Harmonie und Straßenkampf

Riots und ihre Grenzen in China von carlos kunze

Kleine Ursache, großer Krawall: Die Auseinandersetzungen in Zhushan, einem Dorf in der zentralchinesischen Provinz Hunan, sind symptomatisch für die derzeitige Situation in großen Teilen Chinas. Alles begann am 9. März mit einem kleinen Protest gegen die Verdoppelung der Fahrpreise bei einer Busgesellschaft und eskalierte innerhalb kürzester Zeit. Es kam zu tagelangen heftigen Zusammenstößen von Tausenden Einwohnern mit der lokalen Polizei und der paramilitärischen Anti-Riot-Polizei.

Normalerweise hätte man wegen der rigiden Informationspolitik der chinesischen Behörden von den Auseinandersetzungen wenig oder gar nichts erfahren. Aber Zhang Zilin, ein 22jähriger Bürgerrechtler, begab sich nach Angaben von AP aus der Provinzhauptstadt nach Zhushan und berichtete von dort. Am Freitag hätten Einwohner des Orts sich rund um ein Regierungsgebäude versammelt, um gegen die Erhöhung der Fahrpreise zu protestieren, erzählte Zhang Zilin. Bis Montag sei die Menge auf 20 000 angewachsen, die Demonstration hätte eine Wendung zur Gewalt genommen, als die lokalen Behörden die Polizei entsandten, die die Protestierenden angriff. Diese seien sehr wütend gewesen und hätten gerufen: »Schlagt die Hunde der Regierung tot!« Worauf die Polizisten ihrerseits geantwortet hätten: »Schlagt sie tot!« Fünf Stunden hätten die Auseinandersetzungen am Montag gedauert. Nach Medienberichten wurden bei den Riots insgesamt neun Busse und sieben Polizeiautos verbrannt oder zerstört. Mindestens 60 Menschen seien verletzt worden, auch vom Tod eines Studenten wurde berichtet.

Diese Art von Zusammenstößen sei in ganz China mittlerweile klassisch, kommentierte die französische Tageszeitung Le Monde. Die wachsende Kluft zwischen dem Einkommen auf dem Land und dem in den Städten provoziere jährlich zehntausende mehr oder weniger gewaltsame Demonstrationen.

Die gesellschaftlichen Konflikte haben ein Ausmaß angenommen, das auch die chinesischen Bürokraten nicht mehr ignorieren können. Ein deutliches Anzeichen dafür war die Rede des Premierministers Wen Jiabao zu Beginn der diesjährigen Sitzung des Nationalen Volkskongresses, in der er populistisch ein Verbot des Baus von Villen und Golfplätzen auf Ackerland und vor allem eine »harmonischere« Gesellschaft forderte. Das ist ein hoch gestecktes Ziel in einer Gesellschaft, in der die herrschende Bürokratenklasse eine Klasse »roter Unternehmer« mit mittlerweile bereits 41 Milliardären hervorgebracht hat.

Aber die Grenzen dieser Art von Revolten sind eng gesteckt. Die Unzufriedenheit der Bauern, die sich an Steuer- und Preiserhöhungen, an der Willkür und der Korruption der Parteikader und örtlichen Verwaltungen, an brachialen Umsiedlungen wegen industrieller Großprojekte wie Staudämmen entzündet, entlädt sich in lokal begrenzten, voneinander getrennt stattfindenden Riots. Eine Perspektive für eine andere Gesellschaft ergibt sich daraus nicht, zumindest nicht, solange es keine organisatorischen Verbindungen zu dem städtischen Proletariat und der städtischen Intelligenz gibt.