»Die Zypern-Frage muss jetzt gelöst werden«

Ein Gespräch mit niyazi kizilyürek über den Zypern-Konflikt, wegen dem die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei in eine schwere Krise geraten sind

Der Politikwissenschaftler Niyazi Kizilyürek ist einer der wenigen türkischen Zyprioten, die im griechischen Süden der Insel leben. Dort wurde er auch 1964 geboren, ehe er mit seiner Familie nach der wechselseitigen Vertreibung der Minderheiten im Jahr 1974 in den Nordteil übersiedelte. Er studierte und promovierte in Deutschland und unterrichtet seit sechs Jahren am Fachbereich für Türkei­studien der Universität Zypern im südlich gelegenen Nikosia. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Co-Autor des Films »Our Wall«.

Die Türkei erkennt die Republik Zypern nicht an, die ein Mitglied der Europäischen Union ist. Warum sollte die Türkei also in die EU aufgenommen werden?

Die Lage ist in Wirklichkeit viel komplizierter. Die EU hat große Mühe aufgewandt, um ein vereinigtes Zypern aufzunehmen. Auch die Uno war im Jahr 2004 sehr daran interessiert, eine Vereinigung der beiden Teile herbeizuführen. Dies gelang nicht, weil die griechisch-zypriotische Seite die Vorschläge der UN ablehnte.

Ansonsten ist die Zypern-Frage ja schon sehr alt. Man kann nicht nur bis in die Jahre 1974 oder 1964 zurückgehen, als die Insel geteilt wurde, sondern muss viel weiter zurückblicken. Es handelt sich um eine ethnische Frage, die ungelöst ist. Denn eigentlich sollte die Republik ein bikommunaler Staat werden. In Wirklichkeit befand und befindet er sich jedoch in der Hand der griechischen Zyprioten, zum Nachteil der türkischen Bevölkerung. Man sollte diesen Konflikt lösen, ohne die Türkei oder andere Parteien zu bestrafen.

Die Türkei hat in den Verhandlungen mit der EU aber auch kein großes diplomatisches Geschick gezeigt.

Ja. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass die Politik der griechischen Zyprioten darum bemüht ist, eine Gesamtlösung zu verhindern. Vor zweieinhalb Jahren haben sie die Vorschläge der UN zur Vereinigung der Insel abgelehnt. Sie verweigern Gespräche. Die griechische Seite hat lediglich angekündigt, sich auf Gespräche vorzubereiten. Aber niemand weiß, wann dies passieren soll. Will die EU ein für allemal ausschließen, dass es zu einem neuen Krieg auf Zypern kommt, muss sie endlich eine neue Initiative ins Leben rufen und auch der griechischen Seite klarmachen, dass es so nicht weitergehen kann.

Es gibt den Vorschlag aus der Türkei, die EU-Mitgliedschaft und den Zypern-Konflikt voneinander zu trennen. Halten Sie das für sinnvoll?

Ich denke nicht, dass sich dies bewerkstelligen lässt. Es gibt einen unbestreitbaren Zusammenhang zwischen beiden Fragen: Die Republik Zypern ist nun einmal ein Teil der EU. Daher sollte die EU im Hinblick auf Zypern eine klare Politik entwickeln. Bisher hat man immer nur die nächste Krise abgewartet, um dann mit einer Notlösung Abhilfe zu schaffen. Dabei sind die Vorschläge der UN noch immer aktuell. Darüber könnte man wieder sprechen.

Denken Sie, dass der Zypern-Konflikt der EU eine willkommene Gelegenheit bietet, der Türkei die Mitgliedschaft zu verweigern?

Es gibt sicherlich politische Kräfte in der EU, denen die Zypern-Frage als Alibi dafür dient, die Türkei zurückzuweisen. Diese Leute haben jedoch nicht verstanden, um was es geht. Die EU ist schon jetzt kein religiös und kulturell geschlossener Block, sondern ein multikultureller Zusammenschluss. In ihr leben viele Menschen mit unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründen, die EU ist eine politische und ökonomische Gemeinschaft.

