Zelle Nummer 5

Vor zwei Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh im Polizeigewahrsam in Dessau. In der vorigen Woche begann der Prozess gegen zwei Polizisten. von martin kröger

Unser Anspruch ist ein dokumentarischer«, erzählt Steffen Andersch. Abwechselnd mit vier Mitstreitern besucht der junge Mann den in der vergangenen Woche eröffneten Prozess, der die Umstände des Todes von Oury Jalloh klären soll. Der 21jährige Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone verbrannte am 7. Januar 2005, an Händen und Beinen gefesselt, qualvoll in der Polizeistation von Dessau (Jungle World 10/05).

Die Beobachtergruppe um Andersch fertigt für jeden Prozesstag ein Verlaufsprotokoll an, das am Abend ins Internet gestellt wird, um den Prozess einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Dieser ist auf über 20 Verhandlungstage angesetzt und wird wahrscheinlich erst im Mai, vielleicht sogar erst im Juni beendet.

Wie viele andere antirassistische Organisationen ist auch die Beobachtergruppe froh, dass es nach den vielen Verzögerungen und Ermittlungspannen überhaupt noch zu einer Hauptverhandlung kam. Allerdings hat sich in den ersten vier Verhandlungstagen gezeigt, dass das Erinnerungsvermögen der Angeklagten und Zeugen nach 15 Monaten bereits merklich gelitten hat. Dennoch hat Andersch, der in der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus arbeitet und den Fall von Anfang an verfolgt hat, den Eindruck, »dass das Gericht und alle Prozessbeteiligten akribisch versuchen, den Fall Jalloh nun endlich aufzuarbeiten«.

Angeklagt sind vor dem Dessauer Landgericht zwei Polizeibeamte, die am 7. Januar 2005 Dienst hatten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Dienstgruppenleiter Andreas S. gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge und dem Polizisten Hans-Ullrich M. fahrlässige Tötung vor. Oberstaatsanwalt Christian Preissner geht davon aus, dass Oury Jalloh in seiner Zelle hätte gerettet werden können, wenn Andreas S. unverzüglich auf den ersten Feueralarm reagiert und diesen nicht erst einmal ausgeschaltet hätte. Dem Beamten M. wirft Preissner vor, ein Feuerzeug bei der Durchsuchung Jallohs übersehen zu haben. Grundsätzlich geht die Anklagebehörde jedoch weiterhin davon aus, dass der an allen vier Gliedmaßen gefesselte Asylbewerber seine feuerfeste Matratze aufgekratzt und diese dann mit dem von M. übersehenen Feuerzeug selbst entzündet habe.

Ein Tathergang, den die Nebenkläger im Prozess, der Vater und die Mutter des Verstorbenen, die eigens aus Guinea nach Dessau angereist sind, vehement in Frage stellen. »Wir halten die Anklage, wie sie hier verlesen worden ist, für eine Hypothese, für einen Geschehensablauf, der zwar denkbar ist, aber insgesamt wenig plausibel, da hier eine Vielzahl von Unwahrscheinlichkeiten zusammen hätten kommen müssen«, erklärten die Anwälte Ulrich von Klinggräff und die Anwältin Regina Götz als Vertreter der Eltern Jallohs nach der Verlesung der Anklageschrift. Vielmehr sei es weiter ungeklärt, wie es zu dem Ausbruch des Brandes in der Zelle kommen konnte. Deshalb sei nicht nur den Vorwürfen gegen die Angeklagten nachzugehen, sondern der Versuch zu unternehmen, eine möglichst umfassende Aufklärung zu erreichen, da »möglicherweise noch andere Personen für den Tod von Oury Jalloh die Verantwortung tragen«.

Einen ersten Erfolg konnte die Nebenklage bereits erzielen. In der Hauptverhandlung wird ein Vorgang berücksichtigt, den die Verteidiger der Angeklagten lieber nicht im Verfahren erwähnt gesehen hätten: der Fall Mario Bichtemann. Der Obdachlose war im November 2002 durch einen Schädelbasisbruch nach 15 Stunden Arrest in derselben Zelle Nummer 5 ums Leben gekommen wie Oury Jalloh.

