»Wir sind von Platte zu Platte konkreter geworden«

Jochen Distelmeyer

Als sich der rassistische Mob Anfang der neunziger Jahre in Deutschland austobte, gründete Jochen Distelmeyer die Band Blumfeld. Politisch waren die Musiker eng mit den Hamburger Wohlfahrtsausschüssen und der Kritik an den deutschen Zuständen verbunden. Distelmeyers Texte handelten von den Schwierigkeiten, »Nein« zu sagen, über Sex zu reden, die Natur zu verstehen und Subjekt im Staat zu sein. Kommende Woche erscheint eine Box mit den ersten drei Blumfeld-Alben und diversen Extras, darunter der bisher unveröffentlichte Song »Deutschland der Deutschen«. Die Tour dazu ist der Abschiedsgruß der Band. Distelmeyer hat ihr Ende beschlossen. Mit ihm sprach Doris Akrap.

Nach 16 Jahren Blumfeld hast du dich entschlossen, die Band aufzulösen. Ihr geht im April auf Abschiedstour. Warum hast du Schluss gemacht?

Beim Arbeiten an einigen Stücken von der »Verbotene Früchte«-Platte überraschte mich das Gefühl, dass hier einiges nach Abschluss oder Abschied klingt. Die gemeinsame Zeit im Studio und auf Tour war dann aber von einer so entspannten Euphorie getragen, dass ich dieses mich selbst irritierende Gefühl als Abschluss der letzten drei Platten bewertet habe.

Erst beim Zusammenstellen der CD-Box »The Anthology Archives Vol. 1« dachte ich, das ist der perfekte Zeitpunkt, die gemeinsame Arbeit abzuschließen. Ich erinnerte mich an dieses »Verbotene-Früchte«-Gefühl. Jetzt freuen wir uns auf eine gemeinsame letzte Tour, um uns von allen zu verabschieden, die uns in all den Jahren unterstützt haben.

Ein Kreis schließt sich, heißt es in eurer gemeinsamen Auflösungsmitteilung. Ist dir nichts mehr eingefallen? Hattest du Angst, du würdest dich nur noch wiederholen?

Nein. Es fühlt sich jetzt einfach richtig an, zu sagen, das ist das, was Blumfeld ist. So wie man weiß, ob ein Bild oder Song fertig ist. Blumfeld haben immer alles primär anhand künstlerischer Kriterien entschieden: wo und welche Platten wir veröffentlichen, wo wir spielen und wo nicht, mit wem wir sprechen, mit wem nicht.

Und so wie eine Platte oder ein Konzert einen Anfang und ein Ende hat oder wie es bei einer Party den richtigen Moment gibt zu gehen, nicht zu früh und nicht zu spät, so ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, Blumfeld als Band aufzulösen.

Schon als die »Verbotenen Früchte« rauskamen, waren einige Kritiker eurer Musik der Meinung, ihr hättet den richtigen Moment, von der Bühne zu gehen, verpasst. Sie warfen euch vor, deutsche Naturromantik zu verbreiten. Hast du dich der Faszination an der Natur ergeben?

Ergeben? Wohl kaum. Allerdings sehe ich überhaupt keine Alternative zu der banalen Tatsache, dass die Natur eine fesselnde Wirkung auf uns ausübt. Schließlich sind wir als Menschen Teil von Natur. Ich habe »Verbotene Früchte« immer vor dem Hintergrund gesehen, dass es auf der einen Seite dem Menschen, als dem von Nietzsche so bezeichneten »nicht festgestellten Tier«, schwer fällt, im Einklang mit der natürlichen Unordnung des Planeten zu leben, siehe Klimawandel, Umweltzerstörung, Massentierhaltung.

Auf der anderen Seite gibt es die Neigung, alles Menschenmögliche zu, ich sag mal, naturalisieren.

Konkret bedeutet das also, den Kapitalismus inklusive der Heuschrecken und des Rechts des Stärkeren als unüberwindbaren Naturzustand zu begreifen. Das zeigt sich auch in den derzeitig wieder sehr gängigen Floskeln wie »Der-Mensch-ist-halt-so«, »Männer-sind-halt-so« und »Frauen-sind-Mütter«.

