Wir sind nicht alle

Politische Gefangene von felix klopotek

In Köln gibt es ein traditionsreiches linkes Haus, auf dessen weithin sichtbarer Fassade ein Wandgemälde prangt mit der Aufschrift: »Freiheit für alle politischen Gefangenen.« Doch wer oder was ist damit eigentlich gemeint? Freiheit für die in Israel inhaftierten Drahtzieher der Selbstmordattentate? Freiheit für die US-amerikanischen Folterknechte von Abu Ghraib? Für die bosnischen, serbischen, kroatischen Bürgerkriegsmarodeure? Und die argentinischen Generäle der brutalen Militärdiktatur? Ein paar von denen sind doch auch inhaftiert. Was ist schließlich mit den deutschen Wehrsportgruppenmitgliedern?

Was genau ist überhaupt ein politischer Gefangener? Bekannt ist, dass die Justiz der USA hohe Haftstrafen für Armutsverbrechen erteilt. Bekannt ist auch, dass viele amerikanische Knäste Fabriken gleichen, in denen die Gefangenen Arbeit auf Sklavenniveau leisten müssen. Das ist politisch gewollt und erzwungen, bringt also zahllose politische Gefangene hervor. Und sind die Abschiebegefängnisse hierzulande nicht ebenfalls Resultat eines genuin politischen Prozesses?

Sind politische Gefangene solche, die unter einer besonders großen Willkür leiden? Man denke an Adriano Sofri, der für einen aus politischen Motiven begangenen Mord büßen muss, den er nicht begangen hat. Christian Klar dürfte einer ungleich geringeren Willkür ausgesetzt sein. Ein mal kleineres, mal größeres Maß an Willkür ist ein generelles Merkmal staatlich monopolisierter Gewalt. Man muss kein Linker sein, um von der Polizei schikaniert zu werden.

Politische Gefangene sind Leute, die aus politischen Gründen handeln, deren Praxis aber als Straftat gewertet wird, für die sie verurteilt werden. Dass die Mordraserei von Neonazis politisch ist, darauf haben Antifa-Gruppen immer bestanden. Nicht zuletzt, um die staatliche Strategie, Skinheads als Einzeltäter oder gewöhnliche Kriminelle zu behandeln, als Verharmlosung zu kritisieren.

Der Begriff des politischen Gefangenen, wie ihn die Linke geprägt hat, ist ein historischer, obwohl es gegenwärtig viele politische Gefangene gibt. Er basiert darauf, dass eine bestimmte Erscheinungsform des Staates – die Repression gegen die Linke, die ihr Maß allein in der Zerstörung der Linken hat – zu seinem Wesensmerkmal verdreht wird. Dieses Verständnis bringt dann kaum mehr Erkenntnis, wenn der Staat seine Gewalt auf andere Gruppen ausdehnt, die seine Souveränität bestreiten, zum Beispiel auf Neonazis oder Islamisten. Die Enge des Begriffs offenbart sich vollends, wird die Rolle der Gefängnisse in der politischen Ökonomie des Neoliberalismus ausgeblendet.

Klingt zu abgehoben? Reden wir doch lieber über Christian Klar und Adriano Sofri! Aber müssen wir nicht auch über Marwan Barghouti reden? Und über Vojislav Seselj? Es funktioniert nicht mehr, diese Fälle im abstrakten Modus des politischen Gefangenen zu verhandeln. Mit Moral kommt man erst recht nicht weiter. Wer über die Situation von Gefangenen sprechen will, muss über die ganze Gefängnisordnung sprechen, muss das System in den Blick bekommen, gegen das sie gehandelt haben oder in dessen Namen sie auftraten. Das ist zunächst eine abstrakte Forderung, aber allemal ein besserer Ausgangspunkt als »Freiheit für alle politischen Gefangenen«.