Töten für Glauben und Vaterland

Nationalistische und islamistische Motive sind für den Mord an drei Christen in der Türkei ausschlaggebend gewesen. Die Tatverdächtigen sollen die Morde seit zwei Monaten geplant haben. von sabine küper-büsch, istanbul

Die grausamen Morde an drei protestantischen Christen der »Freiheitskirche« am Mittwoch der vergangenen Woche im ost­anatolischen Malatya haben in der Türkei eine Kontroverse über die Gewalt gegen Christen und Minderheiten ausgelöst. In den Medien wird über die Ursachen für die fremdenfeindliche und nationalistische Stimmung in der Gesellschaft spekuliert, erst Mitte Januar war der armenisch-türkische Journalist Hrant Dink brutal ermordet worden.

Eine eklatant wichtige Rolle spielen dabei die Vertreter der Staatsbürokratie, die zwar immer den Laizismus hochhalten, gleichzeitig jedoch durch irrationale Kritik an angeblich »imperialistischer« Missionstätigkeit die Feindseligkeit und Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten anheizen.

Bereits einen Tag nach dem Mord an den Christen wurden in den seriösen Nachrichtensendern n-tv und CNN-Türk Äußerungen prominenter Politiker ausgestrahlt, die in der Vergangenheit die christliche Mission als »Bedrohung der nationalen Sicherheit« und der »kulturellen Integrität« der Türkei verunglimpft hatten. Prominente Politiker und Institutionen müssen sich nun der Frage stellen, inwieweit sie mitverantwortlich an der Feindseligkeit sind, die gegenüber religiösen Minderheiten herrscht. So äußerte sich etwa die Witwe des Politikers Bülent Ecevit, Ra­hsan Ecevit, die sonst stets den laizistischen Staat verteidigt, im Jahr 2005: »Die Scharen von Missionaren in der Türkei versuchen, die Leute aus imperialistischen Interessen dazu zu bewegen, ihre Religion zu wechseln. Das dürfen wir nicht dulden.« Die Tageszeitung Radikal berichtet in ihrer Ausgabe vom Freitag, dass selbst im Nationalen Sicherheitsrat die Gefahr der Missionarstätigkeit beschworen worden sei. Diese »Gefahr« hat nichts mit der Realität zu tun. Dem Innenministerium zufolge konvertierten zwischen 1999 und 2006 nur 344 Personen zum Christentum.

Vergleichsweise gut steht dagegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan da. Als islamisch-konservativer Politiker hatte er damals Rahsan Ecevits Kritik an der angeblich gefährlichen Missionstätigkeit von Ausländern in der Türkei mit den Worten zurückgewiesen: »Wenn wir in Deutschland Tausende von Gemeinden und Moscheen einrichten, ist es unzulässig, gleiches bei uns nicht zu erlauben; niemand sollte sich vor Religionsfreiheit fürchten.« Die Regierungspartei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) bekräftigte nach den Morden mehrfach, dass sie nicht ruhen werde, bevor die Hintergründe nicht aufgeklärt seien. Sie vermeidet deutlich die sonst üblichen Verschwörungstheorien, derer sich auch im gegenwärtigen Fall die Ultrakemalisten, Ultranationalisten und Islamisten bedienen.

Der inzwischen 80jährige Leitartikler der kemalistischen Tageszeitung Cumhuriyet, Hikmet Cetinkaya, sieht eine direkte Verbindung zwischen dem Mord an dem Priester Andrea Santoro vor einem Jahr in Trabzon, dem Mord an Dink und den Morden in Malatya. Alle drei Taten sollen von vom Ausland geschulten und gesteuerten islamistischen Kräften begangen worden sein. Als Verschwörer par excellence dient der seit den neunziger Jahren in Amerika lebende, krebskranke Islamistenführer Fethullah Gülen. Aber der 16jährige Mörder Santoros ist ebenso wenig ein Kaderschüler der Islamisten wie die Mörder von Hrant Dink. Erstgenannter ist ein verwirrter Jugendlicher, die zweiten sind zum großen Teil arbeitslose oder proletarische Jugendliche mit nationalistischem Hintergrund und guten Beziehungen zu den von ultrarechten Kreisen unterwanderten Teilen der Polizei.