Meiner Ansicht nach scheinen die Menschen diesem auch inneren Widerspruch nicht gewachsen zu sein. Bis jetzt sind sie nur zu einem technokratisch-romantischem Verhältnis zur Natur und dem, was sie Natur nennen, gekommen. Diese Haltung kann man in der Propagierung der Atomkraft als Klimaschutzmaßnahme, dem Genfood und dem Caspar-David-Friedrich-Revival erkennen.

Das ist übrigens auch die Position von Marlon Brando in »Apocalypse Now«, wenn er davon spricht, dass er den Horror gesehen habe. »I’ve seen the Horror! The Horror!« Umgeben von Krieg und Dschungel sitzt er da mit einer klassisch romantischen Erwartung von Sinn und Antwort. Aber die ihn umgebende Natur antwortet nicht. Maximal Blätterrauschen und Vogelgezwitscher. Dieses Schweigen ist der Horror, von dem er spricht.

Auch für viele Linke war eure letzte Platte der Horror. Sie konnten damit nichts anfangen.

Ich vertraue darauf, dass früher oder später, so wie es bei allen unseren Platten immer gewesen ist, die Leute verstehen, was ich meine.

Bei Blumfeld hat sich also nie etwas geändert?

Die Bedingungen, unter denen wir gearbeitet haben, sind weitgehend dieselben geblieben. Es waren immer die, für die wir uns als Band entschieden haben. Ich finde die Frage zu abstrakt, ich hab mich als Songschreiber immer darum bemüht, konkret zu werden. Ich würde auch sagen, dass wir von Platte zu Platte konkreter geworden sind. Zumindest nicht weniger konkret als auf »L’Etat Et Moi«. Paul Celan sprach in seiner Büchnerpreis-Rede davon, bei der Arbeit in die eigenste Enge zu gehen. Das war für mich immer sehr bindend. Entgegen der Arbeitsweise von anderen Bands oder Musikern hat es mich nie interessiert, mit den Optionen zu jonglieren.

Was bedeutet das, mit Optionen zu jonglieren?

Musiker wie beispielsweise David Bowie, Beck oder Damon Albern sind Gefangene ihres Talents. Als solche jonglieren sie, mehr oder weniger virtuos, mit ihren Möglichkeiten. Das sieht maximal pittoresk oder ganz interessant aus. Vielleicht gibt es auch ab und zu ganz gute Stücke. Aber als Grundmotiv für die Arbeit als Musiker ist mir das zu wenig.

Für mich ist der Moment der Entscheidung und das Bekenntnis zu einer Form oder zu einer Haltung, eine bestimmte Konsequenz oder Verantwortung wichtiger, auch auf die Gefahr hin, dass das nicht besonders originell oder neu aussieht. Wenn man Musik so tausendsassamäßig betreibt, verläuft man sich in seinem Talent und stößt nicht zu dem vor, was über die Musik hinausgeht, auch wenn es letztlich nur Songs bleiben.

In dem Song »Ich-Maschine« rettet dich der Apfelbaum vor der Erdanziehung, auf »Old Nobody« erinnert dich der Baum an deine Ängste und Träume, und auf »Verbotene Früchte« sieht der Apfelmann die Apfelbäume und damit seine Arbeit warten. Was hat es mit dem Apfelbaum auf sich?

Hat nicht Luther gesagt: »Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen«? Ausgerechnet ein Christ und christlicher Theologe will den Baum pflanzen, den sein Glaube für die Vertreibung aus dem Paradies verantwortlich macht. Abgefahren, oder? Angesichts der Apokalypse bringt er genau das ins Spiel, womit der ganze Wahnsinn losging.

Von James Joyce heißt es, er habe keinen Satz geschrieben, über den er nicht lachen kann. Lachst du über deine Sätze?

Kommt drauf an. Warum nicht? Klar ist der Apfelmann auch ein Happy-Song. Und genauso wie ein »kleines Lied« in allen Dingen und jeder Tag ein Song ist, will der Apfelmann für »jeden Baum das Beste«.

Die 5-CD-Box »Ein Lied mehr – The Anthology Archives Vol. 1« erscheint am 15. März auf dem bandeigenen Label »Blumfeld-Tonträger«.