Lieber Tee trinken

Der Kokagenuss ist ein Teil der bolivianischen Alltagskultur. Die Regierung fordert eine internationale Legalisierung der Pflanze, will aber den Kokainhandel bekämpfen. von simón ramírez voltaire

Es hilft gegen Fußpilz, beruhigt den Magen und wird in Bolivien bei jeder Zeremonie gebraucht: Koka. Derzeit berät ein eigens dafür eingerichteter Ausschuss der Verfassunggebenden Versammlung in Sucre, ob die vielseitige Pflanze als Kulturerbe der Inkas besonders geschützt, Verfassungsrang bekommen und künftig im Staatswappen Boliviens neben Lama und Kondor abgebildet sein soll.

Die Initiative geht aber noch weiter, und die Koka-Kommission hat sich den in dieser Frage passendsten Gegner ausgesucht: die Coca-Cola Company. In einer Resolution fordert sie vom Eigentümer der »wertvollsten« Marke der Welt, dass sie aus ihrem Namen ausgerechnet den Teil streicht, der sie unverwechselbar macht: das Wort »Coca«.

Für die Kommissionspräsidentin Margarita Terán, eine altgediente Gewerkschaftsführerin der Kokabauern, ist es ein Skandal, dass die internationale Vermarktung der »heiligen Pflan­ze« verboten ist, während die US-Firma mit dem Namen Geschäfte machen darf. Deshalb will die Kommission auch einen Markenschutz für »Coca« erreichen, ähnlich wie für den französischen Champagner oder den mexikanischen Tequila.

Doch all das ist mehr als ein Streit um das Patent für ein edles Gewächs, von dem nicht einmal klar ist, ob er überhaupt juristisch ausgefochten wird. Es ist ein alter Konflikt, der mit theatralischer Sym­bolik erneut ausgetragen wird.

Nach dem Silber, dem Zinn und dem Erdgas gilt Koka als ein weiteres Symbol für das Trauma Boliviens. Das Silber machte die Spanier reich, dann kamen im 20. Jahrhundert die Zinnbarone. Im Jahr 2003 wurde das Erdgas zum Streitthema, die Protestbewegung setzte dem Billigverkauf ein Ende. Nun geht es um Koka. Aus der Sicht der indigenen Bewegung symbolisieren alle diese Substanzen die Ausbeutung ihrer Ressourcen durch andere.

Koka wurde bereits von vorkolonialen Zivilisationen wie den Inkas benutzt. Ihren zweiten Aufschwung erlebte die Pflanze während der Kolonialzeit. Die Spanier förderten die Abgabe an die Indios, die in ihren Minen schufteten, nachdem sie entdeckt hatten, dass Kokakauen die Produktivität steigert. Sie richteten Kokamärkte ein, die Kirche erhob Steuern darauf – ein einträgliches Neben­geschäft für die Spanier.

Die Bedeutung der Kokaproduktion in der Gründungszeit der Republik war nicht geringer, und in den achtziger Jahren gab es einen weiteren Aufschwung, nicht nur unter der Narcodiktatur von García Meza. Damals diente die Pflanze vornehmlich der Produktion von Kokain für die Märkte in Europa und den USA.

Koka ist ein Teil der bolivianischen Alltagskultur, in allen Schichten. Während Bauern und Arbeiter die getrockneten Blätter bevorzugt kauen, trinkt die Mittel- und Oberschicht am Nachmittag ger­ne Kokamate. Bei Geschäftsterminen bekommt man ihn standardmäßig neben Kaffee und Tee angeboten, und Kinder trinken ihn bei Magenproblemen. Es gibt Kaugummis aus Koka sowie Kekse, Bonbons, Wein, Zahn­pasta, Hustensaft, Sham­poo, Gesichts- und Fußpilzcreme, Prostata-, Blutdruck- und Arthritismedikamente.