Das islamistische Kampfblatt Akit meint hingegen, dass vor allem ausländische Mächte von einem zu befürchtenden Chaos in der Türkei profitieren würden. Damit unterscheiden sich die ultrakemalistischen, islamistischen und ultranationalistischen Positionen in der Türkei kaum voneinander. Das ist eine Entwicklung, die auch in anderen Themenbereichen zu beobachten ist.

Die Regierungspartei bezog vergangene Woche Stellung gegen die Polizei von Malatya, die bereits am Donnerstag hatte durchblicken lassen, es handle sich um psychopathische Täter ohne einen ideologischen Hintergrund. Mittlerweile sind neben den fünf dringend Tatverdächtigen fünf weitere Personen festgenommen worden. Die Tatverdächtigen wohnten im Wohnheim der islamisch-konservativen Unternehmensgruppe Ihlas. Offensichtlich ist, dass die Polizei von Malatya die allgemeine Verordnung des Innenministeriums nach dem Mord an Dink, für die Sicherheit der religiösen Minderheiten besonders zu sorgen, nicht befolgt hat. Der christliche Bücherverlag Zirve (Gipfel), in dem die Ermordeten gearbeitet haben, wurde seit Jahren bedroht.

Einige Tage vor dem Mord ist der 19jährige Günaydin, der als mutmaßlicher Anführer gilt, von besorgten Passanten angezeigt worden, weil er mit einer Gruppe junger Männer Schießübungen auf einem freien Gelände in der Nähe des Fußballclubs Malatyaspor veranstaltete. Sie wurden jedoch nach kurzer Befragung wieder auf freien Fuß gesetzt und nicht weiter beobachtet. Auf der Webseite von Malatyaspor wurden die Mörder am Donnerstag von Fans im Chat­room als »Ritter von Malatya« gefeiert.

Nach den ersten Vernehmungen wurde bekannt, dass die Tatverdächtigen die Morde seit zwei Monaten planten und sich in die protestantische Gemeinde eingeschlichen hatten, indem sie Interesse am Christentum heuchelten. Sie nahmen auch an einer Osterfeier der Gemeinde teil. Dementsprechend waren der Pastor Necati Aydin, der deutsche Bibelforscher Tilman Geske und der erst vor zwei Jahren konvertierte Ugur Yüksel völlig arglos, als die Mörder im Verlagsbüro erschienen.

Die fünf Tatverdächtigen sollen sie an Stühle gefesselt und stundenlang mit Messerstichen gequält und »verhört« haben. Das Gemeindemitglied Gökhan Talas schöpfte gegen 13 Uhr Verdacht, da die Tür des Büros verschlossen war, und alarmierte die Polizei. Die Täter töteten ihre Opfer erst, als sie die Polizei hörten. Der mutmaßliche Anführer sprang aus dem Fenster, als die Beamten in das Büro stürmten. Da alle Tatverdächtigen Abschiedsbriefe bei sich trugen, liegt nahe, dass es sich um eine Selbstmordaktion nach Art von al-Qaida handeln könnte.

Ein ultranationalistischer Hintergrund der Tat, vermischt mit islamistischen Motiven, ist relativ sicher. Folter und Hinrichtungsart erinnern nicht nur an al-Qaida-Methoden, sondern auch an Aktionen im Umfeld der türkischen Hizbollah in den neunziger Jahren.

Vertreter christlicher Minderheiten verurteilten die Tat unter dem Postulat, nicht den Islam oder die gesamte Türkei dafür verantwortlich zu machen. Allerdings mehren sich auch die Stimmen, die eine öffentliche Kritik an den autoritären Ideologien Ultranationalismus, Islamismus und Ultrakemalismus äußern, vor allem auch vor den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen.