Wir und die anderen

Ein Jahr nach dem Höhepunkt des Streits um die Mohammed-Karikaturen sind Einwanderung, Integration und Islam in Dänemark noch immer Reizthemen. von bernd parusel, stockholm

Wenn es im Streit um die Mohammed-Karikaturen in der Zeitung Jyllands Posten, der vor einem Jahr tobte, so etwas wie einen Gewinner gibt, dann ist das am ehesten der liberale dänische Parlamentarier Naser Khader. Bereits vor dem Konflikt hatte er geplant, zu einem besseren Verständnis zwischen Dänen und mus­li­mischen Einwanderern beizutragen und »die vielen Muslime sichtbar zu machen, die sich in der öffent­lichen Debatte bisher nicht vertreten fühlen«.

Als der Streit um die Zeichnungen losbrach, grün­dete Khader das Netzwerk »Demokratische Mus­li­me«. Die Reaktion der Medien darauf war enorm. Ziel der Gruppe ist unter anderem, es nicht länger extremistischen Klerikern zu überlassen, im Namen der muslimischen Minderheit in Dänemark zu sprechen. Außerdem sei das Netzwerk »der Beweis dafür, dass Islam und Demokratie nicht unvereinbar sind«, erklärten die Mitglieder im Fe­bruar 2006. Seither hat die Gruppe eine Jobbörse für junge Einwanderer und Veranstaltungen zu den Nachwirkungen des Karikaturenstreits organisiert, eine internationale Konferenz zum Thema »Die Sharia im modernen Kontext« abgehalten und einen »Demokratiepreis« gestiftet.

Khader ist jedoch nicht unumstritten. Imame, die um ihre Meinungsführerschaft fürchten, sehen in dem syrisch-dänischen Abgeordneten einen »Ver­räter«. Andere Kritiker werten sein Netzwerk als PR-Aktion eines Politikers, der auf seine Wiederwahl hofft. Die Zeitung Nyhedsavisen bezeichnete die »Demokratischen Muslime« ein halbes Jahr nach ihrer Gründung als Flop. Der Zeitung zufolge ist die Mitgliederzahl gering, und viele Muslime akzeptieren es angeblich nicht, wie Khader von oben herab zu ihnen spricht. Die Zeitung Jyllands Posten, die nach dem Streit um die Moham­med-Zeichnungen einen Preis für besonderes En­ga­gement für die Meinungsfreiheit ausgeschrieben hatte, kürte Naser Khader zum ersten Preisträger.

Ob der Karikaturenstreit auch die Integrationspolitik der rechtsliberal-konservativen Regierung von Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen beeinflusst hat, ist noch nicht abzusehen. Bisher zeichnen sich allenfalls kleine Änderungen ab. In den vergangenen Jahren hatte die Regierung, angetrieben von der rechtsradikalen Dansk Folkeparti und ihrer Vorsitzenden Pia Kjærsgaard, die Asyl- und Flüchtlingspolitik verschärft, es Migranten schwerer gemacht, die dänische Staatsbürgerschaft zu bekommen, und das Recht von Dänen und Einwanderern, Ehegatten und Familienangehörige aus dem Ausland zu sich zu holen, stark eingeschränkt. Im Jahr 2005 haben sich etwa 600 dänische »Liebesflüchtlinge«, die im eigenen Land nicht die Möglichkeit haben, mit ihren ausländischen Ehepartnern zusammenzuleben, in Südschwe­den niedergelassen und dort Anträge auf Familienzusammenführung gestellt.

Inzwischen wird weniger über weitere Verschärfungen diskutiert als über die Chancen von Migranten auf dem Arbeits­markt. Einer Statistik des Kopenhagener Ministeriums für Flüchtlinge und Einwanderer zufolge ge­hen 78 Prozent aller Dänen zwischen 25 und 64 Jahren einer Erwerbsarbeit nach, aber nur 47 Prozent der Migranten aus »nicht-westlichen Län­dern«. Andere Län­der seien weit besser darin, sich Einwanderer auf dem Arbeits­markt zu Nutze zu machen, schrieb auch das Finanzministe­rium. Allerdings erfuhr man nicht, aus welchem Grund die Arbeitslosigkeit unter Migranten größer ist. Finanzminister Kristian Jensen erklärte, Einwanderern müsse stärker als bisher vermittelt werden, »dass es sich lohnt zu arbeiten, sich auszubilden und einen besonderen Einsatz zu bringen«. Die Regierung betreibt dabei nicht nur Überzeugungsarbeit, sondern arbeitet auch mit Zwang. In der Hauptstadt sollen demnächst »Jobpatrouillen« Arbeitslose zu Hause auf­suchen.

Jobs gebe es in Dänemark nämlich genug, davon ist die Regierung überzeugt. Oft habe die Wirtschaft sogar Probleme, geeignete Bewerber zu finden. Finanzminister Jensen hat deshalb angekündigt, Dänemark wieder ein wenig für Einwanderer zu öffnen. Allerdings soll nicht jeder kommen, der will: »Ein größerer Teil der zukünftigen Einwanderung soll aus qualifizierten Arbeitskräften bestehen, die über die Kompetenzen verfügen, die von der dänischen Wirtschaft benötigt werden.«

Dies bedeutet sicherlich keine Kehrtwende in der Migrations- und Integrationspolitik, dennoch beschwert sich die Dansk Folkeparti. Die Konservativen sollten »nicht vergessen, warum wir heute einer wachsenden Gruppe Auslän­der gegenüberstehen, die keinen Platz in unserer Gesellschaft gefunden haben, die eine ökonomische Belastung sind und uns nicht viel nützen«, schimpfte die Parteivorsitzende, als konservative Politiker sich Anfang Januar dafür aussprachen, Flüchtlinge aus dem Irak vorerst nicht zurückzuschicken. Anstatt sich zu benehmen, schadeten viele Einwanderer dem Land, das sie aufgenommen habe, sagte Kjærsgaard. So lange die Dansk Folkeparti im Parlament eine Schlüsselstellung als Mehrheitsbeschafferin der Regierung hat, dürften deren Handlungsspielräume in der Migrations- und In­te­gra­tions­politik begrenzt bleiben.

Die Debatte über die muslimische Minderheit findet auch immer noch in sehr engen Grenzen statt. Die dänische Öffentlichkeit sei weiterhin »besessen« vom Islam, kritisierte der schwedische Journalist Stefan Jonsson in der dänischen Ausgabe der Zeitschrift Lettre International. Die Berichterstattung über Muslime kreise immer wieder um die Frage, ob sich der Islam überhaupt in eine demokratische Gesellschaft einfügen lasse oder ob er »mit dänischen, europäischen und westlichen Werten absolut nicht vereinbar« sei. Jonsson vermisst Akzeptanz für die Tatsache, dass die Dänen mit ihrer muslimischen Minderheit in jedem Fall auskommen müssten.

Einen »rauen und feindlichen Ton« in der Einwanderungsdebatte beklagt auch die dänisch-amerikanische Politikwissenschaftlerin Jytte Klausen. Immer wieder entstehe der Eindruck eines »Zusammenstoßes zwischen Bevöl­kerungsgruppen«, schrieb sie im Dezember in einem Rundbrief des Gewerkschaftsverbands LO. Auf der einen Seite stünden Einwanderer, »die Dänen hassen, und auf der anderen Seite Dänen, die Einwanderer hassen«. Als Ursachen dafür nennt Klausen die Tiraden der Dansk Folkeparti, die harten Bedingungen für Einbürgerung und die verbreitete Gewohnheit der Gesellschaft, im Sprachgebrauch die Menschen in ein »wir« (die Dänen) und ein »sie« (die Einwanderer) einzuteilen.

Klausen sieht jedoch auch Hoffnung. Bei Recherchen zu ihrem Buch »The Islamic Challenge« hat sie festgestellt, dass Muslime in Dänemark trotz der »vergifteten Debatte« zufriedener seien, als man im Ausland vielleicht annehmen würde. Auch im Vergleich zu Schweden, das für »hohe Ideale« in seiner Integrationspolitik bekannt sei, schneide Dänemark gut ab, meint Klausen. »Spricht man mit Muslimen in Schweden, so erkennen viele an, dass ihre Integration von der Politik mit Bildungsangeboten und Jobs gefördert wird. Aber der Schwede wird im Allgemei­nen als einwanderungsfeindlich erlebt, während der Däne auf persönlicher Ebene offener und kontaktfreudiger wirkt.« Viele Muslime in Dänemark meinten zwar, das Land habe eine »dum­me Regierung«. Die Dänen an sich aber seien »okay«.