Jag’ das Mammut!

Sie sind Zeitfresser und werden deshalb gerne im Büro gespielt: PC-Games mit virtuellen Rollenspielen werden immer beliebter. von elke wittich

Für die meisten Angestellten beginnt ein durchschnittlicher Arbeitstag wohl damit, dass sie ihren Rechner anwerfen. Viele starten dann jedoch nicht ihre langweiligen Buchhaltungs- oder Kalkulationsprogramme, sondern verwandeln sich für eine Viertelstunde in Ritter, Steinzeitmenschen, Feen, Manager von Popstars, Sternenkrieger oder Broker. Online-Spiele sind schließlich in Büros äußerst beliebt – falls die entsprechenden Seiten vom Arbeitgeber nicht heimtückisch gesperrt wurden.

Die Anbieter werben mit Slogans wie »Spiele für die Pause im Büro« oder fragen kurz und bündig »Sick of work?« Besonders actionreich sind nämlich die wenigsten dieser Spiele, der User entscheidet anhand der vorhandenen Optionen, was er als nächstes tun möchte – was wiederum Einfluss auf die kommenden Auswahlmöglichkeiten hat –, und dann muss gewartet werden. Unter Umständen sehr lange, denn wenn es im Game heißt, dass nun eine Stunde oder einen Tag lang irgendetwas entwickelt, etwas gejagt oder etwas geübt werde, dann handelt es sich um absolute Echtzeit. Zum Beispiel im All. Unter www.spacepioneers.de kann der interessierte Sternenkrieger seinen eigenen Planeten besiedeln und ausbauen. Um die dafür notwendigen Rohstoffe zu bekommen, müssen Kraftwerke und Fabriken, Raumschiffe, Handelsflotten und Kriegsgeräte gebaut werden. Nachdem alle Bauaufträge erteilt wurden, reicht es meist, sich alle drei oder vier Stunden davon zu überzeugen, dass die Planeten noch da sind.

Genügend Zeit, um zu arbeiten – theoretisch, denn praktisch wäre es ja schade, wenn man nicht auch mal ein anderes Leben als das jetzige ausprobieren würde. Und zum Beispiel mal schaut, ob man nicht auch ein prima Popstar-Manager geworden wäre. Das kann man unter www.project­rockstar.com bequem simulieren. Nach unkomplizierter Anmeldung darf man sich seine erste auszubeutende Band zusammenstellen. Dem kommenden Pop-Magnaten steht dabei samt und sonders absolut unfähiges, wenn auch in manchen Fällen durchaus gut aussehendes Personal zur Verfügung, das zunächst in den Proberaum geschickt werden muss. Für eine Woche, was sich für den vor Ehrgeiz brennenden Manager zunächst nach viel Zeit anhört, aber sieben Popstar-Tage entsprechen lediglich einem Erdentag. Die kommenden Chartbreaker sind jedoch unendlich faul, einmal alle 24 Stunden müssen ihnen Vorschriften gemacht werden. Üben, Songs schreiben, auftreten, auf Promo-Tour gehen – das ist erschreckend unglamourös, weswegen dringend noch eine andere Lebensform ausprobiert werden muss.

Vielleicht als Steinzeitmensch. Mammute jagen, Männern mit Keulen auf den Kopf hauen und sie anschließend zum Zwangskuscheln in die heimische Höhle schleifen, das klingt nach einem guten Konzept, das wirkliche Neandertal-Leben ging jedoch anscheinend ganz anders. Jedenfalls, wenn www.steinzeitspiel.de Recht hat: Außer schlafen, jagen, Wasser suchen und, je nach gewählter Profession, Steine klopfen, Bäume hacken und Heutränke herstellen, gab es für unsere Vorfahren sehr wenig zu tun. Was in Echtzeit unerträglich langweilig ist. Wenn auch natürlich längst nicht so öde wie arbeiten.

Und so kann man, noch bevor eine Stunde Arbeitszeit herum ist, bequem noch seiner Börsenmaklerexistenz auf die Sprünge helfen (www.virtual­city.ch). Oder das Leben als Bürger virtuell nachspielen, unter www.republic-online.net; der Zweck des Spiels besteht darin, dass man als Einwohner eines Landes seinen Lebensunterhalt verdient, zu einem geachteten Mitglied der Gesellschaft wird und vielleicht den einen oder anderen Posten übernimmt.

Was aber macht den Reiz dieser Games aus? Der US-Psychologie­student Nick Yee, selbst ein leidenschaftlicher Spieler, fand in seiner Untersuchung »The Daedalus Project« heraus, dass es mehrere unterschiedliche Motivationstypen gibt. Der Typ »Advancement« etwa spielt zielorientiert, erreicht schnell höhere Levels und genießt den konstanten Fortschritt. »Mechanics« verstehen es, die dem Spiel zugrunde liegenden logischen Prozesse zu analysieren und so alle ihre Aktionen genau zu kalkulieren und vorauszuberechnen. Auf »Competition« Zielende genießen die Macht und das Gefühl, andere zu besiegen, während »Socialising« für den Spaß steht, andere Spieler kennen zu lernen und mit ihnen im Rahmen des Spiels etwa zu tratschen und ihnen zu helfen.

Der Typ »Relationship« überträgt die im Internet entstandenen Freundschaften ins wirkliche Leben, man trifft einander auch außerhalb des WWW und bespricht zum Beispiel persönliche Dinge.

Aber wer verbirgt sich hinter den Online-Spielern? Die bislang erfolgten Untersuchungen sind widersprüchlich.

Unter dem Titel »CyberPsychology & Be­haviors« erforschten die Psychologen Mark D. Griffiths, Mark Davies und Darren Chappel von der Nottingham Trent University die Gewohnheiten der Online-Spieler. »Obwohl diese Games immer populärer werden, gab es bislang keine solche Untersuchung«, erklärten sie in ihrem im August 2004 vorgestellten Bericht.

Im auf einer Webpage auszufüllenden Fragebogen sollten die internationalen Liebhaber solcher Spiele Auskunft über sich und ihre Spielgewohnheiten geben. 81 Prozent der Spieler sind demnach männlich, das Durchschnittsalter beträgt 27,9 Jahre. Für die meisten ist neben dem Thrill der soziale Faktor sehr wichtig. Exzessiv, das heißt mehr als 80 Stunden pro Woche, spielt nur eine nicht bezifferte winzig kleine Minderheit, sie nimmt jedoch auch persönliche Nachteile (Schlafmangel, Ärger mit Familie und Freunden oder mit Vorgesetzten) in Kauf.

Eine auf die USA beschränkte Studie, die von AOL in Auftrag gegeben worden war, zeigte jedoch, dass Frauen über 40 die aktivsten Spieler sind. Sie verbringen 50 Prozent mehr Zeit mit Online-Spielen als gleichaltrige Männer – vielleicht, weil sie eben in Firmen beschäftigt sind, die Game­seiten sperren, und weil sich nicht arbeitende Frauen einfach furchtbar langweilen. 25 Prozent dieser Spielerinnen sind nachtaktiv, sie sitzen demnach meist in der Zeit zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens vor dem Rechner. Die meisten gaben soziale Gründe als Hauptmotivation an. Immerhin: 20 Prozent schafften es, im Internet entstandene Freundschaften auch in reale Beziehungen umzuwandeln.