Rausch und Realität

Drogen im Kapitalismus von jörn schulz

Zu den großen Rätseln, vor die die kapitalistischen Verhältnisse ihre Kritiker stellen, gehört die scheinbar irrationale Drogenpolitik. Ständig reden Politiker und Unternehmer vom Freihandel, doch da gibt es diese verteufelten Substanzen, für die das Prinzip »williger Käufer, williger Verkäufer« partout nicht gelten soll.

Immer wieder erscheinen wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass die juristische Einstufung diverser Drogen sich nicht an deren Gefährlichkeit orientiert. Zuletzt war es die britische RSA Commission on Illegal Drugs, die Anfang März feststellte, dass »die Mehrheit jener, die Drogen benutzen, dies tut, ohne sich oder anderen zu schaden«. Wie üblich empörten sich die Politiker über diese unbequeme Wahrheit oder ignorierten sie. Nicht anders ergeht es Wissenschaftlern, die beweisen, dass die repressive Drogenpolitik nur die Gefängnisse und Friedhöfe füllt, das Rauschmittelgeschäft jedoch nicht beeinträchtigt.

Die Uno berechnet das Volumen des weltweiten Drogenhandels auf rund 320 Milliarden Dollar jährlich, eine wohl eher konservative Schätzung. Kapitalisten, die in illegalisierten Geschäftsbereichen tätig sind, reinves­tieren nur einen sehr kleinen Teil des Profits in ihr Unternehmen. Die anfallenden Kosten für Produktionsanlagen, Transport, Löhne und Bestechungsgelder sind, gemessen am Umsatz, gering. Die Bauern erhalten für die Rohstoffe nur einen winzigen Bruchteil des Endverbraucherpreises, und die meisten Straßendealer verdienen selbst in den USA nicht mehr als Angestellte bei McDonald’s.

Die immensen Gewinne der Großhändler sind eine Form des Extraprofits, dessen Grund­lage nicht ein Monopol wie bei Microsoft oder die staatliche Großzügigkeit wie bei den Rüstungskonzernen ist, sondern die Illegalität des Produkts. Die Kapitalisten im Drogengeschäft haben daher kein Interesse an einer Legalisierung, den größten Teil ihrer Profite aber stellen sie, sei es durch Direktinvestitionen oder durch die Deponierung auf einem Nummernkonto, der legalen Wirtschaft zur Verfügung. Dass viele Börsianer wohl an Elan verlieren würden, bliebe die Kokainzufuhr aus, wäre nur die geringste Auswirkung eines abrupten Endes des Drogenhandels.

Eigentlich könnten sich die Feinde der Rausch­mittel also einen Erfolg ihrer Bemühungen nicht einmal wirklich wünschen. Doch die wirtschaftlichen Zusammenhänge dürften den wenigsten Politikern geläufig sein. Der Einfluss von ökonomischen Interessengruppen spielt bei der Aufrechterhaltung des globalen Systems der Kriminalisierung sicherlich eine Rolle, so profitieren US-amerikanische Rüstungs- und Söldnerfirmen vom »Plan Colombia«.

Doch die ignorante Drogenpolitik scheint vor allem eine Folge ideologischer Verblendung zu sein. In einem Milieu, das von ehemaligen Kampftrinkern wie George W. Bush und puritanischen Kamillenteeliebhabern wie Edmund Stoiber dominiert wird, gelten Haschisch und Kokain noch immer als die Drogen einer rebellischen Subkultur, die bekämpft werden muss. Sie führen einen Kulturkampf weiter, der eigentlich durch die nicht nur von der RSA Commission konstatierte gesellschaft­liche Integration der meisten Benutzer illegaler Drogen längst beendet ist.

Die Legalisierung oder Entkriminalisierung würde zudem den Kontrollanspruch des Staats schwächen, der derzeit wieder gestärkt werden soll. Denn gerade weil die Drogengesetzgebung einer rationalen Prüfung nicht standhält, vermittelt sie dem Bürger, dass es eben nicht darauf ankommt, was er denkt oder ein Wissenschaftler herausfindet, sondern dass er zu gehorchen hat.