Finsterjahre entfernt

Beim Verlag Suhrkamp geht es drunter und drüber. Die Kämpfe um die Macht in dem Verlagshaus gehen weiter. von jörg sundermeier

Die Autorin Katharina Hacker hat es gut. Ihr Buch »Die Habenichtse« hat in diesem Jahr den Deutschen Buchpreis eingeheimst, außerdem ist es rund 150 000 mal über den Ladentisch gegangen, verkündet ihr Verlag, Suhrkamp, stolz. Doch genau dieser Verlag macht ihr mitsamt seiner Verlegerin nun Kummer, wie sie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gestand: »Mehr als je wünsche ich ihr, uns Autoren und den Mitarbeitern, dass bald wieder Konzentriertheit und Selbstdistanz die Verlagsarbeit bestimmen und der Witz, der so anders ist als die verzweifelte Albernheit, zu der einen das Getöse um Grossner und Barlach treibt.«

Claus Grossner und Ernst Barlach haben die Medienholding Winterthur erworben. Die wiederum ist Teilhaberin der Suhrkamp/Insel-Verlagsgruppe. Und Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz, die bekannt ist für ihren harten Führungsstil, ist nicht begeistert. Die Verlagsleitung ließ verkünden, dass sie den Verkauf für ungültig halte. Als Grossner der Süddeutschen Zeitung zudem andeutete, die Verlegerin habe Verlagsvermögen veruntreut, kündigte der Verlag zudem eine Strafanzeige wegen Verleumdung an.

Auch andere Suhrkamp-Autoren sind aufgebracht. Peter Handke schreibt in unverkennbarer Handke-Art, »die Weise, in der da verkauft und gekauft wurde und in der danach von Seiten des Verkäufers wie auch des Käuferpaars aufgetreten wurde, ist Licht-, nein Finsterjahre entfernt von der Gewissenhaftigkeit eines ordentlichen Kaufmanns«. Adolf Muschg, Thomas Meinecke, Kevin Vennemann, Christoph Hein, Angela Krauß, Albert Ostermaier und Hans-Ulrich Treichel meinen in einer Erklärung: »Wir fühlen uns wohl in diesem Verlag.«

Die Art der Auseinandersetzung ist neu in der sonst eher diskret arbeitenden Branche, Schlammschlachten werden nicht veranstaltet. Man betrachtet die Verlage, die ja nichts anderes als Unternehmen sind, gemeinhin als Kulturgut und behandelt sie wie ein teures Gemälde. Doch Grossner und Barlach haben einen neuen Tonfall angeschlagen. Sie behaupten, den Suhrkamp-Verlag retten zu müssen. Wovor? Der Verlag hat nach eigener Auskunft bislang keine roten Zahlen geschrieben, angesichts der andauernden Krise des Buchhandels ist das nicht wenig. Barlach und Grossner, die Joachim Unseld, einen weiteren Anteilseigner, an ihrer Seite wissen, scheint es jedoch noch um etwas anderes als nur um Erträge zu gehen.

Im Jahr 2002 verstarb der langjährige Verleger Siegfried Unseld, rund ein Jahr später wurde seine Frau, Ulla Unseld-Berkéwicz, seine Nachfolgerin. Schon kurz vor Unselds Tod war der Verlag in die Schlagzeilen geraten, da sich Unseld-Berkéwicz und der damalige Verlagsleiter Günter Berg heftig darüber gestritten hatten, ob Suhrkamp das Schmierenstück »Tod eines Kritikers« von Martin Walser drucken solle. Berg entschied sich für den Roman, damals hieß es, auch Siegfried Unseld, der bereits auf dem Sterbebett lag, trage diese Entscheidung mit. Unseld-Berkéwicz dagegen ging auf Distanz zu Walser, der schließlich 2004 den Verlag wechselte. Im 2003 übernahm Unseld-Berkéwicz die Verlagsleitung. Bald verließen Berg und andere Verlagsmitarbeiter aus unterschiedlichen Gründen den Verlag. Andere Autoren, etwa Daniel Kehlmann, dessen Oberprimanerroman »Die Vermessung der Welt« gerade die Bestsellerlisten beherrscht, gingen ebenfalls. Dass die Suhrkamp-Verlagsleitung in bester Patriarchenmanier Mitarbeiter verdrängt, ist allerdings nicht neu, unter Unseld selig schieden zahlreiche »Kronprinzen« aus dem Verlag aus.

