Anonym enttarnt und einzeln betreut

Im Berliner Sozialforum und anderen politischen Gruppen tummeln sich Spitzel. Darüber, wie mit ihnen umgegangen werden soll, wird heftig diskutiert. von ralf hutter

Wir wollen jetzt den Körting unter Beschuss nehmen!« Peter Grottian, Professor für Politikwissenschaften an der FU Berlin, spricht klare Worte. Der Grund für die Wut auf den Innensenator Ehrhart Körting (SPD) liegt in einem gebrochenen Versprechen aus dem vorigen Sommer. Danach sollten alle Personen, über die der Verfassungsschutz (VS) im Rahmen der Über­wachung des Berliner Sozialforums Informationen gesammelt hat, die entsprechenden Akten einsehen dürfen. Der Verfassungsschutz des Landes und der des Bundes hatten das Sozialforum trotz seines weder konspirativen noch revolutionären Cha­rakters seit dessen Gründung von Spitzeln beobachten lassen. Als Grund mussten »gewaltbereite Autonome« herhalten, zu denen das Sozialforum angeblich Kontakt habe.

Bekannt gemacht hatte die Geschichte der Spiegel im Juni, und bald musste sogar die Berliner Verfassungsschutzbehörde einräumen, dass zumindest die Bespitzelung von Einzelpersonen, die nicht zu den »gewaltbereiten Autonomen« gezählt wurden, einen überzogenen Eingriff in persönliche Grundrechte darstellte.

Grottian, der, wie es zunächst hieß, nur wegen vermeintlicher persönlicher Kontakte zu »Gewaltbereiten« observiert wurde, sollte vorab das über ihn erstellte 80seitige Dossier durchsehen dürfen, was auch geschah. Seitdem aber wird allen anderen die Akteneinsicht mit dem Hinweis auf laufende Ermittlungen verweigert. Möglicherweise will der Verfassungsschutz anderen Betroffenen Erkennt­nisse, wie Grottian sie beim Studium seiner Akte gewann, nicht ermöglichen.

Dieser stellte nämlich nicht nur fest, dass die Behörde aus verschiedenen, auch konspirativen, politischen Gruppen Informationen über ihn zusammen­getragen hatte, sondern war auch in der Lage, trotz vieler unkenntlich gemachter Stellen Rückschlüsse auf insgesamt vier Informanten zu ziehen, darunter zwei aus dem Sozialforum. Die beiden anderen lieferten Informationen über den politisch aktiven Pro­fessor persönlich, weshalb er sie auf eigene Faust und direkt ansprach.

Ein Zuträger aus der Initiative Berliner Banken­skandal gestand die Spitzeltätigkeit offenbar ein, allerdings gegen das Versprechen, dass sein Name nicht bekannt gemacht werde. In der nicht mehr sehr aktiven Gruppe hat man damit kein Problem, schließlich liege die Sache schon zwei, drei Jahre zurück, und der Betreffende komme sowieso nicht mehr zu den Treffen.

Der zweite, ein Student, der sich an der Kam­pag­ne »Agenturschluss« beteiligt hatte, legte zwar kein Geständnis ab, widersprach aber auch nicht und verließ die Stadt Richtung Süddeutschland. Beide werden von Grottian dazu gedrängt, ihre Tätigkeiten und ihr Wissen über Bespitzelungsstrukturen aufzudecken. Eine Person, die im Sozialforum aktiv ist, bezeichnete das im Gespräch mit der Jungle World als Grottians »Privatangelegenheit«. Andere kritisieren, dass er meine, die Spitzel allein »betreu­en« zu müssen, wie er es selbst ausdrückte. »Ich habe mich mit einzelnen Personen der Kampagne ›Agentur­schluss‹ rückgeschlos­sen«, meint Grottian zu dem Vorwurf.

