Wölfe in Uniform

Das türkische Fernsehen zeigte Aufnahmen von Polizisten, die sich mit Hrant Dinks mutmaßlichem Mörder solidarisieren. Orhan Pamuk hat das Land inzwischen verlassen. von sabine küper-büsch, istanbul

Das türkische Fernsehen sendete am Freitagabend Bilder, auf denen der Schriftsteller und Nobelpreisträger Orhan Pamuk zu sehen war, wie er vor Fernsehkameras am Istanbuler Flughafen flieht. Am gleichen Tag ist Pamuk in die USA gereist. Im Kommentar zu den Bildern wurde gefragt, ob Pamuk etwa »ins Ausland flieht«. Allein dies zu sehen, genügt, um zu verstehen, wa­rum der Schriftsteller sich derzeit in der Türkei nicht wohl fühlt und auch europäische Länder, in denen es eine große türkische Migrationscommunity gibt, meidet. Kurz nach der Ermordung seines Freundes Hrant Dink sagte er eine geplante Lesereise durch Deutschland und einen Termin in Belgien ab. Der türkisch-armenische Journalist Dink war am 19. Januar in Istanbul auf offener Straße erschossen worden. (Jungle World 05/07)

Bereits am Tag vor Pamuks Abreise tauchte bei Youtube, einem bekannten und viel frequentierten Videoforum im Internet, ein bedrohliches Video auf. In diesem wird die Ermordung Dinks als großer Sieg des türkischen Nationalismus gefeiert und den Schriftstellern Pamuk und Elif Shafak ein ähnliches Schicksal ange­droht. Im gleichen Fo­rum kursieren Videos aus der ultranatio­nalistischen Szene der Grauen Wölfe, die den geständigen Mörder von Dink, den 17jährigen Ogün Samast, als Patrioten und Helden feiert.

Am Donnerstagabend veröffentlichte zudem der türkische Fernsehsender TGRT in seinen Hauptnachrichten Videoaufnahmen von Polizeiangehörigen aus der Stadt Trabzon, aus der Dinks Mörder stammt. Auf den Bildern ist Samast nach seiner Fest­nahme zu sehen, zusammen mit Polizisten und Mit­gliedern der Jandarma, der Polizeieinheiten innerhalb der türkischen Armee. Alle amüsieren sich prächtig und posieren gemeinsam vor der Kamera. Samast wird eine türkische Fahne in die Hand gedrückt, und er wird vor ein Plakat mit nationalistischen Aufschriften und der türkischen Nationalflagge gestellt. Die Aufnahmen zeigen die Sicherheitskräfte, wie sie sich offen mit dem Mörder ­solidarisieren.

Darüber hinaus hatte ein V-Mann die Polizei in Trabzon bereits ein Jahr vor dem Mord über die Pläne Yasin Hayals, des mutmaßlichen Drahtziehers, informiert. Auch die Istanbuler Polizei wurde von der Bedrohung Dinks unterrichtet. Sie unternahm nichts. Wer das von einem Polizisten auf­genommene Video auf TGRT gesehen hat, weiß, warum. Angesichts dieser und ähnlicher Vorkom­mnisse, die täglich der türkischen Öffentlichkeit präsentiert werden, ist es kein Wunder, dass Pamuk sich nicht sicher fühlt.

Die überproportionale Präsenz ultrana­tio­nalistischer Einstellungen innerhalb der Polizei- und Sicherheitskräfte hat in der Tür­kei Tradition. Nachdem der Gouverneur und der Polizeichef von Trabzon im Laufe der Ermittlungen um die Ermordung Dinks sus­pendiert worden sind, fragen sich viele Men­schen allerdings, ob die Truppe um Ögün Samast und Yasin Hayal wirklich nur aus einigen »Fanatikern« besteht oder ob diese nicht vielmehr von einflussreicheren Hintermännern gesteuert wurden. Mit der Aus­strahlung des Videos auf TGRT ist das erste Mal einer großen Öffentlichkeit die offensichtliche Übereinstimmung zwischen Sicherheitskräften und politischen Gewalttätern gezeigt worden.

