Der Dieter hat die Haare schön

Deutschland sucht schon wieder einen »Superstar«. Peinlicher als die Kandidaten ist nur Jurymitglied Dieter Bohlen selbst. von elke wittich

Der Mann ist berüchtigt für seine bösartig-ironischen Kommentare, mit denen er die Hoffnungen von Menschen, die sich selbst als zukünftige Stars sehen, aber objektiv betrachtet keinerlei musikalische Fähigkeiten haben, blitzschnell und gründlich zunichte macht. Bemerkungen wie »Glückwunsch, du hast gerade eine völlig neue Form der Folter erfunden!« machten den Juroren zum Schrecken aller Talentlosen und gleichzeitig zum Liebling von Millionen schadenfroher Zuschauer der Castingshow.

Der Mann heißt nicht Dieter Bohlen, sondern Simon Cowell. Die Sprüche des britischen Musikmanagers sorgten mit dafür, dass das Format »Idols«, das der RTL-Show »Deutschland sucht den Superstar« zugrundeliegt, zu einem weltweiten Erfolg wurde – und in fast jedem Land, in dem seither ein neuer »Superstar« oder ein neues Idol gesucht wird, ein grantiger Mann in der Jury sitzt, der statt einer höflich formulierten Ablehnung gemeine Sätze sagt wie: »Würden wir deine Stimmbänder in Säure schmeißen, dann hätten wir ein gelöstes Problem.«

Dabei hatte der Produzent und Manager der Spice Girls, Simon Fuller, seine aufgrund von Titelschutzproblemen in Deutschland als » … sucht den Superstar« laufende Serie »Idols« im Jahr 1998 zunächst als globales Internetprojekt geplant. Die Verwirklichung seiner Idee, Webuser darüber abstimmen zu lassen, welche Kandidaten sich ihnen in einer Live-Übertragung präsentieren dürften, scheiterte allerdings schon in der Planungsphase an den erwarteten technischen Schwierigkeiten. Die Bandbreite reichte damals noch nicht aus, außerdem wäre es kaum möglich gewesen, Manipulationen des Votings zu verhindern.

Nachdem dann Formate wie »Big Brother« und »Popstars« das Reality-TV in der ganzen Welt etabliert hatten, änderte Fuller kurz entschlossen sein Konzept und fügte Elemente der in den siebziger Jahren erfolgreichen britischen und amerikanischen Talentshows, wie Liveauftritte und Publikumsbeteiligung, hinzu. Im Gegensatz zu »Popstars«, wo die Zuschauer an der Entstehung einer Retortenband beteiligt sind, wird bei »Idols« ein Solokünstler gesucht; in beiden Fällen sollten die Gewinner jedoch nicht mit dauerhaftem Ruhm rechnen. In Deutschland schafften die No Angels, Sieger des ersten »Popstar«-Contests, es immerhin, sich zwei Jahre an der Spitze zu halten, bis sie sich auflösten. Den nachfolgenden Castingbands gelang nichts Vergleich­bares. Von den insgesamt 85 bisher in 32 Ländern ermittelten »Popstar«-Bands existieren 33 bereits nicht mehr.

Von den Gewinnern des Konkurrenz-Formats »American Idol« gelang es nur der Siegerin der ersten Staffel, Kelly Clarkson, bekannt zu werden, obwohl sie beim anschließenden »World Idol«-Contest überraschend dem Norweger Kurt Nielsen unterlegen war. Die deutsche Veranstaltung müsste eigentlich »Deutschland sucht das One-Hit-Wonder« heißen, denn während dem ersten Sieger und heutigen Musical-Darsteller Alexander Klaws einige Charterfolge gelangen, hielten die Karrieren der späteren Gewinner, Elli Erl und Tobias Regner, nur sehr kurz an.

Diese nur mittelmäßigen Aussichten halten potenzielle »Superstars« und ihre Zuschauer allerdings nicht vom Teilnehmen und Zugucken ab. Die gerade gestartete vierte deutsche Staffel von »Deutschland sucht den Superstar« scheint ebenso erfolgreich zu werden wie ihre Vorgänger, zumindest was die Quote angeht.

