Schau weg!

Hörzu wird 60 Jahre alt. Ein Geburtstagsständchen von elke wittich

Wie es sich für ein Geburtstagskind gehört, wird nicht nur gefeiert, sondern auch zurückgeblickt. Auf das erste Titelbild der Hörzu, das die Rückseite der aktuellen Ausgabe ziert, auf besondere Momente, wichtige Rubriken wie »Fragen Sie Frau Irene«, von der die Macher schon längst zugegeben haben, dass sie in Wirklichkeit von einem Mann geschrieben wurde, auf den Igel Mecki und seine Freunde Lur­chi, Schrat und Unkerich, auf Skandale und Sendungen, und natürlich auch auf die sich wandelnden Zeiten.

In den Würdigungen fehlt allerdings ein entschei­dender Punkt: die Programmzeitschrift als Indiz für den Erziehungsstil. Denn um zu wissen, wie es bei Schulfreundinnen zu Hause zuging, reichte ein Blick auf die ausliegenden Illustrierten, nach dem Motto: »Zeig mir, welche Programmzeitschrift deine Familie liest, und ich sage dir, wie sie dich behandelt!«

Wer das Pech hatte, in einer Hörzu-Familie aufzuwachsen, lebte in einem durch und durch reglementierten Haushalt, in dem es keine Chance gab, eine der populären Se­rien zu gucken oder gar einen der nicht jugendfreien Filme, die am nächsten Tag auf dem Schulhof das Hauptgesprächsthema sein wür­den. In Hörzu-Familien wurde die Zeitschrift von den Erziehungsberechtigten gewissenhaft durchgearbeitet. Tierfilme, Kleinkinder­sendungen und Städteporträts erhielten einen Kringel und galten damit als erlaubt, ein Fragezeichen markierte Musikshows, bei denen man nicht ganz sicher war, ob sie nicht etwa jugendverderbende Nacktheit, Gossensprache oder politische Verderbtheiten enthalten würden, und ein schwungvoll hingemal­tes X bedeutete: Der Fernseher bleibt aus.

Und das war schlimmer als die anderen Verbote, die sich auf das Tragen unspießiger Klamotten oder das Trinken von Cola erstreckten. (Die Gummi-Cola­fläschchen waren nur deswegen so erfolgreich, weil irgendjemand den Hörzu-Kindern eingeredet hatte, wenn man sie nur lange genug in Wasser auflöse, habe man die verpönte braune Brause.)

Die erste Rundfunk-Zeitung war die Hörzu nicht. Die Radio-Woche wurde bereits Ende 1945 als kostenlose Zeitschrift von Radio Stuttgart an die Hörer verteilt. Weitere, loka­le Programmblätter wurden in den ­jeweiligen Sektoren der Alliierten ­genehmigt, eine im ganzen Land erscheinende Zeitschrift fehlte jedoch.

Im Sommer 1946 erhielten Axel Springer und sein Vater Hinrich schließlich nach mehreren vergeblichen Anfragen die Lizenz für eine Hörfunkzeitschrift. Zuvor hatte der Verleger Gerd Bucerius die ihm von den Briten angebotene Genehmigung mit den Worten abgelehnt, er wolle keine »Programmfahrpläne« herausgeben.

Im Sommer 1950 wurde es plötzlich ungeheuer aufgeregt in der heilen Hörzu-Welt: Das Titelbild der Nummer 24 zeigte, passend zur Überschrift »6 UKW-Geräte zu gewinnen«, ein malerisch auf einem in einer Badebucht gelegenen Felsen drapiertes Kofferradio, im Vordergrund eine Frau im trägerlosen Bikini, neben der ein tarzanähnlicher Mann lehnte. »Dr. J. K. aus Süchteln« brachte in seinem Leserbrief die Meinung der Hörzu-Leser auf den Punkt: »Man braucht nicht prüde zu sein. Aber so fängt es an! Videant consules!« Die Redaktion antwortete prompt: »Wir begrüßen jede kritische Äußerung unserer Leser. Auch dann, wenn sie sich mit uns beschäftigt. Wir hatten nur die Absicht, ein sonnenfrohes sommerliches Badebild zu bringen, und wir glaubten, allen unseren Lesern mit dem Foto des französischen Schönheitskönigs eine besondere Freude machen zu können. Leider haben wir uns geirrt.«

Zehn Jahre später, zum ersten runden Jubiläum der Zeitschrift, wurde das Foto in einem Rückblick noch einmal gedruckt – retuschiert. Statt des anstößigen Bikinis trug das Mannequin nun einen züchtigen Badeanzug.