Dass Intellektuelle wie Pamuk, die nach dem Attentat unter Polizeischutz gestellt wurden, sich vor diesem Hintergrund albern dabei vorkommen, wenn sie mit Polizisten an der Seite herumlaufen, ist nur zu verständlich. Auch im Foyer des Gebäudes, vor dem Dink erschossen wurde und in dem sich im ersten Stock die Redaktion der türkisch-armenischen Zeitung Agos befindet, sitzen derzeit Tag und Nacht zwei Polizisten.

Unmittelbar nach Dinks Ermordung hatte Pamuk erbittert die Hetz- und Lynchkampagne kritisiert, die Ultranationalisten zwei­einhalb Jahre lang gegen den wegen »Verun­glimpfung des Türkentums« verurteilten Journalisten geführt hatten. Diese Kampagne traf auch Pamuk, gegen den ebenfalls ein Prozess wegen des gleichen »Vergehens« lief. Allerdings wurde das Verfahren gegen ihn vor einem Jahr eingestellt. Der Nobelpreisträger hatte gehofft, damit das Schlimmste überstanden zu haben. Nun wird er erneut bedroht. Der 26jährige Hayal, der nach Polizeiangaben gestanden hat, Samast zu dem Mord angestachelt zu haben, schrie bei seiner Festnahme: »Orhan Pamuk sollte sich intelligent verhalten.«

Fast scheint es so, als tauchten Elemente aus Pamuks Roman »Schnee« in der Realität auf. In dem Buch wird der türkische Lyriker Ka, der in Deutschland lebt, am Ende Opfer eines Mordes. Doch die Hintergründe der Tat werden nicht klar. Neben dieser Rahmenhandlung geht es jedoch vor allem um Ka auf einer Reise nach Kars. Er will dort für eine Reportage über die sich häufenden Selbstmorde von jungen Frauen recherchieren. Kurz nach Kas Ankunft wird der Dekan der Universität in einem Café von einem jungen, islamistischen Attentäter erschossen. Der Mörder flieht in die verschneiten Gassen der ostanatolischen Stadt. Ein konspiratives Netz aus Islamisten, korrupten Polizisten und allmächtigen Militärs umschließt die im Schnee versinkende, sich Fremden gegenüber taub und blind stellende Bevölkerung von Kars. (Jungle World 11/05)

»Schnee« ist Pamuks politischstes Buch. Es erschien im Jahr 2002. Zugleich begann der Schriftsteller, der bis dahin als eher unpolitisch galt, sich zu zentralen Fragen der türkischen Politik zu äußern. Er versuchte, die Reformbestrebungen, die der Türkei von der EU für die Aufnahme von Kon­solidierungsgesprächen nahe gelegt wurden, zu nutzen, um brisante politische Themen, die vor allem im Ausland Beachtung fanden, anzusprechen. In einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger sagte er im Fe­bruar 2005, dass 30 000 Kurden und eine Mil­lion Armenier in der Türkei umgebracht worden seien und niemand sich traue, davon zu sprechen. Darauf folgte neben einer Klage auf der Grundlage des umstrittenen Strafrechtsparagraphen 301, der den Tatbestand der »Verunglimpfung des Türkentums« definiert, eine türkeiweite Verleum­dungs- und Hetzkampagne. Zum Prozessauftakt erschienen ultranationalistische Hooligans. Aber auch Hrant Dink kam zum Prozess. Pamuk und er wurden von den Nationalisten beschimpft und tätlich angegriffen.

Die Beerdigung von Dink am 23. Januar wurde zu einem beeindruckenden Schweigemarsch, an dem über 100 000 Menschen teilnahmen, die sich mit dem Ermordeten und der armenischen Minderheit solidarisierten.

Doch großen Einfluss hat das nicht auf die politischen Verhältnisse, zumindest nicht unmittelbar. Ismet Berkan, der Nachrichtenchef der Tageszeitung Radikal, schrieb in der vergangenen Woche, Hrant Dink wäre nie zur Zielscheibe der Mörder geworden, wäre er nicht Armenier gewesen. Das ist offensichtlich, nur hatten das Journalisten in der Türkei bislang nicht in ihren Artikeln erwähnt. Auch Berkan bekommt mittlerweile täglich E-Mails mit Drohungen. Er bewegt sich nur noch mit Polizei­eskorte.