Die Liste ist lang – in Bolivien. Der Gebrauch von Koka ist in Bolivien, Peru und Argentinien begrenzt erlaubt. International aber darf mit der Pflanze nicht gehandelt werden. Seit einer Konvention der Vereinten Nationen von 1961 steht die Kokapflanze ganz oben auf der Liste der verbotenen Substanzen, neben Opium und Cannabis. In dieser Konvention und den Nachfolgeabkommen von 1971 und 1988 verpflichten sich die Staaten, die Produktion und den Vertrieb von »Suchtstoffen« zu kontrollieren.

Die Dämonisierung des Kokastrauchs geht einer Untersuchung des vom niederländischen Außenministerium finanzierten Amsterdamer Transnational Institute (TNI) zufolge auf einen von rassistischen Ressentiments beeinflussten Bericht zurück, den eine UN-Kommission 1949 nach einem Kurzbesuch in Bolivien und Peru verfasste. Die UN-Bürokraten waren der Ansicht, dass Kokakauen unerwünschte »moralische« und »intellektuelle« Veränderungen bei den Konsumenten herbeiführe und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mindere.

Diese Studie würde keiner wissenschaft­lichen Überprüfung standhalten, so das TNI. Sie ist jedoch immer noch die Grund­lage für das weltweite Verbot. Eine spätere Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) namens »Kokain-Projekt« von 1995 besagt hingegen, dass gesundheitliche Schäden durch den Konsum von Kokablättern nicht nachgewiesen wer­den könnten, und empfiehlt die weitere Untersuchung des therapeutischen Nutzens der Pflanze. Auf Drängen der USA distanzierte sich die WHO von ihrer Studie, die danach nie offiziell veröffentlicht wurde. Immer wieder gab es seither wissenschaftliche und politische Initiativen zur Rehabilitation der Koka­pflanze – bislang erfolglos.

Im Jahr 2008 soll sich in Wien die UN-Drogen­kontrollkommission treffen, um die Konven­tio­nen einer Revision zu unterziehen. Für die bolivianische Bewegung, an deren Spitze Präsident Evo Morales steht, ist dies eine Chance, den Strauch international zu legalisieren. Würde Koka als Heilkraut anerkannt und als Rohstoff, der nicht mit der Droge Kokain identisch ist, von der Liste gestrichen, wären die industrielle Verarbeitung und der Vertrieb von Kokatee und anderen Produkten denkbar. Kokain könnte weiterhin verboten bleiben. Der legale Koka­anbau ist zudem eine realistischere Option für die Bauern als die üblichen Substitutionsprogramme.

Für Morales, der seine Karriere als Gewerkschaftsführer von Kokabauern begann, ist die Legalisierung der Pflanze ein Lebensziel. Er versäumt keine Gelegenheit, dafür zu werben. Bereits auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr hielt er ein Koka­blatt in die Höhe und sagte, dessen Kriminalisierung sei eine historische Ungerechtigkeit. Mit dem Bild landete er in vielen Zeitungen .

Statt der »Null-Koka«-Politik seiner Vorgänger propagiert Morales »Null Kokain«: Er plädiert für eine strikte Trennung zwischen der Kokapflanze und der Droge Kokain, will den Kokaanbau streng kontrolliert ausweiten und die Kokainproduktion hart bekämpfen. Kampag­nen wie cocasoberania (etwa: »Koka-Souveränität«) gibt es seit Jahren, die derzeitige öffentliche Aufmerksamkeit ist das Ergebnis zäher Arbeit. EU-Abgeordnete und NGO interessieren sich für das Thema, eine Studie über die legale Nachfrage nach Koka soll erstellt werden, es kommt Be­wegung in die Debatte.

Für die Regierung in La Paz ist die Markenschutzdebatte um Koka kein PR-Gag. In Bolivien gehört die Nutzung der Kokapflanze zum Alltag, ohne dass damit irgendein Drogenpro­blem verbunden wäre. Sie gilt aber auch als Sym­bol für eine eigenständige Politik. Als »Evo« im September 2006 vor den versammelten Vereinten Nationen das Kokablatt allen Kameras vorführte, da schienen sich seine Wähler, ob sie sich nun Indígenas, Bauern oder Arbeiter nennen, angemessen repräsentiert zu fühlen. Das muss ein Hochgefühl gewesen sein, das keine Droge ersetzen könnte.