Prima Klima bei VW

Die Personalpolitik von Peter Hartz galt zu Recht als originell. Nur kommen die pikantesten Details in seinem Prozess nicht zur Sprache. von pascal beucker

Das Gefährt sei »das Automobil für Anspruchs­volle«, wirbt sein früherer Arbeitgeber für die Luxuslimousine: In einem dunklen VW Phaeton fuhr Peter Alwin Hartz Mitte voriger Woche vor dem Braunschweiger Landgericht vor. Niemand soll behaupten, der Angeklagte sei dem Unternehmen untreu geworden. Genau das jedoch wird ihm vorgeworfen: schwere Untreue zu Lasten des Volkswagen-Konzerns.

Vor langer Zeit schon hat Kurt Tucholsky jenen schleichenden Vorgang beschrieben, bei dem schon »ganze Reihen voller Arbeiterführer« dahingemäht worden sind. Man bewirke etwas. Man erreiche dies und jenes. Man bilde sich ein, noch mehr zu verhüten. Man komme mit den Herren Feinden ganz gut aus, und eines Tages seien es eigentlich gar keine Feinde mehr. Ganz leise gehe das, unmerklich. Dann komme jener Zeitpunkt, in der »die kleine gelbe Blume des Verrats ihr Köpfchen aus dem Gras« strecke. Mit einem kleinen infamen Satz beginne es. Bei Volkswagen sagte ihn Peter Hartz: »Klaus, wenn du nicht im Betriebsrat wärst, dann wärst du bei uns im Topmanagement.«

Mitte der neunziger Jahre soll er gefallen sein. So erzählt es der damalige Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Klaus Volkert. Auch praktisch förderte der seinerzeitige Personalvorstand Hartz die Bereitschaft des Funktionärs der IG Metall zum »Schulterschluss« mit dem Vorstand – mit finan­ziellen Vergünstigungen. Volkert durfte sich über »Sonderboni« und andere Vergünstigungen freuen wie sonst nur Manager des Konzerns. Dafür funktionierte die Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit wie geschmiert. So gut, dass die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung beeindruckt feststellte: »Nur die Deutsche Arbeitsfront (DAF) der Nationalsozialisten träumte schon in den dreißiger Jahren von einer derart versöhnten Betriebsgemeinschaft.«

Seit Mitte voriger Woche wird diese besondere Spielart der betrieblichen Mitbestimmung vor dem Braunschweiger Landgericht aufgearbeitet. In 44 Fällen soll sich Hartz der schweren Untreue und der Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern schuldig gemacht haben. Konkret geht es um unzulässige Sonderzahlungen an seinen Duzfreund Volkert seit 1995 in Höhe von 1 949 600 Euro. Dessen brasilianische Geliebte soll 398 806 Euro und 33 Cent ohne nennenswerte Gegenleistung erhalten haben. Hinzu kommt Geld für Flugreisen um die halbe Welt, teure Hotelaufenthalte, Schmuck und einen Sprachkurs in London. Alles abgerechnet über die Kostenstelle 1 860 von Hartz. Das bereits von seinen Vorgängern eingerichtete Konto diente offenbar als Spezialkasse für besonders vertrauliche und verzwickte Angelegenheiten des Vorstands.

Was für ein tiefer Fall! Noch vor ein paar Jahren war Peter Hartz der »Hoffnungsträger« der rot-grünen Bundesregierung. Gerhard Schröder, der den Parteigenossen noch aus seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident und Aufsichtsratsmitglied bei VW kannte, beauftragte Hartz mit dem Vorsitz der Kommission für die Reform der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit. Der Sohn eines Hüttenarbeiters aus dem Saarland, der sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachholte und dann Betriebswirtschaft studierte, übernahm den Nebenjob gerne.

Die Ergebnisse präsentierten die beiden später mit großem Tamtam im Franzö­sischen Dom in Berlin. Seine »Bibel für den Arbeitsmarkt« werde die Zahl der Arbeitslosen in weniger als drei Jahren um zwei Millionen verringern, tönte der »Visionär« Hartz. Doch bekanntermaßen stehen jene Arbeitsmarktmaßnahmen, die seinen Namen tragen, heutzutage für Sozialabbau und Verelendung.

