Kein Blut mehr

Führende Politiker wollen die so genannten Killerspiele verbieten. Doch auch Horror-, Splatter- und anderen Filmen droht die Zensur. von philipp steglich

Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) gibt sich gern als »zupackende« Po­litikerin. So kommen aus ihrem Ministerium derzeit allerlei Vorschläge und Gesetzesentwürfe. Gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Armin Laschet, dem Familienminister in Nordrhein-Westfalen, will sie sich nun die so genannten Killerspiele vornehmen. Computerspiele wie »Counterstrike« oder »Doom« gerieten zu­letzt nach einem Amoklauf in der nord­rhein-westfälischen Stadt Emsdetten im November 2006 in die Kritik. Der Täter hatte seinen Plan, an einer Schule ein Mas­saker zu verüben, zuvor in einem Compu­terspiel simuliert.

Neben deutlicheren Hinweisen auf die Altersfreigabe und mehr Kontrollen bei der Abgabe fordern Laschet und Leyen in ihrem Vorschlag: »Extrem gewaltbeherrschte Trägermedien (z. B. Computerspiele, Videos, DVD) sind in Zukunft per Gesetz automatisch für Kinder und Jugendliche verboten. Sie müssen nicht erst Prüfverfahren durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien durch­laufen. Diese Medien sind dann mit einem weit reichenden Abgabe- und Werbeverbot belegt und dür­fen nur in gesonderten Geschäften und an Erwachsene verkauft werden.«

Aber was heißt »extrem gewaltbeherrscht«? Und wer legt fest, welches Spiel und welcher Film nun diesem Prädikat entspricht, wenn es gar keines Prü­fungsverfahrens mehr bedarf? Fallen Bücher auch unter die Regel oder nur die verrufenen digitalen Medien? Soll die Verantwortung weiter privatisiert werden, soll der Hersteller ohne staatliche oder »freiwillige« Kontrollkommissionen im Alleingang entscheiden? Diese Fragen scheint sich leider niemand in den zuständigen Abteilungen gestellt zu haben. Andererseits dürfte es bei den Herstellern durchaus zu größerer Verunsicherung und stärkerer Selbstzensur führen, wenn sie gar nicht wissen, was verboten ist. Das jederzeit drohende Werbeverbot ist zudem ein kaum kalkulierbares finanziel­les Risiko für jeden Produzenten.

Der Vorschlag ist neu, das System ein altbekanntes: Seitdem es Kunst gibt, wird sie auch zensiert. Die Verbannung des römischen Dichters Ovid ans Schwarze Meer wird in der Geschichtswissenschaft mit der Sorge des Kaisers Augustus um den Erhalt von Ehe und Familie in Rom begründet. Natürlich ist Ovids »Ars Amatoria« jugendgefährdend, die »Metamorphosen« sind »gewaltbeherrscht«. Und sind nicht Ehe und Familie zurzeit akuter denn je gefährdet? Vielleicht liegt es daran, dass Ovids Texte in Auszügen heutzutage Schullektüre sind.

Aber von der Leyens Vorschlag enthält nicht die »Maximalforderung«. Wie es sich gehört, kommt sie aus dem Stammland des »deftigen Zulangens«: Bayern. Hier fordern der Ministerpräsident Edmund Stoiber, sein designierter Nachfolger und noch amtierender Innenminister Günther Beckstein und die Familienministerin Christa Stewens, die alle drei der CSU angehören, dass die »Herstellung oder Verbreitung von virtuellen Killerspielen künftig mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden«.

Das beträfe aber unglaublich viele Menschen: die Internetnutzer, die Spiele in File­sharing-Börsen up- und downloaden, ebenso wie all die strafmündigen Schülerinnen und Schüler, die auf dem Pausenhof ihre Kopien von »Doom« und »Counterstrike« tauschen.

