Die Arbeit bleibt hier!

In den norddeutschen Werken von Airbus ist die Stimmung wenig kämpferisch. Viele Beschäftigte suchen die Schuld bei den Franzosen. von gaston kirsche

Power 8 heißt der Plan, mit dem beim europäischen Konzern Airbus in den nächsten vier Jahren 10 000 Stellen abgebaut werden sollen, davon 3 700 in den sieben Werken in Deutsch­land. Die Standorte im ostfriesischen Varel mit 1 350 Mitarbeitern und im baden-württembergischen Laupheim mit 1 200 Beschäftigten sollen verkauft werden, damit anschließend ein Zulieferer die dort produzierten Flugzeugbauteile billiger an Airbus abgeben kann – klassisches Outsourcing also, um die Löhne zu senken.

Für das Werk im niedersächsischen Nordenham mit 2 300 Mitarbeitern wird ein Partner gesucht, aber auch auf die dort Beschäftigten hat der Vorstandsvorsitzende von Airbus, Louis Gallois, den Druck erhöht und erklärt, selbst ein vollständiger Verkauf sei möglich. »Warum nicht zu 100 Prozent?« fragte er in der Süddeutschen Zeitung.

Der Flugzeughersteller Airbus war bereits vor der derzeitigen Krise ein Vorreiter, was die Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse angeht. 35 Prozent derjenigen, die in den sieben Werken von Airbus in Deutschland arbeiten, waren im April 2006 bei Zeitarbeitunternehmern und Subunternehmern angestellt. Bereits im vorigen Jahr wurden 1 000 Leiharbeiter vorzeitig nach Hause geschickt, als die Pannenserie mit dem Prestige­objekt A380 begann.

»Leiharbeitskräfte werden als Person an Airbus ausgeliehen, Fremdarbeitskräfte arbeiten bei Airbus im Zusammenhang mit einer Dienstleistung, wo es letztlich egal ist, von welchen Personen sie ausgeführt wird. Hauptsache, der Auftragnehmer, der oft eine Verleihfirma ist, erledigt seinen Auftrag«, erzählt Thomas M., der bei Airbus in Hamburg-Finkenwerder arbeitet, der Jungle World. »Als Leiharbeitskraft bin ich privilegiert gegenüber Fremdarbeitskräften, denn nach drei Monaten bei Airbus bekomme ich zur Zeit noch dasselbe Geld wie ein Festangestellter bei Airbus. Und das bei einer 35-Stunden-Woche.« Derzeit arbeiten neben den 22 000 Festangestellten, der Stammbelegschaft, noch 6 300 Leiharbeiter und zusätzlich so genannte Fremdarbeitskräfte bei Airbus; sie sind bei Subunternehmern beschäftigt.

Am Freitag räumte der Vorsitzende von Airbus Deutschland, Gerhard Puttfarcken, nach einer Betriebsversammlung in Varel ein, dass noch offen sei, wie viele Entlassungen es in den sieben Werken in Deutschland jeweils geben werde. Er verteidigte den geplanten Verkauf des Werkes in Varel. Es sei aber »unstrittig«, dass der Standort auch danach Zulieferer für Airbus bleibe. Man rede nur über die Art und Weise, wie diese Zulieferung erfolgen solle.

Im Prinzip wissen alle, dass es um mehr Arbeit und niedrigere Löhne geht. Puttfarcken betonte, die »Qualität und Leistungsfähigkeit« des Werkes in Varel werde nicht in Frage gestellt. Zudem sei es für die nächsten fünf Jahre ausgelastet. Am Freitag hatten Beschäftigte der niedersächsischen Werke in Varel und Nordenham ihn mit Buhrufen empfangen. »Er war nicht in der Lage, detailliert zu erklären, was hinter den Sparplänen steckt«, sagte Udo Nobel, Betriebsrat in Nordenham.