Dabei ist die Frage, ob man die Türkei aufnimmt oder nicht, von einer weltgeschichtlichen Bedeutung: Die Beziehungen Europas zum Nahen und Mittleren Osten und die Möglichkeiten der EU, Einfluss auf die dort herrschenden Probleme auszuüben, hängen in einem nicht unerheblichen Maße von einer Aufnahme der Türkei ab. In der Zeit des religiösen Fanatismus sollte man die Frage in diesen größeren Zusammenhang stellen.

Die EU wirft der Türkei vor, ihre Häfen nicht für die Republik Zypern zu öffnen. Der türkische Teil Zyperns ist immer noch isoliert und von einem Embargo betroffen. Sollte man diese beiden Fragen verbinden?

Vor drei Jahren hat die Türkei unter dem Druck der EU ihre Zypern-Politik geändert und sich bereit erklärt, an einer Einigung mitzuarbeiten. Dafür versprach die EU, die Isolation des türkischen Teils der Insel aufzuheben. Das Versprechen wurde aber nicht eingehalten. Die Türkei nun dazu zu zwingen, ihre Häfen zu öffnen, halte ich für falsch. Im Moment geht es den griechischen Zyprioten um die türkischen Häfen, in zwei Jahren wird ihnen etwas Neues einfallen. So wird sich das Spiel endlos hinziehen. Man muss zu einer Gesamtlösung kommen, bei der auch die griechische Seite Zugeständnisse machen muss.

Die türkischen Zyprioten haben im Referendum von 2004 mehrheitlich für eine Vereinigung gemäß der Vorschläge der UN gestimmt. Hält man auf der türkischen Seite die Einheit immer noch für erstrebenswert, oder hat sich die Stimmung seither verändert?

Ich denke, zurzeit würde immer noch eine Mehrheit eine Wiedervereinigung befürworten. Aber ich kann nicht sagen, wie lange die türkischen Zyprioten noch von einer Lösung reden werden, wenn die Entwicklung die derzeitige Richtung beibehält.

Sie sind ohnehin sehr verbittert. Der griechische Teil Zyperns wurde in die EU aufgenommen, der türkische Teil ist nicht einmal international anerkannt. Die Zeit ist ein bedeutender Faktor. Ich befürchte nämlich, dass die Bereitschaft der Türken zur Vereinigung bald schwinden könnte. Deshalb sollte man die Lösung der Zypern-Frage jetzt auf die Tagesordnung setzen und nicht erst in zwei oder drei Jahren.

Wie verhält sich die politische Führung der türkischen Zyprioten?

Die derzeitige Führung hat sich erfolgreich gegen den ehemaligen Präsidenten Rauf Denktas durchgesetzt. Sie hat die türkisch-nationalistische und separatistische Politik abgelegt und sich für eine föderale Lösung ausgesprochen. Doch die Hoffnungen, eine gemeinsame Heimat für griechische und türkische Zyprioten aufzubauen, wurden enttäuscht. Die Regierung hat auf der griechischen Seite keine Verhandlungspartner gefunden, was natürlich ihre Position schwächt. Ich bin mir darum nicht sicher, wie lange sie sich noch an der Macht halten kann. Sie befürwortet noch immer einen gemeinsamen föderalen Staat. Aber dafür ist keine Perspektive vorhanden.

Haben die Türkei und die türkischen Zyprioten die identischen Interessen?

Bis vor drei Jahren gab es keine Gemeinsamkeiten. Die Politik der Türkei war bis dahin stets nationalistisch, für eine Teilung Zyperns und gegen eine föderale Lösung. Mit dem Blick auf die Aufnahme in die EU hat die Regierung Tayyip Erdogans aber eine neue Zypern-Politik begonnen. Sie hat sich von der Zwei-Staaten-Lösung verabschiedet und begonnen, sich für das föderale Modell stark zu machen. Sollte die EU der Türkei in nächster Zeit keine konkrete Aussicht auf eine Mitgliedschaft geben, dürften sich die Ansichten der Türkei in der Zypern-Frage wieder ändern. Das wäre schlecht für die türkischen Zyprioten, die sich für die Einheit des Landes einsetzen, und könnte die nationalistischen und separatistischen Kräfte stärken.

interview: markus ströhlein