In anderen Verlagen geht es nicht anders zu. Als jüngst der Verlag Dumont einen neuen Verleger bekam, kündigten ebenfalls viele führende Mitarbeiter. Suhrkamp aber ist – spätestens seit George Steiner das Wort von der »Suhrkamp-Kultur« prägte – ein Verlag, an dem Feuilletonisten Anteil nehmen, als handele es sich um die eigene Arbeitsstelle. Ein Großverleger hat kürzlich einem Fachblatt gesteckt: »Ich könnte mich entleiben, und kein Journalist würde darum viel Aufhebens machen.« Der ungenannt bleibende Verleger freut sich augenscheinlich, denn er kann seine Geschäfte in aller Ruhe verfolgen.

Angesichts von Unseld-Berkéwicz drehen die Feuilletonisten nun sogar durch. Zwar beobachteten sie schon früher genau, wie Siegfried Unseld erst seinen Sohn Joachim und danach weitere potenzielle Nachfolger vertrieb, und äußerten Bedenken, nie aber hätten sie den Verleger offen angegriffen. Die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz hingegen gilt als Totengräberin der »Suhrkamp-Kultur«. Es war beispielsweise dem Feuilleton kaum eine Meldung wert, dass sie Christa Wolf als Autorin gewinnen konnte. Doch bei jedem Autor, jedem Mitarbeiter, der den Verlag verlässt, ist die Empörung groß. Mal wird Ulla Unseld-Berkéwicz als esoterische Spinnerin dargestellt, mal als unfähige Programmleiterin, mal als untaugliche Geschäftsführerin, mal als zickige Herrin.

Wir wissen nicht, was stimmt. Wir wissen nur: Ulla Unseld-Berkéwicz ist keine Inge Feltrinelli (die immerhin im Stiftungsrat der Familienstiftung von Siegfried und Ulla Unseld-Berkéwicz, der offiziellen Mehrheitsgesellschafterin der Verlagsgruppe, sitzt), der Suhrkamp-Verlag kein linker Verlag, und nicht alle Mitarbeiter und Autoren sind mit ihr glücklich. Doch sind auch die Feuilletonisten bislang nicht in der Lage, einen ehemaligen Mitarbeiter oder Autor zu präsentieren, der bezeugt, dass Unseld-Berkéwicz von Witwenwahn oder vom Teufel geleitet wird.

Umso mehr freuten sich die Feuilletonisten nun, Claus Grossner zu haben, der frech daherplappert, was man immer hören wollte. Der, dem Börsenblatt des deutschen Buchhandels zufolge, »ungeheuer egozen­trische Mann« sagt Reklamequatsch wie den, dass Suhrkamp »die wohl bedeutendste Brain-Ikone der deutschen Verlagslandschaft« sei. »Wir können dem Verlag sehr viel beibringen«, meint er, der bislang noch in keinem Buchverlag gearbeitet hat, aber das Programm gestalten will. Auch behauptet er, dass Unseld-Berkéwicz »als Geschäftsführerin überfordert« sei. Sie tue ihm leid. Und sein Partner Barlach sekundiert höhnisch: Frau Berkéwicz solle sich »zur Entspannung andere Wirkungsfelder suchen«. Der Verlag Suhrkamp lässt derweil den Anwalt sprechen.

Die Freude über die Angriffe auf Unseld-Berkéwicz lässt das versammelte Feuilleton vergessen, dass letztgenannte die Anteilsmehrheit am Verlag hält, die Herren Barlach und Grossner also gar nicht ins Programm eingreifen können. Es müssten sehr grobe Verletzungen ihrer Pflichten sein, die die Verlegerin zum Rücktritt zwingen könnten. Der heimliche Wunsch aber, dass diese Frau »gestürzt« werden könne, lässt das Feuilleton noch den wildesten Wahnwitz glauben. Es geht dabei offenbar jedoch nicht um den Suhrkamp-Verlag, dessen Programm man ja weiterhin obligatorisch lobt, es geht um die Verlegerin.

Dem Börsenblatt war zu entnehmen, dass Claus Grossner seine Gäste gern auf eine Toilette in seiner Villa führe. »In der Toilette auf dem Fensterbrett liegt eine Taschenbuchausgabe von ›Tabu I‹. Peter Rühmkorf hat in dem Band seiner Tagebücher auch etwas über den kleinen, dunkel gekachelten Raum im Erdgeschoss des Hauses geschrieben. Grossner zeigt mir die Seite im Buch.« Dass man einem solchen Parvenü glaubt, seine Verlautbarungen für mitteilungswürdig hält und ihnen seit rund einem Monat beinahe täglich Platz einräumt, ist nicht anders als mit Frauenhass zu erklären.

Einschlafhilfe. Der Suhrkamp-Verlag wurde im Jahr 1950 gegründet. Er veröffentlichte Werke von bedeutenden Autoren wie Thomas Bernhard, Paul Celan, ­Peter Weiss und Wolfgang Koeppen. Aber auch welche von Durs Grünbein, Hans Magnus Enzensberger und Peter Handke.