margarita-Inselgruppe ist übersät mit neuen Hotels, die Immobilienpreise im caracenischen Nobelviertel Chacao vervierfachten sich seit 2002. In den Bars wird bevorzugt teurer, 18 Jahre alter Whis­key getrunken. Der Import von Scotch stieg um 55 Prozent und ließ die Venezolaner zu den größten Whiskeytrinkern Lateinamerikas und den zehntgrößten in der Welt aufsteigen. Erinnerungen an die »Bonanza«-Zeit der siebziger und achtziger Jahre werden wach, als venezolanische Urlauber in Miami für ihre Geldverschwendung bekannt waren.

Geschäftsleute im Country Club von Carácas sagen, dass sie eigentlich keinen Grund haben, etwas gegen Chávez zu un­ternehmen. Die Geschäfte liefen so gut wie lange nicht mehr, das Privateigentum bleibe unangetastet. Selten seien die Bedingungen in Venezuela besser gewesen, um »Geld zu verdienen und Geld auszugeben«, berichtet die britische Tageszeitung Guardian.

Bei so viel Zufriedenheit haben die Geg­ner von Hugo Chávez Probleme, eine Erfolg versprechende Strategie für den Wahlkampf zu finden. Einer hat bereits aufgegeben: Der beliebte Komiker Benjamín Rausseo zog Anfang November angesichts der Polarisierung zwischen Chávez und Rosales seine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl zurück. Sein Kommentar war professionell: »Ich kann kein ernsthafter Politiker sein.«

Der gegen Chávez antretende Gouverneur des Bundesstaats Zulia und Kandidat des Zusammenschlusses Nationale Einheit, Manuel Rosales, will gegen Chávez gewinnen, indem er vordergründig dessen populäre Vorschläge zu mehr staatlicher Regulierung aufgreift. Falls er Präsident wird, will Rosales informelle Arbeitsverhältnisse formalisieren, mit öffentlichen Investitionen Arbeitsplätze schaffen, das Handwerk professionalisieren und angeblich die sozialen Sicherungssysteme verbessern.

Ein anderer Teil seines Programms sieht aller­dings eine Rückkehr zu »neoliberalen« Prinzipien vor – Rezepte, von denen derzeit in Latein­amerika kaum jemand etwas hören mag: Steuer­senkungen für Unternehmer und ausländische Investoren, damit sie mehr Arbeitsplätze schaffen. Außerdem solle über das Rentenalter nach­gedacht werden.

Rosales verspricht eine »neue soziale Demokratie« und grenzt sich damit vom chavistischen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« ab. Auf einer Demonstration von mehreren Hunderttausend am Wochenende in Carácas sagte er, der »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« bedeute nichts weiter, als dass Chávez ein Leben lang Präsident bleibe. Für den Fall seines Wahlsiegs kündigte Rosales eine Ende der engen Zusammenarbeit mit Kuba an. Auch will er die Unterstützung für andere verbündete Länder stop­pen.

Doch er versprach den Venezolanern vor allem das, was sie von Chávez bereits bekommen. Er will die populären »Missionen«, soziale Großprojekte im Bildungs- und Gesundheitsbereich, weiterführen. Auch die Gewinne aus dem Erdölverkauf will er an die Bevölkerung weitergeben.

Die Opposition bietet keine wirkliche Alternative, selbst die Reichen haben entdeckt, dass sie im Bolivarismus ganz gut fahren, und Chávez’ linientreue Anhängerschaft ist nach wie vor groß. Die Widersprüche im System Chávez fallen den Linken gar nicht auf.

Gegen diesen sehr speziellen »Sozialismus« dürfte es schwer sein, etwas auszurichten, zumindest so lange, wie die Erdölquellen sprudeln und der Weltmarktpreis für Rohöl weiterhin so hoch ist. Denn mit den Öleinnahmen finanziert Chávez sein Projekt, von dem – entgegen der Rhetorik – Arme und Reiche profitieren. Auf die Erfüllung ihres Wunsches, endlich wieder das Land zu regieren, muss die Opposition also wahrscheinlich mindestens weitere sechs Jahre warten.