Der Mai ist verkommen

Die Neonazis schwirren aus: In mindestens sechs Städten wollen sie am 1. Mai aufmarschieren. In den Aufrufen wird der »völkische Antikapitalismus« beschworen. von jan langehein

Was dem Gewerkschafter sein Maifeiertag ist und dem Linken sein Internationaler Kampftag der Arbeiterklasse, das ist dem Neonazi sein »Tag der deutschen Arbeit«. Die Rechtsex­tremen betrachten den 1. Mai auch als »ihren« Tag, war es doch schließlich die Regierung Adolf Hitlers, die ihn im Jahr 1933 zum Feiertag machte, nachdem sie am Tag zuvor die Organisationen der Arbeiter­bewegung gewaltsam hatte zerschlagen lassen.

In den vergangenen Jahren ist der 1. Mai für Neo­nazis immer mehr zu einem der beiden zentralen Daten in ihrem Kalender geworden: Während sie beim Rudolf-Heß-Marsch im August ihr Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus zelebrieren, stehen am 1. Mai soziale Themen im Vordergrund, und das wird auch in diesem Jahr so sein. Anders ist allerdings die Auswahl der Orte, an denen die Neonazis aufmarschieren wollen. Bisher waren die größten Kundgebungen zumeist in Leipzig und Berlin geplant; beide Städte spielen in diesem Jahr in den Planungen keine Rolle. Stattdessen schlägt alleine die NPD ihren Anhängern gleich sechs Demonstrationen vor, die sie am 1. Mai besuchen sollen: in Dortmund, Vechta, Erfurt, Nürnberg, Neubrandenburg und Raunheim/Rüsselsheim.

Es läge nahe, von dieser Vielzahl von Demons­trationen auf eine Zerstrittenheit in der Neonazi-Szene zu schließen, aber dieser Schluss wäre voreilig. Von Streit etwa zwischen der NPD und den Kameradschaften ist zumindest von außen nichts zu spüren. Bei der voraussichtlich größten Kundgebung im Westen, dem Aufmarsch in Dortmund, stehen Udo Voigt, der Vorsitzende der NPD, und der Kameradschaftsfunktionär Christian Worch einträchtig nebeneinander auf der Rednerliste. Angemeldet wurde der Aufmarsch von den so genannten Freien Kameradschaften, inhaltlich steht er ganz unter dem Banner eines »völkischen Antikapitalismus«, den die Kameradschaften lange vor der NPD propagiert haben. Das Motto in Dortmund lautet: »Gemeinsam gegen den Kapitalismus! Heraus zum 1. Mai!«

In den neunziger Jahren stand für die Neonazis auch bei Themen wie Armut und Arbeitslosigkeit noch ganz das rassistische Moment ihrer Ideologie im Vordergrund. Es ging vor allem um die Ausländer, die »den Deutschen die Arbeitsplätze wegnähmen«. Im Dortmunder Aufruf werden Migranten dagegen mit keinem Wort mehr erwähnt, ohne dass freilich der Hass auf sie verschwunden wäre. Vielleicht hoffen die Veranstalter, mit ihrer Strategie auch diejenigen für ihre Propaganda interessieren zu können, die ihrem Rassismus ablehnend gegenüberstehen. Der Aufruf jedenfalls geht ganz in diese Richtung, u.a. heißt es: »Politische Schlagworte wie links und rechts haben an Schärfe verloren im kapitalistischen Alltag.« Viel ist von »sozialer Gerechtigkeit« die Rede, und es wird beklagt: »Das Kapital kassiert, das Volk blutet!«

Gleichzeitig vermeidet es der Aufruf, anders als ähnliche Texte von Neonazis, den Antikapitalismus antisemitisch oder anti­amerikanisch zu begründen. Zwar fungieren Parteien und Gewerkschaften als »Knechte des Kapitals«, die üblicherweise als Verantwortliche benannten »Zionisten«, »die Wall Street« oder »die Ostküste«, Chiffren für die vermeintliche jüdische Weltverschwörung, fehlen aber ganz.

Das hat keine inhaltlichen Gründe, sondern praktische: Die Verfasser wollen offenbar niemanden verschrecken. Vielleicht wollen sie auch möglichen Versuchen, die Aufmärsche zu verbieten, vorbeugen. Und dennoch muss man nicht einmal zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, worum es geht: »Der nationale und sozialistische Widerstand muss überall dort angreifen, wo falsche Propheten mit Lügen dafür sorgen, dass die Maschinerie der Ausbeutung weiter unbeschadet läuft.« Zu diesem Zwecke sind die Teilnehmer aufgerufen, die schwarze Fahne mitzubringen – das von den Kameradschaften kreierte Symbol für die verbotene NS-Flagge; unter der schwarzen Fläche sollen sich die Kameraden einfach das Hakenkreuz vorstellen.

»Völkisch-antikapitalistisch« konnotiert ist auch die Demonstration in Erfurt, für die Beobachter mit etwa 500 Teilnehmern rechnen. Organisiert wird sie von »mitteldeutschen« Landesverbänden der NPD und wiederum von Freien Kameradschaften. Dieser Aufmarsch steht unter dem Motto: »Arbeit für Millionen statt Profite für Millionäre«. Er ist Teil der rechtsextremen Kampagne gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, sowohl der Marsch als auch die Kampagne werden auf der Homepage antikap.de beworben.

Anders als die Dortmunder agitieren die Erfurter Veranstalter eher völkisch: Der Geburtenrück­gang, die Arbeitslosigkeit, die Zinslasten und der Zuzug »raumfremder Personen« werden beklagt, der Materialismus wird als »Sendbote des völkischen Freitods« bezeichnet, womit wohl der Freitod der »Völker« gemeint sein soll, nicht der der völkischen Ideologen. Mit ausuferndem Pathos bieten sich die Veranstalter als Retter an: »Bevor die Herrschaft des Geldes und damit die Tyrannei einer Minderheit gebrochen werden können, muss der nationale und soziale Befreiungskampf den Funken schüren, der die Flamme der Freiheit in den Herzen der Volksgenossen entzünden wird.«

Auch im Erfurter Aufruf wird nicht offen antisemitisch agitiert. Mit dem Lamento über Liberalismus und Kommunismus, Zinsen und »niederen Händlergeist« bleiben die Organisatoren des Aufmarschs aber so dicht dran am Kern des nazistischen Antisemitismus, dass keiner ihrer Anhänger mehr überlegen muss, welche »Minderheit« denn da eine »Tyrannei« ausübe; das Wort »Jude« brauchen sie gar nicht mehr aufzuschreiben.

Neben Erfurt und Dortmund wird wohl noch der Aufmarsch in Neubrandenburg für Aufmerksamkeit sorgen. Zum einen weil hier Udo Pastörs, der Fraktionsvorsitzende der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, als Hauptredner auftritt, der nach dem Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern als eine der Führungsfiguren seiner Partei gilt. Zum anderen ist dieser Aufmarsch wohl stärker noch als der in Erfurt eine Art Generalprobe für die geplanten rechtsextremen Aktionen gegen den Gipfel in Heiligendamm. Das G8-Treffen ist in diesem Jahr der Hauptangriffspunkt für den »völkischen Antikapitalismus« deutscher Neonazis.