Gefährliche Recherchen

Wer in Kolumbien über Verbindungen zwischen Paramilitärs und der Armee berichtet, lebt gefährlich. Immer wieder werden Journalisten bedroht oder angegriffen. von knut henkel

Neben den »Tipps zur sauberen Recherche« steht bei Jaime Barrientos der »Manual de autoprotección«, das Handbuch zum Selbstschutz, im Regal. Das Buch leistete ihm bei seiner Arbeit für die kolumbianische Nachrichten­agentur »Colprensa« gute Dienste. Denn der 33jäh­rige Journalist ist wie viele andere Kollegen kaum auf seine Tätigkeit vorbereitet worden.

Als journalistischer Neuling berichtete er im Jahr 1997 für den Espectador – damals eine liberale Tages­zeitung, heute eine kritische Wochenzeitung – aus Mapiripán. Dort schlachteten die Paramilitärs unter dem damaligen Oberbefehlshaber Carlos Castaño in einem Monat etwa 30 Menschen ab, weil sie angeblich mit der FARC-Guerilla kollaboriert hatten. Mehrere Einheiten der Armee unterstützten sie dabei, unter anderem indem sie Flugzeuge und Boote bereit stellten. Das »Handbuch zum Selbstschutz« listet für solche heiklen Situationen die Adressen der Militäreinheiten vor Ort und diejenigen der regionalen Organisationen auf. Außerdem finden sich praktische Tipps für die Recherche und den Selbst­schutz.

»Saubere journalistische Arbeit kann Leben retten«, meint Carlos Cortés Castillo. Der Direktor der kolumbianischen Stiftung für Pressefreiheit setzt auf Prävention und eine gute Ausbildung der Kollegen. »Wenn man in Krisenregionen wie Arauca, Santander oder das Valle de Cauca fährt, dann sollte man gut vorbereitet sein«, sagt der jugendlich wirkende Mann. Das sei allerdings bei weitem nicht die Regel. Immer wieder würden junge Journalisten ohne große Erfahrung in diese Regionen ge­schickt, berichtet er. »Die Recherche über die Verbindungen zwischen Paramilitärs und Armee ist hochgefährlich. Das belegen zahl­reiche Morde und auch ein aktueller Fall aus Sucre.«

In dem Bundesstaat, der im Nordosten des Landes liegt, ist der Einfluss der Paramilitärs besonders groß. »Wie weit das reicht, zeigt unserer Meinung nach die Tatsache, dass die Live-Übertragung einer Parlamentsversamm­lung im Fernsehen unterbrochen wurde, als ein Vertreter der Opposition Stellung beziehen wollte«, sagt Cortés. Das Beispiel Sucre ist derzeit in Kolumbien in aller Munde, denn seit die Polizei den Laptop von »Jorge 40«, einem Kommandanten der Paramilitärs, in die Hände bekam und seine E-Mail-Kommu­nikation auswertet, ist eine ganze Reihe von Politikern in Bedrängnis geraten.

Nachdem gegen die Senatoren Álvaro García Romero und Jairo Enrique Merlano, einen Bruder des Bürgermeisters der Provinzhauptstadt Sincelejo, und den Abgeord­neten des Parlaments, Erick Morris Taboada, bereits Anfang November Haftbefehl erlassen worden war, folgten Mitte November weitere. Ein ehemaliger Abgeordneter, Muriel de Jesús Benito, und der frühere Leiter des Geheimdienstes DAS müssen sich verantworten – wegen der Kollaboration mit den Paramilitärs.

Die sind nicht nur in Sucre weiterhin aktiv, sondern auch in anderen Landesteilen, wie der Anwalt für Menschenrechte, Alirio Uribe, berichtet. In Sucre sorgten sie jedoch dafür, dass die Ausgabe der Zeitung El Meridiano de Sucre vom 3. Oktober nahezu vollständig von der Bild­fläche verschwand. Sie wurde einfach aufgekauft. Folglich konnte kaum jemand darin lesen, dass im E-Mail-Verzeichnis des schon erwähnten »Jorge 40« zahlreiche Parlamentarier aus der Region auftauchten. Die Redakteurin Olga Brú Polo hatte darüber berichtet und erhielt Anfang November mehrere Drohanrufe.

