Flug nach Jamaika

Die Union propagiert immer stärker das Thema Ökologie. So sollen Bündnisse jenseits der Großen Koalition möglich werden. von richard gebhardt

Die Zeit ist reif, um mit einem Brückenschlag zwischen Bürgertum und den von der Revolution entlassenen Kindern den Kulturbruch von damals aufzuheben.« Mit diesen pathetischen Worten warb der Vorsitzende der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Friedbert Pflüger, in der Zeitschrift Cicero für eine »Jamaika-Koalition« aus Union, Liberalen und Grünen. Sie soll den Konservativen politische Optionen jenseits der Großen Koalition verschaffen.

Die Dominanz umweltpolitischer Katastrophenszenarios in den Medien führt zu einer thematischen Annäherung zwischen Parteien, die lange Zeit an den entgegengesetzten Enden des parlamentarischen Spektrums standen – etwa zwischen den Grünen und der Union. Noch sind schwarz-grüne Koalitionen in Rathäusern eine Rarität und beschränkt auf Städte wie Saarbrücken, Frankfurt und Köln. Pflüger aber zitiert zustimmend Ralf Fücks vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahe steht. Für Fücks symbolisiere Schwarz-Grün eine »neue Bürgerlichkeit«, die sich »gesellschaftlich bereits entwickelt hat – und in einer Koalition aus CDU und Grünen seinen politischen Ausdruck fände«.

Doch einen kohärenten Entwurf für eine Koalition aus alten und neuen Bürgerlichen kann Pflüger nicht bieten. Der einstige Mitbegründer der Berliner »Pizza-Connection«, in der sich in den neunziger Jahren junge Bundestagsabgeordnete der Union und der Grünen zur Diskussion trafen, legt mit seiner vermeintlichen Programmschrift eher eine Agenda für alles vor. Kaum ein ökologisches Projekt, das in Umfragen hohe Zustimmungsraten bringen könnte – vom Hybrid-Fahrzeug bis zum Solarschiffbau -, darf hier fehlen.

Pflügers Intervention kommt zu einem Zeitpunkt, da die CDU und die CSU über neue Grundsatzprogramme debattieren, die bis Jahresende vorliegen sollen. Die zuständigen Parteigremien arbeiten an Entwürfen, mit denen die Union im »Superwahljahr 2008« in vier Landtagswahlen und im Bundestagswahlkampf 2009 als »moderne Volkspartei« antreten will. Lautstark wird die Modernisierung zur Öko-Union propagiert, für die die »Bewahrung der Schöpfung« auch außenpolitisch eine dringliche Aufgabe geworden sei.

Flankiert von drastischer Rhetorik, dominierte der Umweltschutz bereits Anfang März den Brüsseler Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich als amtierende Präsidentin des Europäischen Rats für eine Reduzierung der Treibhausgase einsetzte. »Es ist eher fünf nach zwölf als fünf vor zwölf«, meinte sie damals. Dass gerade die deutschen Autohersteller mit ihren schadstoffintensiven Modellen zu dieser Situation beigetragen haben, konnte Merkel dabei gut vertuschen.

Der Beifall, den sie von der bürgerlichen Presse bis zu Vertretern von Nichtregierungsorganisationen erhielt, belegt, welche öffentliche Aufmerksamkeit die einstigen ökologischen Nischenthemen heute wieder auf sich ziehen. Apokalyptische Szenarien bestimmten auch die Berichterstattung über den Klimareport der UN, dessen zweiter Teil mit Berichten über die Folgen der Erderwärmung am 6. April erscheinen soll.

Merkels Auftreten auf dem Brüsseler Treffen, auf dem eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 und eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien um ebenfalls 20 Prozent als Ziel festgelegt wurden, passte gut zur öffentlichen Stimmung. Wegen der Dominanz des Themas Klima- und Umweltschutz will sich auch die CSU nach den Worten ihres noch amtierenden Vorsitzenden Edmund Stoiber künftig als »ökologisch-konservative Partei« präsentieren. Für Ende April ist gar eine Sitzung des bayerischen Kabinetts in der Klimaschutzstation auf der Zugspitze geplant.

