Viel Hohn, wenig Herz

Wie man auf sympathische Art den Widerstand aufgibt, zeigen Rocko Schamoni & Little Machine. von roger behrens

Als christliche Seefahrt wird die Handelsschifffahrt bezeichnet. Die christliche Lehre bildete dabei die Grundlage für eine Seemannsreligion, die sich mit Geister- und Aberglauben mischte. Der Klabautermann gehörte dazu, ebenso die Äquatortaufe sowie zahlreiche Symbole, die sich die Matrosen als Schutz vor den Gefahren der Meere tätowieren ließen: Am bekanntesten sind das Kreuz, der Anker und das Herz als christliche Motive für die theologischen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Tätowiert wurde an Bord oder beim Landgang, von fachkundiger Hand in den Tätowierstuben. Von diesen gibt es auf St. Pauli, dem Hamburger Hafenviertel, noch immer einige, auch wenige ganz alte. Das beliebteste Motiv ist natürlich das Herz mit dem Kreuz, um das sich ein Anker mit einer Kette schlingt.

Die christliche Seefahrt ist verschwunden, das Christentum nicht. Der Glaube an die Kraft der Symbole ist geblieben, vermengt mit den Mythen des Alltags noch stärker geworden. In den Zeiten, in denen die kulturelle Bedeutungsvielfalt mit dem gesellschaftlichen Sinnverlust einhergeht, darf man schließlich solche Symbole verwenden, ohne dass sie als Glaubensbekenntnis gewertet werden. So verwundert es nicht, dass sich diese christlichen Grundmotive als Embleme und Markenzeichen auf dem Cover des neuen Albums von Rocko Schamoni finden. Er spielt dieses Mal mit seiner Band unter dem Namen Rocko Schamoni & Little Machine. So heißt auch das neue Album.

Schamoni nannte seine letzte Platte von 2002 mit politischer Koketterie »Der schwere Duft von Anarchie«. Jedes Feuilleton goutierte den radikalen Gestus und tat so, als müsse man bei aller Ironie den Staatsfeind und Kapitalismuskritiker doch ernst nehmen. Anders ist es in den Rezensionen der neuen Platte, wo vielfach auf die Symbolik der Covergestaltung hingewiesen wird, aber keiner Schamoni als Christen, als Missionierten, als Gläubigen identifiziert.

Tatsächlich ist es gleichgültig, ob Schamoni wirklich der Anarchist und Systemgegner ist, der er nun einmal, Gott sei Dank, ist. Und egal ist darüber hinaus auch, ob er sich nun als Christ oder Antichrist versteht. Mit jeder neuen Platte von Schamoni, mit jedem neuen Song, mit jeder neuen Textzeile wird bewiesen, warum es egal ist, und warum nur diese Gleichgültigkeit das Fundament sein kann, von dem aus heute noch ernsthaft Musik gemacht werden kann. Schamoni ist längst nicht mehr der feine Ironiker, der Humorist des versteckten Witzes. Sein neues Buch, das im April erscheint, heißt »Sternstunden der Bedeutungslosigkeit«.

Spätestens bei Studio Braun und in dem Buch »Risiko des Ruhms« aus dem Jahr 2000 hatte Schamoni erkannt, dass man sich zu Popkultur und Gesellschaft nur noch drastisch verhalten kann: Spott und Hohn sind die Grundprinzipien einer einzig noch möglichen Popästhetik, d. h. einer Ästhetik nach dem Zeitalter, das gerade durch die postmoderne Ironie definiert wurde, von der sich Schamoni mit dem neuen Album äußerst geschickt verabschiedet. Denn zu dieser neuen Ästhetik gehört weiterhin die Klugheit im Umgang mit dem künstlerischen Material. Und so muss man sich ein zweites Mal das christliche Emblem auf dem Cover ansehen. Es fehlt: das Herz, das Symbol der Liebe!

Und das, obwohl es im Neuen Testament, im ersten Korintherbrief des Paulus heißt: »Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, am größten jedoch unter ihnen ist die Liebe.« Und das, obwohl 1990 Schamoni eine Platte »Ich will Liebe« nannte. Und das, obwohl er auf »Showtime« von 1999 die schlechten Verhältnisse wegschmusen wollte und sein akademischer Grad ein »Dr. Love« ist.