Verantwortlicher für den Gewahrsamstrakt war damals ebenfalls der Dienstgruppenleiter Andreas S. Auch der zweite Angeklagte, Hans-Ulrich M., befand sich beim Tod Bichtemanns auf dem Revier. Und als weitere Ähnlichkeit wurde vor Gericht angeführt, dass im Todesfall Bichtemann ein Neurologe anwesend war, der auch die »Hafttauglichkeit« Jallohs bescheinigt hatte, bevor dieser in der Zelle gefesselt wurde. Nach kurzer Diskussion stellte das Gericht unter dem Vorsitzenden Richter Manfred Steinhoff fest, dass diese Aspekte durchaus relevant seien, um sich ein Bild vom angeklagten Dienstgruppenleiter zu bilden – trotz der Einstellung des damaligen Verfahrens wegen so genannter Kausalitätsschwierigkeiten.

Im Gegensatz zu seinem Kollegen Hans-Ullrich M. machte der angeklagte Dienstgruppenleiter Andreas S. im Anschluss an die Verlesung der Anklageschrift ausführlich von seinem Recht auf Einlassung Gebrauch. »Ich bedauere zutiefst, was am 7. Januar 2005 passiert ist, und dass es mir nicht vergönnt war, das Leben des Herrn Jalloh zu retten«, erklärte Andreas S. Auch zum Hergang der Ereignisse vom 7. Januar äußerte er sich. Dass er den ersten Feuer­alarm ignoriert habe, begründet der Beschuldigte mit Fehlalarmen, die im Jahr zuvor häufiger vorgekommen seien. Trotz der Rauchmeldung sei er zudem nicht davon ausgegangen, dass es sich um ein Feuer handeln könnte.

Wie dieses Feuer ausgebrochen ist, bleibt aber weiterhin fraglich. Dass zumindest die Brandschutzverordnung auf dem Dessauer Po­lizeirevier nicht sehr ernst genommen wurde, darauf wiesen an den folgenden Verhandlungstagen auch die Aussagen von anderen Beamten des Reviers hin, vor allem die Ausführungen eines Kriminalpolizisten, der für die Brand­ermittlung zuständig ist und bis ins Jahr 1990 Brandobermeister bei der Dessauer Feuerwehr war. Dieser sagte vor Gericht: »Wenn es nach mir ginge, müsste das Polizeirevier brandschutztechnisch gesperrt werden. Jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt.« Auch ein Rettungs- und Evakuierungsplan für den Gewahrsamtrakt sei ihm nicht bekannt gewesen.

Beobachter des Prozesses wie Professor Wolf-Dieter Narr, der Mitglied im Komitee für Grundrechte und Demokratie ist, sehen mit dieser Aussage bekräftigt, dass es im Dessauer Polizeirevier »eine systematische Schlamperei im Umgang mit Menschen« gegeben habe. Narr zählt zu einer internationalen Beobachtergruppe, die an den Verhandlungen teilnimmt. Nach dem Ablauf der ersten Woche zieht die Delegation ein sehr kritisches Fazit. Man habe nicht den Eindruck gehabt, dass der Richter unabhängig und vorbehaltlos sei.

»Es wurde absolut versucht, Oury Jalloh als Drogensüchtigen zu porträtieren, und das vom Richter«, kritisierte der Präsident der Südafrikanischen Anwaltsvereinigung, Silas Nkanunu. Seine Hoffnung besteht darin, dass durch den Prozess die Aufmerksamkeit auf die Situation der Migranten in Deutschland gelenkt werde, für die polizeiliches Vorgehen wie das im Falle Jallohs zum Alltag zähle.

Dass der Tod in deutschen Polizeizellen schnell eintreten kann, belegt eine Studie des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Halle mit dem Titel »Todesfälle im Polizeigewahrsam in Deutsch­land 1993–2003«. Demnach starben in diesem Zeitraum alleine 128 Menschen in den Verwahrräumen der Polizei. Ursächlich dafür seien vor allem fehlende Veranlassungen von »weitergehenden diagnostischen Maßnahmen« durch Ärzte und »mangelhafte Überwachung«, weshalb viele der Opfer hätten überleben können, schreiben die Rechtsmediziner.