Allerdings hatte es in deren ersten Folge zunächst so ausgesehen, als wäre das Format endgültig zur Klamotte verkommen.Das war von den Machern auch exakt so gewollt, denn wer ein Casting auf Mallorca abhält, rechnet ganz sicher nicht mit hochtalentierten Bewerbern, sondern mit betrunkenen Jungprolls und gleichermaßen schlampigen wie stimmlosen Blondinen. Entsprechend war der Tiefpunkt auch schon nach einer knappen Viertelstunde erreicht, als nach etlichen angetüddelten Kegelclub-Mitgliedern Johanna M., eine nur unzureichend bekleidete Mittvierzigerin, zum Casting antrat. Und, aus nicht nachvollziehbaren Gründen, den Vortrag ihres Liedes »Ich hab’ die Haare schön« nicht nur ins gefühlt Unendliche ausdehnen, sondern unter Verweis darauf, dass sie auch »die Möpse schön« habe, ihre wabbeligen Brüste auspacken durfte.

Ein Fall für Stefan Raab? Nicht mal das, denn tags darauf verkündete der selbsternannte »Mallorca-König« Jürgen Drews, von nun an die künstlerische Kar­riere der drallen Diseuse vorantreiben zu wollen.

Immerhin, in Wiesbaden und den anderen Orten der Vorausscheidungen hatte sich die Casting-Lage dahingehend normalisiert, dass die Bewerber in den meisten Fällen nicht alkoholisiert erschienen waren. Bohlen, vom mallorcinischen Kandidatenelend erkennbar genervt, kam zudem langsam wieder in Form – auch wenn seine Sprüche vermutlich im Voraus geschrieben werden. »Wer eine tolle Stimme hat, kann ruhig scheiße aussehen, aber du hast keine tolle Stimme«, bekam zum Beispiel eine stark übergewich­tige Bewerberin von ihm zu hören. Das war nicht nett, aber zum einen dürfte die Frau ihre Konfektionsgröße kennen, und zum anderen kann man davon ausgehen, dass jeder, der sich als künftiger »Superstar« vorstellt, weiß, was ihm bevorsteht. Im Unterschied zum unerträglichen Bekuscheln der Kandidaten bei »Popstars«, wo zum Schluss der gerade zu Ende gegangenen Staffel selbst der gnadenlose Detlev Soest im Grunde nichts anderes mehr getan hatte, als pausenlos die Talentlosen vollzuschleimen. »Du wirst deinen Weg auch ohne uns machen« ist dabei nichts als eklige Heuchelei, denn wer rausfliegt, wird nie wieder gesehen, so einfach ist das.

Und das wissen auch die Versager selber, wie der verzweifelte Zusammenbruch einer 19jährigen bewies, die nun statt Superstar Fri­seuse werden muss. Wie immer in solchen Situationen war es Bohlen überlassen, die finale Ablehnung auszusprechen. Und so richtet sich auch alle Aufmerksamkeit der Bewerber auf ihn. Die Outfits der Frauen ähneln verdächtig häufig dem, was seine jeweils aktuelle Freundin so trägt, während manche männlichen Bewerber versuchen, an das Gute im selbsternannten Drecksack zu appellieren. Zumindest dies funktioniert nicht, auch der 17jährige Dennis, der zuvor in einem Einspieler mit den Worten »Ich bin mir sicher, dass er in Wirklichkeit nicht so’n Arsch ist« gezeigt wurde, erklärte nach seiner Abfuhr kurz und bündig: »Was’n Arsch!«

Überhaupt, die Einspielungen. Wann immer jemand vor seinem Vortrag kurz por­trä­tiert wird, kann man zu Hause vor dem Fern­seher wetten: Kommt nun die absolute Vollkatastrophe oder ein künftiger Finalteilnehmer? Dazwischen gibt es nichts, keinen Durchschnitt, niemanden, der mittelmäßig singt und aussieht. Vielleicht werden solche Leute auch vorab aussortiert, denn es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Jury wirklich jeden Bewerber begutachtet. Wenn jeder Kandidat Bohlen und Co. eine Minute lang beschäftigen würde – was inklusive Begrüßung, kurzer Vorstellung, Singen und Beurteilung eher optimistisch gerechnet ist, wäre für 1 000 Superstar-Anwärter ein Zeitaufwand von 16,5 Stunden erforderlich. Insgesamt haben sich nach einer RTL-Pressemitteilung für diese Staffel jedoch 28 597 Bewerber vorgestellt, die innerhalb von jeweils 60 Sekunden abzufertigen fast 433 Stunden, also rund 20 Tage, ohne Pause, dauern würde. Und so lange kann selbst Dieter Bohlen nicht am Stück der Arsch sein.