Stattdessen sieht man also nur ein Kreuz und einen Anker, womit genau das symbolisiert ist, was mit jedem der zehn Songs der Platte hämisch, fast schadenfroh negiert wird: der Glaube und die Hoffnung. »Leben, leben heißt sterben lernen / Leben heißt sich entfernen / Leben heißt aufzugeben.« »Da ist nichts was ewig hält … Gott ist ein Fabrikat / Das keine Wirkung hat.« »Ein richtiges Leben / Ich kann es nicht finden… In dieser falschen Welt.« »Das Leben ist nur Schein.« Das ist die Quintessenz der ersten fünf Stücke, die wie immer tanzbar und mit wunderschönen musikalischen Details arrangiert sind. Produziert hat sie die Band zusammen mit Tobias Levin.

Besonders hinzuweisen ist darauf, dass neben einem Fender Rhodes, einer Hammond-Orgel und dem ARP Solina String Ensemble auch mehrfach ein Mellotron zu hören ist, was den Stücken ihren für Schamoni typischen Charakter verleiht. Sie zeigen keine Ehrfurcht vor der Welt, aber den unbedingten Respekt vor der Musik dieser Welt. »Ihr seid zu dumm, um frei zu sein«, lautet eine großartige Textzeile. Musikalisch wird sie als Discoschlager präsentiert. Das bezeichnet nachgerade den Spott und Hohn, von dem sich Schamoni & Little Machine aber keineswegs selbst ausnehmen: »Unsere Welt liegt in eurer Hand / Strahlt und glänzt wie ein Diamant / Niemand leistet euch Widerstand / Unsere Welt liegt in eurer Hand.«

Hier ist man in der kleinen Welt und im großen Empire gleichzeitig. Allgemein bekannt ist, dass unweit der erwähnten Tätowierstuben, gleich an der Wasserkante, also am Elbufer, der Golden Pudel Club zu finden ist, der u. a. von Rocko Schamoni betrieben wird. »Lange galt er als Treffpunkt der Hamburger Schule«, informiert Wikipedia. Gleich über dem Eintrag steht ein Banner: »Dieser Artikel wurde zur Löschung empfohlen.« Er ist wohl zu belanglos. Gleich neben dem Club liegen die soziale Realität und der ästhetische Schein: einer der ärmsten Stadtteile Europas, dann die Nobellokale direkt beim Kunstprojekt Park Fiction.

Die Besucher bewegen sich fließend zwischen den Orten, wiegen sich in der Selbstsicherheit, mit Blick auf den Hafen und damit auf das, was sie für den Rest der Welt halten: Teil der großen Multitude zu sein. Genau hier zieht Schamoni die Trennungslinie und widerlegt die Lüge von der Revolte, bei der alle mitmachen dürfen, die sich auf den richtigen Style einlassen, die richtigen Bands hören und die richtigen Theoriephrasen auswendig lernen. Anders als bei den letzten Platten ist dies kein Soundtrack zum Widerstand mehr. Der Widerstand findet nicht statt. Es war eine kulturlinke Idiotie, zu glauben und zu hoffen, dass Pop die Welt verändert. Und das stellen Schamoni & Little Machine ganz nüchtern fest.

Was Pop dennoch vermag, füllt thematisch die zweite Hälfte des Albums. Hier kehrt die Liebe wieder, der apollinische Geist: »Und es geht um die ganze Welt (…) Das ist die Liebe, und die Liebe kennt keine Grenzen / Das ist die Liebe, und die Liebe verbindet die Menschen.« Doch das Herz bleibt zum Schluss das fehlende Symbol, das verlorene Organ dieser Platte: »Man konnte von uns profitieren / doch unsere Art zu leben schien euch verdächtig / Ihr wolltet euch mit uns nur zieren (…) Wir sind für immer eure Sklaven.« Was bei anderen Bands nichts weiter als prätentiös wäre, ist bei Rocko Schamoni & Little Machine eine völlig sympathische, keineswegs arrogante, gerade deswegen aber bissige Einlassung auf eben das Prinzip, an dem die Musik schließlich scheitert: kein Finale, statt dessen Fade Out.

Rocko Schamoni & Little Machine: Rocko Schamoni & Little ­Machine (Trikont)