Schockschwerenot

Auf seiner neuen Platte »Shock Value« macht der Star-Produzent Timbaland Popmusik zum Abgewöhnen. von markus ströhlein

Eigentlich bevorzugt James Cameron eher das Bombastische. Der Regisseur hat Arnold Schwarzenegger einmal als marodierenden Killerroboter, ein anderes Mal als Cyborg-Babysitter um die Zukunft der Menschheit kämpfen lassen. Sigourney Weaver hat er auf den Planeten der Aliens geschickt, von dem am Ende des Films freilich nur Sternenstaub übrig bleibt. Cameron hat auf der Leinwand die Titanic versenkt und Leonardo Di Caprio noch dazu. Wenn sich der Regisseur ans Werk macht, kracht, knallt und rummst es. Und zwar ordentlich.

Deshalb fragt man sich, ob wirklich James Cameron oder nicht nur ein Mann mit dem gleichen Namen die Regie des Videos von »Give it to me« zu verantworten hat. Denn was die Kamera zeigt, kann man getrost als öde bezeichnen. Timbaland, von dem der Song stammt, und seine Protegés Justin Timberlake und Nelly Furtado, die für jeweils eine Strophe ihren Einsatz haben, glotzen ins Objektiv und geben ihre Textzeilen zum Besten. Mal stehen sie auf dem Dach eines Hochhauses, mal auf der Bühne, mal nach Feierabend im Tourbus. Irgendwie wirkt es, als hätte der Regisseur auch vorzeitig Feierabend gemacht und die Kamera einfach in seiner Abwesenheit weiter laufen lassen.

Vielleicht war sich Cameron ja darüber im Klaren, dass Musikvideos mittlerweile bedeutungslos sind. Warum also einen großen Aufwand betreiben? Oder er hat sich Timbalands neues Album »Shock Value« angehört und dessen Qualität als Maßstab herangezogen.

»Give it to me« führt den Hörer zunächst in die Irre. Denn der Song besticht mit allem, was den Produzenten Timbaland auszeichnet: Man weiß nicht, ob die Perkussion nun aus dem lateinamerikanischen oder dem orientalischen Bereich entlehnt ist, spürt aber ihre Wirkung. Die Bass­drum und die Basslinie verteilen akzentuierte Schläge und fordern auf: Tanz jetzt, tanz! Und schließlich wird man von der Melodie im Refrain eingeölt von oben bis unten, was sich überaus gut anfühlt. Deshalb hat »Shock Value« zumindest den Namen verdient. Denn wer hätte angesichts der Single mit einem solchen Album gerechnet? Wer hätte erwartet, dass ausgerechnet Timbaland einem die Popmusik derart madig machen kann, dass man in der nächsten Zeit lieber elektroakustische Experimentalmusik, Digi-Grindcore oder gar nichts hören möchte?

Timbaland ist schließlich kein beliebiger Homerecording-Anfänger. Wer Missy Elliott, Snoop Doggy Dogg, Nas oder Ludacris kennt, hat höchstwahrscheinlich zu einem Beat von Timbaland mit dem Kopf gewackelt. 1996 hat er »The Bachelor« produziert, das erste Album von Ginuwine. Und selbst wenn man diese überaus erfolgreiche Platte und die zugehörige Single »Pony« nie gehört hat, dürfte der Einfluss Timbalands auf andere Produktionen nicht verborgen geblieben sein. Der Mann aus Virginia hat den Klang von HipHop und R’n’B zweifellos verändert. Als einer der ersten hat er seine Beats synkopiert, er hat dort Bassdrum- und Snareschläge eingefügt, wo für gewöhnlich keine rhythmischen Betonungen zu finden gewesen wären.