Auch die Comicfigur Mecki kam zunächst nicht gut an. »›Nehmen Sie doch dieses scheuß­liche Vieh nicht auf die Titelseite‹, warnte mich damals meine Bildredaktion, ›das wird viele unserer Leser abstoßen!‹« schrieb Edu­ard Rhein in seinem Rückblick auf »Zehn Jahre Hörzu«.

Die Leser liebten Mecki allerdings bald, das piefige, spießige Stacheltier, das immerhin nette anarchistische Freunde hatte, wurde sogar als Plastikfigur hergestellt; die Miniaturen haben heute beträchtlichen Sammlerwert.

Aus der Hörzu wurde eine Fernsehprogrammzeitschrift. In späteren Jahren kämpfte sie für mehr Programmvielfalt, bemängelte unermüdlich die ständigen Wiederholungen in den Öffentlich-Recht­lichen und forderte die Einführung des Privatfernsehens.

Interessant sind im Rückblick die Briefe, die die Leser an ihre Programmzeitschrift schrieben und die von Axel Schneider auf der Homepage www.zuschauerpost.de neben historischen Artikeln und Fernsehkritiken präsentiert werden. Diese Leserbriefe zeigen nämlich eins: Sehr viel hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht geändert.

»In der Jugendsendung ›Rot-Gelb-Grün‹ zeigte ein Polizeibeamter einen Schlag, mit dem man einen Erwachsenen niederschlagen und sogar lebens­gefährlich treffen kann. So etwas muss jeden jugendlichen Rowdie zum Nachahmen reizen. Solche Unvernunft ist mir unverständlich«, empörte sich etwa ein »Dr. F. K. aus Bottrop« Ende der fünfziger Jahre über Gewaltdarstellungen im Fernsehen. Diesen Brief könnte man, abgesehen von dem altmodischen Wort »Rowdie«, so oder so ähnlich noch heute auf den Lesermeinungsseiten der großen Zeit­schriften finden. Wie auch den aus dem Jahr 1961: »Wie kann man es nur wagen, uns diese Heimatschnulze zu bieten?« schrieb »Th. S. aus Lustheide bei Köln« damals über einen Kitschfilm.

Auch das pünktlich im Frühjahr einsetzende Lamento über den Grand Prix und den deutschen Beitrag zu ihm hat durchaus Tradition. Im Jahr 1961 schrieb ein entrüsteter Zuschauer über das »europäische Schlagerfestival«: »Laut Lexikon ist Chanson ›die gesungene epische und lyrische Dich­tung‹. Das konnte man von dem deutschen Beitrag nicht sagen. Uns schien, dass die deutsche Jury bei der Auswahl des Chansons von allen guten Geistern verlassen gewesen ist.«

Acht Jahre später, es war gerade das »Lied für Madrid« gesucht und gefunden worden, war »Elisa­beth W. aus Berlin« todunglücklich: »Deutschland, wo sind deine Komponisten geblieben, deren Schla­ger einst um die Welt gingen und Jahrzehnte überdauerten? ›Primaballerina‹, gesungen von Siw Malm­kvist, wird ebensowenig ein Weltschlager werden wie im vorigen Jahr ›La, la, la‹.«

Und im Jahr 1978 hatte sich an der Schlager­misere immer noch nichts geändert, wie »Andrea K. aus Hamburg« feststellte: »Nachdem der deutsche Beitrag ›Die Sommermelodie‹ mit Cindy & Bert beim Grand Prix Eurovision in Brighton nur den letzten Platz zusammen mit der Schweiz und Portugal belegen konnte, glaube ich, dass es doch besser für Deutschland gewesen wäre, wenn Bert mit Ernie gesungen hätte.«

60 Jahre Hörzu zeigen vor allem eines deutlich: Früher war alles genauso schlecht.

Aber immerhin: Kein Kind glaubt heute noch, dass ein Viertelpfund in Wasser aufgelöste Cola-Gummis auch wirklich Cola ergibt.