Einbürgerungsrückstände gesucht

Das neue Einbürgerungsgesetz in den Niederlanden forciert einen Paradigmenwechsel gegenüber der bisherigen, auf Freiwilligkeit beruhenden Integrationspolitik. von tobias müller, amsterdam

Linda da Mangueira hat eben noch die Kurve gekriegt. Rechtzeitig zum Jahresende hat die Brasilianerin ihren Niederländischkurs abgeschlossen. Das dazugehörige Diplom ist von besonderer Bedeutung: Da Mangueira hat damit ihre »Einbürgerungspflicht« erfüllt, die seit dem 1. Januar ein Kernstück der niederländischen Ausländerpolitik darstellt. Jan Vlasveld, ihr Lehrer an einer Sprachschule in Amsterdam-Noord, hat seine Schüler eindringlich gewarnt: »Dieses Examen ist nach dem neuen Gesetz obligatorisch. Gratiskurse wie diesen wird es nicht mehr geben, zumindest einen Teil der Kosten müssen die Schüler selber aufbringen.«

Gut drei Jahre nachdem die damalige Mitte-Rechts-Koalition eine drastische Verschärfung ihrer Ausländerpolitik angekündigt hat, ist das neue Einbürgerungsgesetz dieser Tage in Kraft getreten. Zuwanderern von außerhalb der EU bürdet es eine Reihe von Pflichten auf: so etwa die Teilnahme an Kursen zum Erwerb von Sprach- und Landeskenntnissen und das Ablegen eines Einbürgerungsexamens innerhalb von fünf Jahren. Dass die Migranten sich an den Kosten der Kurse beteiligen müssen und dass ernsthafte Sanktionen im Falle der Nichtteilnahme angedroht werden, bedeutet einen endgültigen Paradigmenwechsel gegenüber der bisher auf Freiwilligkeit beruhenden Integrationspolitik. Die alte, seit 1998 gültige Regelung hatte die Verbindlichkeit solcher Maßnahmen zwar formell eingeführt, in der Praxis war dies jedoch kaum realisiert worden.

Hingegen verfügt die künftige Regierung nun über eine Reihe von Instrumenten, um die Einbürgerung gemäß ihren Vorstellungen zu gestalten. Einer Presseerklärung des Justizministeriums zufolge bestimmt das neue Gesetz, »auf welche Weise sich ethnische Minderheiten in die niederländische Gesellschaft integrieren müssen«. Dass davon ausdrücklich auch Menschen betroffen sind, die seit Jahren im Land leben, weist darauf hin, dass die Änderungen durchaus als Korrektiv zu verstehen sind. Auch diesen oudkomers genannten Einwanderern wird damit gezeigt, dass nun die vermeintlichen Fehler einer Politik berichtigt werden, für die in den Niederlanden der Ausdruck »multikulturelles Drama« verwendet wird. Selbst wer inzwischen einen niederländischen Pass besitzt, kann sich unter Umständen mit den eigenen »Einbürgerungsrückständen« konfrontiert sehen.

In der permanenten Gegenüberstellung von »Einwanderern« und der »niederländischen Gesellschaft« erscheint letztgenannte als homogene Einheit, in der der Migrant im besten Fall aufgehen kann, wenn er seine Bringschuld abgeleistet hat. Im Kern erinnert dies an den Vorschlag des Rechtspopulisten Geert Wilders (Freiheitspartei), verbind­liche individuelle Integrationskontrakte abzuschließen, die je nach Erfüllung zu Aufnahme oder Abschiebung führen. Auch die nun beschlossenen Maßnahmen sollen von September 2008 an die Erteilung dauerhafter Aufenthaltsgenehmigungen regulieren.

Auf lokaler Ebene werden die neuen Vorgaben durchaus im alten Ton verkauft. Die Kommune Amsterdam z.B. will Menschen »die Chance geben, (besser) Niederländisch zu lernen«, und verhindern, dass sie »in die Isolation geraten«. Offiziell bekennt sich jedoch auch die Vereinigung Niederländischer Gemeinden (VNG) zur Zielsetzung der verpflichtenden Einbürgerung. Um eine »sorgfältige Einführung« des Gesetzes zu gewährleisten, bat die VNG noch im Herbst die Abgeordneten der Ersten Kammer um einen dreimonatigen Aufschub. Diese gaben jedoch dem Druck des Kabinetts, wonach eine schnelle Einführung gesellschaftlich dringend geboten sei.