Das öffentliche Interesse am Prozess gegen den gefallenen Heilsbringer rührt aber auch daher, dass Hartz zu besseren Zeiten öfter mal einen Abstecher von Wolfs­burg nach Hannover gemacht haben soll. Wohl nicht zuletzt, um jene Maisonettewohnung in der Kurt-Schumacher-Straße zu nutzen, die VW für 50 000 Euro für seine Führungskräfte diskret hergerichtet hatte. »Der Peter«, so sagte eine Prostituierte später bei ihrer Vernehmung, habe sich sehr »korrekt« verhalten.

Diese und andere pikante Details aus dem von VW gesponserten Triebleben des Vorzeigemanagers werden im Prozess ausgeklammert. Etwa jene bizarre Episode, in der Hartz Bordelle in Lissabon durchkämmte, um eine brasilianische Prostituierte wieder zu finden, und sie später auf Firmenkosten zu sich nach Paris einfliegen ließ. Um die Veröffent­lichung eines Berichts darüber zu verhin­dern, hat Hartz im Juli 2005 ernsthaft mit Vertrauten darüber beraten, die komplette Auflage der Bild-Zeitung aufzukaufen und einstampfen zu lassen.

Derlei Peinlichkeiten bleiben dem verheirateten Familienvater im gegenwärtigen Prozess wegen eines Deals erspart: Die Staatsanwaltschaft ließ die schmuddeligen Sexgeschäfte als »unwesentliche Nebenstraftaten« fallen und beschränkt sich in ihrer Anklage auf die Vergünstigungen, die dem früheren Betriebsratsvorsitzen­den Klaus Volkert und seiner brasilianischen Geliebten gewährt wurden. Dafür versprach Hartz, ein umfassendes Geständnis abzulegen. Das habe alles seine Ordnung nach der Strafprozessordnung und sei vom Bundesgerichtshof erlaubt, erläuterte die Vorsitzende Richterin Gerstin Dreyer am Mittwoch. Auf der Grund­lage der »Urteilsabsprache« legte Dreyer auch bereits die Straf­obergrenze fest: zwei Jahre Gefängnis auf Bewährung und eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen. Für Hartz, der sein monatliches Einkommen auf 25 000 Euro und sein angelegtes Vermögen auf 2,7 Millionen Euro bezifferte, wären das etwa 300 000 Euro. Er wird es verkraften.

Vereinbart wurde weiterhin, keine Zeugen vor Gericht erscheinen zu lassen, was zum Beispiel Ferdinand Piëch einen unangenehmen Auftritt erspart. Als Vorstandsvorsitzender holte er Peter Hartz im Jahr 1993 in die Wolfsburger Konzernzentrale und besorgte ihm gleich ein Büro im 13. Stockwerk, gegenüber von seinem eigenen. Nicht wenige zweifeln daran, dass der heutige Aufsichtsratsvorsitzende tatsächlich nichts von den Bestechungen wusste, wie er es nachdrücklich beteuert. Hartz bestätigt: Zwar sei er sich mit Piëch »schnell einig« darüber gewesen, dass der Betriebsratsvorsitzende Volkert »wie ein Top-Manager behandelt« werden müsse, ließ er seinen Verteidiger Egon Müller, der früher schon Otto-Graf Lambsdorff in der Flick-Affäre und Joachim Funk im Mannes­mann-Prozess vertrat, vor Gericht erklären. Doch über Zahlungen sei nie gesprochen worden. Da habe »absolute Vertraulichkeit« und »strengste Geheimhaltung« geherrscht.

Immerhin ließ Richterin Dreyer am Mittwoch­nachmittag neun Zeugenaussagen verlesen. »Im Frühjahr gab es vor den Tarifverhandlungen immer die Weltreise«, heißt es etwa in einer Aus­sage des früheren Managers Helmuth Schuster, der als weitere Schlüsselfigur der Affäre gilt. Sein Prozess steht wie der gegen Volkert und weitere Beschuldigte noch aus.

Auch Hartz ließ sein Geständnis vor Gericht lieber vom Verteidiger vortragen. Nur einen O-Ton gibt es von ihm selbst: »Ich bin nicht gescheitert, aber ich habe Niederlagen erlebt.« Der Satz stammt jedoch aus einer Ankündigung seines Verlags Hoffmann und Campe. »Macht und Ohnmacht« soll das neue Werk von Hartz heißen und im März erscheinen. Darin redet er angeblich »über seine Visionen und Ziele, über Macht und Rache, über seine Fehler und über sein neues Leben«.