Jagd auf Latinos

In einer Vorstadt von Madrid kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen jungen Spaniern und Lateinamerikanern. Beide Gruppen rufen per SMS zum »Krieg« auf. von gaston kirsche

Am Samstag waren von mittags bis um 22 Uhr Hunderte von Spaniern an den Türen unserer Wohnung und haben uns bedroht, sie wollten meine Söhne umbringen«, erklärte verstört Patria Figuereo Silfa einer Reporterin von El Pais. »Einer schaffte es fast einzudringen, riss an meinen Haaren und hielt mir eine Machete vors Gesicht.« Patria Figuereo Silfa ist mit ihren Kindern aus der Dominikanischen Republik eingewandert, nach Alcor­cón, einer Trabantenstadt von Madrid. Die Menge habe gegen ihre Türen geschlagen und gerufen: »Verfluchte Dominikaner! Kommt raus, ihr Hurensöhne!«, erzählt die Frau weiter.

In den vergangenen zwei Wochen entwickelten sich aus einem kleinen Streit unter Jugendlichen in Alcorcón heftige Auseinandersetzungen zwischen jungen Spaniern und Kindern aus lateinamerikanischen Einwandererfamilien, die eine Debatte über Rassismus und Integration auslösten.

Alles begann mit einer Rangelei zwischen zwei jungen Frauen, einer Spanierin und einer Mexikanerin. Ihre Freunde mischten sich ein. Die Spanier wurden per SMS zusammengerufen, eine Gruppe traf dann auf der Straße auf Yoeli, den Sohn von Patria Figuereo Silfa, und verfolgte ihn bis nach Hause. »Es haben sich immer mehr Spanier vor dem Haus versammelt, die Glastür ging zu Bruch«, schildert sie die Lage. Auch Yoeli rief per SMS seine Freunde zur Hilfe. Am Ende prügelten sich vor dem Haus Hunderte Jugendliche, ein 27jähriger Spanier wurde durch sechs Messerstiche schwer verletzt. Sieben Minderjährige, alle mit Pässen aus lateinamerikanischen Ländern, wurden verhaftet.

Am nächsten Tag gingen ca. 1 000 Jugend­liche auf die Straße, viele von ihnen waren vermummt. »Latinos sollen aus Alcorcón verschwinden! Wir wollen keine Verbrecher hier!« lauteten die Parolen. »Weg mit den Dominikanern!« riefen Zuschauer von ihren Balkonen. Müllcontainer wurden angezün­det, es flogen Flaschen und Steine. Die Polizei schoss mit Tränengas und Gummigeschossen, beschlagnahmt wurden Baseballschläger, Messer und Gaspistolen.

40 Minuten dauert es mit der Metro aus dem Zen­trum von Madrid bis Alcorcón. Hier leben ca. 164 000 Menschen, ca. 15 Prozent von ihnen kommen aus Lateinamerka. Während die spanischen Medien nun Alcorcón als ein »Pulverfass vor der Explosion« beschrieben (El Mundo), beschwört der sozialdemokratische Bezirksbürgermeister Enrique Cascallana unermüdlich »das Klima der Toleranz und des friedlichen Zusammenlebens«, das dort immer geherrscht habe.

Über die Frage, ob es sich bei den Zusammen­stößen um einen Einzelfall handelte oder ob in der Madrider Vorstadt die Spannungen zwischen Einwanderern und Spaniern gewachsen sind, wird der­zeit diskutiert. Die an den Auseinandersetzungen be­teiligten Jugendlichen bestreiten, aus rassistischen Gründen gehandelt zu haben. Dabei werden sie von linken und antifaschistischen Gruppen unterstützt, die in dieser konformistischen Revolte offenbar keinen Rassismus wahrnehmen. In einem gemeinsam verfassten Papier erklär­ten die »Versammlung von Alcorcón für fried­liches Zusammenleben und gegen Rassismus«, die Antifaschistische Koordination Madrid und die Vereinigung der Arbeitsmigranten in Spanien: »Alcorcón war, ist und wird immer antifaschistisch sein!« Es wird gegen die Medien protestiert, die von Rassismus sprechen. »Wir verurteilen den Versuch von Gruppen der extremen Rechten, aus einem angeblichen Rassismus, der in Alcorcón nicht ex­istiert, politischen Gewinn zu schlagen«, heißt es weiter.

Dass es solche Versuche gab, verstärkt jedoch die Zweifel daran, dass in Alcorcón ein anti­rassistischer Konsens herrscht. Rechts­extre­me Gruppen wie die nationalistischen Fußballfans von Ultrassur oder Frente Athlético haben bereits dazu aufgerufen, gegen Einwanderer in Alcorcón zu demonstrieren.