Von Mittwoch bis Freitag stand dort und im baden-württembergischen Laupheim die Produktion still, nachdem Airbus und EADS das Sanierungsprogramm bekanntgegeben hatten, das einen Verkauf der Werke in Varel und Laupheim und eine Partnerschaft für Nordenham vorsieht. »Wir streiken nicht, wir streiten um den Erhalt der Arbeitsplätze«, versicherte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende des Vareler Werks, Jürgen Blümel. Der Vareler Vertrauensmann der IG Metall, Dieter Lange, meinte: »Wir müssen das nun erstmal verdauen. Man will hier an unsere Jobs.«

Die Standortlogik scheint von den Beschäftigten ziemlich verinnerlicht worden zu sein. Das Politikergerede von einer »französischen Dominanz« wird allenthalben nachgeplappert. »Der Betriebsrat klagt die Beteiligung von mehr Deutschen im europäischen Management von Airbus immer wieder ein«, sagt Thomas M. aus dem Airbus-Werk in Hamburg: »Von den Kollegen, besonders im gewerblichen Bereich, kriegst du mit, dass das Konkurrenzdenken, hier wir Deutsche, dort die Franzosen, gut funktioniert.«

Von kämpferischer Stimmung bei Airbus in Hamburg kann nicht wirklich die Rede sein, obwohl hier knapp 1 000 Entlassungen geplant sind: 500 bei Leiharbeitern und 500 über Vorruhestandsregelungen. Auf der Betriebsversammlung am Freitag waren von den 12 000 fest angestellten Kollegen und den rund 5 000 Leih- und Fremdarbeitskräften immerhin 8 000 auf der Versammlung. Herbert F., ein Flugzeugmechaniker, berichtet: »Die Störungen der Rede von Jörg Kutzim aus der Geschäftsführung gingen nicht von sonderlich vielen Kollegen aus. Für die meisten hatten sie nur Unterhaltungswert, aber das war’s auch schon. Sofort nach den Beiträgen der Geschäftsführung und des Betriebsrats standen an die 1 000 Kollegen auf und gingen wieder an die Arbeit.«

Thomas R. pflichtet ihm bei: »Es gab eine gute Idee des Betriebsrats. Um Punkt 11 Uhr am Donnerstag sollten alle Kollegen vor das Gebäude kommen, wo der Betriebsrat und die Standortleitung ihre Büros haben. Dort sollte man schon mal Fragen für die Betriebsversammlung aufschreiben und beim Betriebsrat abgeben. Und man sollte mit seiner Unterschrift auf großen Transparenten seiner Solidarität mit den Kolleg in Varel, Nordenham und Laupheim Ausdruck verleihen. Das Recht, jederzeit den Betriebsrat aufzusuchen, haben alle Festangestellten. Was wäre das für eine schöne Warteschlange gewesen, wenn sich nur die 12 000 fest angestellten Kollegen daran beteiligt hätten«, schwärmt er. »Die ganze Aktion aber hat keine halbe Stunde gedauert, was viel über die Zahl der solidarisch handelnden Kollegen aussagt.«

Bei der Betriebsratswahl im Hamburger Werk im Mai 2006, an der sich nur knapp die Hälfte der Belegschaft beteiligte, erhielt eine obskure Liste, »Die Freien«, über 30 Prozent der abgegebenen Stimmen. In ihrem Programm heißt es, sie seien gegen »ein weiteres Abfließen von Machtbefugnissen nach Toulouse. (…) Die Gefahr, dass ausscheidende deutsche Führungskräfte ebenfalls durch französische ersetzt werden, ist riesig.« In der Betriebszeitung der »Freien«, im Einblick, heißt es, es reiche offenbar nicht »eine Krise zu haben, weil ein unfähiges Management in Frankreich unseren Kunden vorgespielt hat, sie könnten den A380 notfalls auch mit dem Cockpit hinten haben – oh nein …«

Wo die deutsche Wertarbeit derart hochgehalten wird, ist vom Naheliegenden keine Rede. Airbus wäre als Hochtechnologiekonzern mit ausgelasteten Produktionskapazitäten leicht unter Druck zu setzen. Power8 könnte vielleicht sogar mit einem Streik verhindert werden. Thomas Enders, der Vorstandsvorsitzende des Mutterkonzerns von Airbus, EADS, warnte die Gewerkschaften eindringlich davor. »Wir sind in diesem Punkt hoch verwundbar«, sagte er dem Focus. »Längere Streiks würden uns empfindlich treffen und noch weiter zurückwerfen. Das kann nicht im Sinne der Beschäftigten sein.« Zumindest nicht der Deutschen.