Stücke verkaufen

Warum man einen Job braucht, wenn man Revolution machen will. von jörg sundermeier

Machen wir es wie Brecht: Als der Dichter Mitte der zwanziger Jahre das Bedürfnis nach einem Automobil verspürte, schrieb er für den Automobilproduzenten Steyr ein Werbegedicht und wurde dafür mit einem Wagen entlohnt. Später hatte er mit nämlichem Wagen einen schweren Unfall. Er überstand ihn nahezu unverletzt, erklärte, dass er dieses Glück nur dem Modell zu verdanken habe, und bekam dafür von der Automobilfirma prompt einen neuen Wagen. Daran ist nichts Verwerfliches. Sein Gedicht von den »Singenden Steyrwägen« (»Unser Motor ist: / Ein denkendes Erz«) ist schlecht, doch hat es seinem Werk nicht geschadet und seinen Blick nicht getrübt.

Warum sollten radikale Linke kein Geld haben wollen? Es kommt darauf an, wie sie es verwenden. Von Ronald M. Schernikau wissen wir, dass ein Revolutionär, der die Revolution nicht auch um seiner selbst willen erstrebt, kein guter Revolutionär sein kann. Wer unbedingt »Toter auf Urlaub« sein will, der kämpft für eine Sache, die seine eigene nicht ist, und ist bereit, sich für Ideen von Nation und Staat, von Mutterschaft und Arbeitsglück, in der das Individuum hinter Konzepten verschwindet, selbst aufzugeben. Wer sich für etwas aufopfert, ohne für sich selbst gleiche Opfer einzufordern, der soll für mich nicht revoltieren. Ich traue ihm nicht.

Das Ideal vom armen Künstler, der arm sein muss, um Künstler sein zu dür­fen, ist ein elend romantisches, das sich bedauerlicherweise auch als Konzept für Revolutionäre etabliert hat. Verachtung befällt mich, treffe ich auf stu­dierte Mao-Anzug-Träger mit Schlag­mütze, die ihren Hass in Selbsthass verwandelt haben und sich an stinkenden Orten schlechtes Schleim­futter rein­­schaufeln, dessen Nährwert sich von dem des verhassten Fastfood kaum unterscheidet. Asketen, die mit jesusgleichen Gesten Wasser statt Wein predigen, nerven – wozu hat Jesus Was­ser in Wein verwandelt? Ist die Revolution eine klösterliche Angelegenheit? Ist Kritik eine Methode des schlechten Geschmacks? Wir wollen doch die Reichen nicht enteignen, weil wir den guten Whisky wegschütten wollen. Wir wollen ihn selbst trinken.

Geld selbst ist nicht gut, doch es stinkt bekanntlich nicht. Es kommt darauf an, wie man es verarbeitet. Verkauft sich einer einmal an die Firma Steyr, um einen Wagen zu bekommen, und schreibt im nächsten Augenblick – zufrieden! – an der »Maßnahme«, so kann man ihm das nicht übel nehmen. Schreibt er ein Boulevardstück namens »Dreigroschenoper« und erkennt danach einen Fehler, nämlich die schwache Kritik im Stück, soll er dann auf seine Honorare verzichten? Sollte er sein Stück nicht stattdessen selbst inszenieren, besser, und einen Roman schreiben, den »Dreigroschen­roman«, in dem er die früheren Fehler korrigiert? Der Roman wird allerdings nur gelesen, weil das Stück Erfolg hat, und wird eben nicht nur gelesen, sondern es wird auch über ihn nachgedacht, er wird besprochen und kritisiert.

Ist es nicht löblich, wenn einer einen Job in einer konservativen Tagesszeitung annimmt und dort den »linken Clown« spielt? Daran ist nichts Schändliches. Wenigstens dann nicht, wenn er die Muße hat – und Muße braucht es für gute, aber nicht finanzierte Arbeit –, in einer linksradikalen Wochenzeitung bessere Artikel für quasi kein Honorar zu publizieren, bessere Artikel als die vieler verarmter Autoren?

Nun gibt es den Einwand, dass Arbeit für die Ideologieindustrie verblödet. Stimmt oft. Doch möge erst einmal jemand nachweisen, dass Hartz IV oder ein Job bei Aldi oder als Kabelträger beim Fernsehen helfen, sich seine kritische Intelligenz zu bewahren. Nicht mehr hungrig zu sein, heißt nicht, dass man satt ist. Aber es denkt sich besser, wenn man satt ist.

Der Musiker Wolfgang Seidel sagt: Wenn du revolutionäre Musik spielen willst, such dir erst mal einen Job. Recht hat er, denn Not korrumpiert. Und schon mancher Revoluzzer hat am Ende ein flokatiweiches »Smells Like Teen Spirit« gespielt, da er seinen Aufstandswillen auf Dutzenden von Touren verloren hat.

Ohne ein bisschen Selbstprostitution geht es zwar nicht, doch ein linker Aktionismus, der aus Zuhälterei oder aus rücksichtsloser Selbstprostitution finanziert wird, ist auch nichts wert. Entscheidend ist nicht, wo man sein Geld verdient. Es ist wurscht, ob dies beim Deutschlandfunk oder beim Betteln stattfindet. Die Frage ist, wofür man kämpft. Sollten etwa die Bolschewiki all das Geld zurückzahlen, dass sie Parvus schuldeten, weil Parvus nicht immer auf der richtigen Seite war? Bitte, hört doch mit diesem asketischen Kunstmist auf!