Der Generalsekretär der CDU, Ronald Pofalla, propagiert neben konservativen Klassikern wie der »Leitkultur« und der »inneren Sicherheit« verstärkt die Förderung alternativer Energieträger. In Programmpapieren heißt es, die »CDU will Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit zusammenführen«. Und Merkel will »Zukunftstechnologien« wie etwa emissionsarme Kohlekraftwerke zum »Wachstumsmotor der EU« machen.

Leise nur wird in der Partei gegen diese neue Ausrichtung protestiert. »Wir dürfen nur so grün werden, wie es die wirtschaftliche Situation erlaubt«, zitierte der Wiesbadener Kurier den Bundestagsabgeordneten Michael Fuchs vom Parlamentskreis Mittelstand der Bundestagsfraktion der CDU/CSU. Aber auch diese Skeptiker dürften angesichts der Realpolitik der Union bald verstummen. Bereits jetzt ist Deutschland in der Sparte Umwelttechnologien im Export führend. Der Wirtschaftswoche zufolge fließt im Silicon Valley gegenwärtig mehr Geld in so genannte Cleantech als in die traditionelle Halbleiterbranche. Der forcierte Einsatz »grüner« technologischer Innovationen liegt an der Schnittstelle zwischen Ökologie und Ökonomie, zu deren »Versöhnung« die Unionsparteien antreten.

Doch trotz der aktuellen Begrünung des schwarzen Terrains sehen nach Forsa nur sieben Prozent der Bundesbürger derzeit die größte umweltpolitische Kompetenz bei der CDU. Eine Kommission unter Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) soll nun aktiv werden, um das Profil noch mehr zu schärfen. Die Traditionslinien aber, die in der derzeitigen Debatte beschworen werden, lassen aufhorchen. In seinem Artikel für Cicero bedauert es Pflüger zum Beispiel, dass der einstige CDU-Abgeordnete und spätere Mitbegründer der Grünen, Herbert Gruhl, aus der Partei gedrängt wurde. Gruhl, der 1975 den Bestseller »Ein Planet wird geplündert« verfasste, gehört zu den Vordenkern einer rechten Ökologie und wandte sich in seinen antiliberalen Schriften vehement gegen die »Überbevölkerung« – freilich ohne auch nur im Ansatz zu erwägen, Leute wie er könnten zu viel sein. Pflügers Würdigung des altrechten Naturschützers steht im bezeichnenden Widerspruch zur pseudomodernen Ausrichtung seines Beitrags, in dem er zwecks Annäherung an die Grünen auch bei gesellschaftspolitischen Themen einen »Kulturbruch« vollzieht und die Akzeptanz homosexueller Lebensentwürfe ankündigt.

Das neue ökologische Denken in der Union wird auch in die traditionelle Wachstumsideologie integriert. Umweltschutz gilt nicht länger als Wachstumshemmnis, sondern wird von Unternehmern und der Union als profitable Zukunftstechnologie propagiert.

Was aber übrig bleibt, wenn Konservative die Themen von Nichtregierungsorganisationen in ihren Diskurs übernehmen, zeigt die Einstellung der CDU zur Weiternutzung der Atom­energie. Mit einer hübschen Pointe gelingt es der Partei, auch ihre umstrittene Forderung nach einer längeren Laufzeit von Atomkraftwerken ökologisch sauber zu begründen. Die Atomkraft, deren zumindest mittelfristige Weiternutzung auch im Grundsatzprogramm festgeschrieben werden soll, sei eine »Brückentechnologie«, meint Generalsekretär Pofalla. Der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erläuterte er seine »Doppelstrategie«, wonach die Laufzeiten von »sicheren Kraftwerken« zur Vermeidung von verstärktem CO2-Ausstoß verlängert werden sollen und zugleich die erneuerbaren Energien stärker eingesetzt werden müssten.

Aber selbst in dieser Frage denkt Pflüger, der in Berlin mit einer rot-roten Mehrheit konfrontiert ist, in Richtung »Jamaika«. Der Süddeutschen Zeitung sagte er, es dürfe keinen »Ausstieg vom Ausstieg« geben. Er habe nichts gegen Laufzeitverlängerungen, aber vor allem regenerative Energien müssten weiter entwickelt werden.