Das aktuelle Beispiel aus Sucre ist jedoch nur eines von vielen für die risikoreiche Arbeit der Kollegen in den ländlichen Regionen Kolumbiens. Während die Journalisten in den größeren Städten leidlich sicher sind, ist ihre Situation gerade in den Kleinstädten und Kommunen extrem gefährlich.

»Wer in Sachen Korruption und Klientelismus recherchiert, sich mit der Demobilisierung der Paramilitärs oder den Guerillaaktivitäten beschäftigt, geht ein hohes Risiko ein«, meint auch Marisol Manrique Morales. Die 35jährige Journalistin arbeitet für »Medios para la Paz« (Medien für den Frieden), eine Organisation von Journalisten für Journalisten. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt darin, Kollegen zu unterstützen. Dabei nimmt Man­rique immer wieder Kontakt zu Redaktionsleitern und Herausgebern auf.

»Wir versuchen sie davon zu überzeugen, den Redakteuren mehr Raum für Recherche zuzubilligen und auch Fortbildung zu ermöglichen«, sagt Manrique. Die Resonanz ist nicht schlecht und die Seminare, die die Organisation in den Städten und Regionen des Landes anbietet, kommen recht gut an. Quellen­ana­lyse, Nachrichtenkritik, aber auch die brisanten Themen wie Korruption, Vertreibung, Demobilisierung und Reintegration der Paramilitärs werden behandelt. Auch um den Umgang mit konkreten Bedrohungen geht es. Einige hundert Journalisten haben in diesem Jahr bereits an den Veranstaltungen von »Medios para la Paz« teilgenommen.

Gleichwohl sind die Medien alles andere als Kontrollorgane für Politik und Gesellschaft. Keiner der großen Skandale der Vergangenheit sei von Journalisten aufgedeckt worden. Das seien vielmehr Anwäl­te oder Nichtregierungsorganisationen gewesen, erläutert Fernando Alonso, ehemaliger Redakteur der einflussreichen Wochenzeitung Semana und mitt­lerweile im Dienst der von Gabriel García Marquez gegründeten »Stiftung für einen neuen Journalismus«.

Cortés von der Stiftung für Pressefreiheit teilt diese Einschätzung. »Gleichwohl bemühen sich immer mehr Redaktionen, ihre Qualitätsansprüche zu heben. Das ist nicht leicht angesichts von Bedrohung, Mord und anhaltender Straflosigkeit«, betont Cortés. Die Regierung schaue mehr oder minder untätig zu. »Zwar gibt es ein staatliches Schutzprogramm für gefährdete Journalisten, aber kaum ein Mord ist je aufgeklärt worden. De facto herrscht Straflosigkeit, Journalisten sind quasi Freiwild.«

Und immer wieder hat es Politiker gegeben, die missliebige Journalisten bedrohten. So etwa Julio Gallardo Archbold, der ehemalige Präsident des Repräsentantenhauses, der sagte: »Es gibt einige Journalisten, die an moralische Killer erinnern. Sie können sogar gefährlicher sein als die Herren, die mit Motorsägen spazieren gehen.« Mit dem letzten Satz sind die Paramilitärs gemeint, die mehrere Massaker mit Motorsägen verübten.

Angesichts derartiger Drohungen resignieren viele Journalisten, was zur Folge hat, dass sich an der Straffreiheit nichts ändert. Deshalb sucht Cortés nach einem Präzedenzfall, in dem die Bedrohung eines Journalisten von den Gerichten tatsächlich geahndet wird. Bisher ist er nicht fündig geworden. Angesichts von 103 dokumentierten Angriffen auf die Pressefreiheit im Jahr 2005 ist das ein schlechtes Zeugnis für die Gerichte. Und ein Grund dafür, weshalb die Zahlen in diesem Jahr erneut eine steigende Tendenz aufweisen.