Die bayerischen Politiker greifen zudem ihre Forderung aus den Initiativen von 1999 und 2002 nach einem Vermiet- und Verleihverbot von indizierten jugendgefährdenden Filmen und Computerspielen wieder auf. Wenn die bayerische Bundesratsinitiative durchkäme, wären alle Horror-, Splatter- und Pornofilme, die Volljährige zurzeit ausleihen dürfen, nur noch käuflich zu erwerben.

Das ist natürlich eine Kriegserklärung an alle Videotheken, bringen ihnen doch die nur Erwachsenen zugänglichen Hardcore-Bereiche einen Großteil des Umsatzes. Erinnert sei an den Versuch der Verleihkette »Block­buster«, nur »familientaugliche« Filme im Programm zu führen. Sie musste relativ schnell Konkurs anmelden.

Wenn der bayerische Plan angenommen würde, müssten nicht nur viele herkömmliche Videotheken schließen. Auch spezialisierte Läden, deren Angebot auf Cineasten und Freunde abseitiger und abgründiger Filme zugeschnitten ist, würden eines Großteils ihres bisherigen Sortiments beraubt und wären in ihrer Existenz gefährdet. Die ohnehin eingeschränkte Möglichkeit, sich Filmkunst anzusehen, wäre also ebenfalls bedroht.

Dass dieser Bereich recht schnell der Zensur anheimfällt, beweist ein Beispiel aus der Schweiz. In der vorletzten Woche wollte ein Züricher Kino Pier Pao­lo Pasolinis »Salò oder Die 120 Tage von Sodom« aus dem Jahr 1975 zeigen. In dem Film analysiert der Regisseur die »Repubblica Sociale Italiana«, Mussolinis faschistischen Staat, dessen Hauptstadt von 1943 bis 1945 Salò war. Dies geschieht vor dem Hintergrund des Klassikers der pornographischen Literatur, des Romans »Die 120 Tage von Sodom« des Marquis de Sade. Nachdem bürgerliche Kreise protestiert hatten, verbot die Züricher Polizei die Vorführung. Der Film sei »gewaltverherrlichend und pornografisch«. Mittlerweile haben die Behörden den Beschluss aufgehoben, da ein »Großteil der Bevölkerung den Film offenbar als Kunst« einstufe.

Gegen die von Bayern und vom Bundesfamilien­ministerium geforderten Einschränkungen hat sich Protest geregt. Der Deutsche Kulturrat, von dessen Existenz man bisher wenig wusste, erhob Einspruch und meinte, »Kunstfreiheit« sei »nicht an die Qualität des Kunstwerkes gebunden«. Der Begriff »Qualität« ist jedoch irreführend. Ein amerikanischer Pornofilmer kann mit einem höheren Budget qualitativ höherwertige Filme produzieren als etwa ein deutscher Autorenfilmer. Der französische Strukturalist Gérard Genette spricht hingegen allgemein von der »ästhetischen Funktion« von Kunstwerken. Splatter­filme verfügen sehr wohl über diese Funktion, auch wenn sie manchmal von geringer »Qualität« sind.

Was soll also zensiert werden und was nicht? Es ist wohl so: Verboten wird vor allem das, was die herrschenden Kunst-, Staats-, Gesellschafts- und Geschlechterbegriffe in Frage stellt. Die Sexheftchen, die Waffenzeitschriften und die Soldatengroschenromane, die an Bahnhofs­kiosken ausliegen, werden bis auf weiteres erlaubt bleiben. Sie erfüllen vielleicht keine ästhetische Funktion. Aber sie helfen, den gesellschaftlichen Betrieb weiterhin am Laufen zu halten. Aber alles, das über den Konsens hinausgeht, war und ist von Sanktionen bedroht.

Die anderen Parteien haben den Vorschlag der CSU-Politiker bisher vor allem kritisiert. Er wurde nun zunächst in die Ausschüsse des Bundesrats verwiesen. Im Herbst soll noch einmal über ihn verhandelt werden.