Und er hat dem Sound der Achtziger, der sich ja durchaus in die Neunziger hinübergerettet hatte, ein Ende bereitet. Schluss war mit den mit Hall überladenen Snare­drums und den aufgeblasenen Popsounds, die wirkten, als hätte der Produzent auf einem Pappkarton getrommelt und dieses kümmerliche Signal durch unglaublich viele Vorverstärker und Effektgeräte gejagt. Bei Timbaland klang alles kurz, knackig, prägnant und akzentuiert. Bei ihm besaß die Musik mehr Rhythmus als vorher. Und gegen mehr Rhythmus hat ja wohl niemand etwas einzuwenden.

»Ich habe den Double-Time-Beat erfunden, ich habe arabische und indische Elemente eingebaut. Ich habe den Sound im Radio mindestens drei Mal verändert«, sagt der 35jährige von sich. Das mag ein wenig überheblich klingen. Recht hat er dennoch. Er ist der erfolgreichste Produzent im HipHop und R’n’B der vergangenen zehn Jahre. Noch dazu hat sich Timbaland einiges vorgenommen, wie er ebenfalls in der Presse verlauten ließ: »Mit ›Shock Value‹ mache ich nicht einfach weiterhin das, wofür man mich kennt, sondern bewege mich an einen Ort, an dem es nur um die Musik geht, einen Ort, an dem Genrekategorien hinfällig sind. Darum habe ich das Album auch ›Shock Value‹ genannt, weil es mit dieser Kombination aus Künstlern und Produktionen das bestehende System erschüttern wird.«

Diese Aussage besteht natürlich nur aus den markigen Sätzen eines Musikers, der Werbung für sein neues Album machen wollte. Niemand hat wegen ihnen erwartet, Timbaland werde einen Ausflug in die atonale Musik unternehmen oder den Free Jazz wieder beleben. Aber man war gespannt, was »Shock Value« zu bieten haben würde. Nachdem man das Album gehört hat, möchte man es kaum als solches bezeichnen. Es ist eher eine vertonte Geschäftsidee.

Justin Timber­lake und Nelly Furtado dürfen auf mehreren Songs mitsingen. Das ist schlau, denn die Platten der beiden Musiker stehen zurzeit in Deutschland, in den USA und in Großbritannien recht hoch in den Charts. Für die HipHop-Anhänger wirken 50 Cent, Dr. Dre und Missy Elliott mit. Das beweist: Timbaland ist authentisch geblieben und immer noch vollkommen »real«.

Außerdem rappt er auf der Platte auch selbst und gibt den ganz bösen Buben, was für einen 35jährigen Multimillionär doch eher albern wirkt. An den modischen Gitarrenfreund wurde auf »Shock Value« ebenfalls gedacht: Der Trendpunker darf sich freuen, dass die schwedische Band The Hives auf einem Song zu hören ist. Und für Rockfreunde, die in der Musikpresse bisweilen als »Emo-Kids« bezeichnet werden, jammert sich die US-Band Fall Out Boy durch ein Stück. Zwischendurch hat Timbaland mehrere von unerträglichen Synthesizerfrequenzen verkleisterte Popballaden eingefügt. Und am Ende klimpert Elton John auf dem Klavier. Da ist für jeden etwas dabei.

Die Platte ist vom Anfang bis zum Ende kalkuliert. Im Pop geht es eben ums Geschäft. Jeder weiß es, und richtig aufregen muss man sich darüber nicht. Zu jeder Platte gibt es eben einen Marketingplan. Doch »Shock Value« klingt wie das Album zur Marketingstrategie. Bei all den schlauen Winkelzügen der Promotion hat Timbaland leider die Musik vernachlässigt. Die Platte liefert abgesehen von der Single »Give it to me« oder dem Song »Bounce« mit Dr. Dre und Missy Elliott eine grässliche Form von Muzak, von Funktionsmusik. Jedem Song merkt man an, für welche Verwertung er vorgesehen ist: Zwei oder drei werden Hits, andere kann man zu Klingeltönen machen. Der Rest ist für den Müll.

Timbaland: Shock Value (Mosley Music Group / Universal)