Die beiden mutmaßlichen Spitzel im Sozialforum, die zu den Mitbegründern gehören, beobachtete monatelang eine interne Recherchegruppe. Mit dem Ergebnis, dass vieles dafür spricht und viele davon überzeugt sind, die Richtigen gefunden zu haben, nicht zuletzt wegen ihrer mangelhaften Kooperation. Aber ein Beweis fehlt bisher. Darum wurde folgende Strategie beschlossen: Die politischen Aktivitäten der Verdäch­tigen werden beobachtet, es wird weiter nach Beweisen gesucht, und man versucht, sie dazu zu bringen, sich zumindest intern zu bekennen und ihr Wissen preiszugeben.

Ihre Namen öffentlich zu nennen, den Druck zu erhöhen und andere, potenziell betroffene Gruppen zu warnen, lehnt das Sozialforum ab, wie das auch Grottian mit seinen beiden Fällen hält. Einerseits wird eine Hetzkampagne in den Massenmedien und in der politischen Szene befürchtet, andererseits betrachtet man eine Bloßstellung, wie es in einer fünfseitigen Stellungnahme aus dem Oktober zu lesen ist, nicht als »mensch­lichen Umgang«.

Außerdem geht es dem Sozialforum primär gar nicht um die Einzelfälle. »Wir wollen eine politische Debatte zum Abbau von Grundrechten. Eine Namensnennung hilft da nicht weiter«, sagte Dieter Hartmann vom Sozialforum der Jungle World.

Der Umgang mit den Verdächtigen führte zu Unstimmigkeiten. Denn andere von den Spitzeln betroffene Gruppen, aber auch einzelne Mitglieder des Sozialforums, die den Konsens der Diskretion vorläufig mittragen, sprachen von Wissenshierarchie und Naivität. Grottian selbst steht besonders in der Kritik. »Er verkennt vollkommen seine Rolle«, sagte jemand von der Antifaschistischen Linken Berlins und bemängelte, dass nicht alle Politgruppen, die mit den Verdächtigen zu tun hatten, vom So­zial­forum gewarnt worden seien.

Tatsächlich muss man sich fragen, wie die Eingeweihten gewährleisten wollen, dass die Spitzel ihre Tätigkeiten nicht in anderen politischen Gruppen oder anderen Städten fortsetzen. »Das ist ein Problem«, sagt Grottian. »Aber die Angst vor der Enttarnung unter den Spitzeln wird größer. Und schließlich sind wir es, die die Entspitzelung vorantreiben. Die Sache ist komplex. Je tiefer man blickt, umso mehr erkennt man, dass es keine einfachen Lösungen gibt.«

Hartmann bezeichnete die Kritik an der Strategie des Sozialforums als »Sandkastenfragen«. In Berlins linker Szene gebe es nach wie vor eine hohe zweistellige, wenn nicht sogar dreistellige Zahl an Spionen des Verfassungsschutzes. Ende November meldete der Spiegel, dass die Zahl der Spitzel im Sozial­forum nach oben korrigiert werden müsse. Danach erhielte der VS weiterhin Information, Enttarnung hin oder her.

Als skandalös empfindet es das Sozialforum jedoch, dass die Bespitzelung von Einzelpersonen wie Grottian, entgegen der anfänglich genannten Begründung, mitnichten nur ein Nebeneffekt bei der Suche nach potenziellen Gewalttätern ist. Das ging aus Äußerungen von Verfassungsschützern her­vor. Ein Mitglied des Sozialforums bekam kurz vor Weihnachten in der Antwort des VS auf seinen Antrag auf Akteneinsicht zu lesen, dass der Besuch und die Anmeldung von Demonstrationen zu den Grün­den für seine gegenwärtige und zukünftige Überwachung zählten. Neben den Klagen auf Akten­einsicht, mit denen Druck auf den Berliner Ver­fas­sungs­schutz und seinen obersten Dienstherrn Körting gemacht werden soll, will man deshalb gesonderte rechtliche Schritte gegen die Behörde einleiten.