Wein doch nicht

Mit einer neuen Repressionswelle versucht das Regime im Iran, die strengen Kleidungsvorschriften für Frauen durchzusetzen, doch auch die sozialen Probleme des Landes sorgen zunehmend für Unruhe. von thomas schmidinger (text und fotos)

Heute müssen wir Picknick machen. Auch wenn es regnet oder schneit«, meint Ali mit einem Lächeln auf den Lippen. Am Ende der Ferien zum persischen Neujahrsfest Noruz sind zahlreiche Iraner auf den Beinen, um im Wald, auf begrünten Streifen zwischen Autobahnen oder in Parkanlagen ein Picknick zu veranstalten. Dabei treffen sich Großfamilien, Freund­innen und Kollegen zum Essen, Plaudern, Fußballspielen oder auch Trinken. Das ist zwar für Muslime verboten, erhältlich sind Alkoholika aller Art trotzdem im ganzen Land.

Bereits der portugiesische Reisende António Teneiro, der von 1523 bis 1529 in den ersten Jahren der Herrschaft der Safawiden den Iran bereist hatte, berichtete, dass die Armenier »den Wein unter der Hand an die Mauren verkaufen«. Auch heute noch spielt die größte christliche Minderheit des Landes in diesem Gewerbe eine wichtige Rolle. Da sie als Christen legal zum Eigenverbrauch Wein erzeugen und mit ihm handeln dürfen, fällt es weniger auf, wenn auch einmal an Muslime verkauft wird. Andere Alkoholika kommen mit kurdischen Schmugglern aus dem Nordirak und der Türkei ins Land. Werden die Pasdaran, die Revolutionswächter, ausreichend bestochen, können so dann und wann im privaten Rahmen auch schon mal berauschende Feste gefeiert werden. 28 Jahre nach der so genannten islamischen Revolution haben viele Iraner einen Modus vivendi mit den Moralvorstellungen des Regimes gefunden, der allerdings immer neu ausgelotet werden muss.

Shirin, Leila und Ashti sind diese Versteckspiele trotzdem langsam leid: »Klar feiern wir Partys und haben auch unsere boyfriends, aber das ist mit ständigem Stress verbunden«, beklagen sich die drei Studentinnen, die an der Universität in Isfahan studieren. Ihr Traum wäre es, nach Europa oder in die USA zu reisen. »Dort gibt es Freiheit«, sagen sie. Aus unterschiedlichen Teilen des Landes kommend, wohnen sie zu dritt in einer WG. Nur in den Ferien fährt Leila zu ihrer Familie nach Ahvaz, Ashti in die kurdischen Gebiete des Iran und Shirin nach Shiraz. Während Leila mit ihrer Familie zu Hause Arabisch redet und Ashtis Muttersprache Kurdisch ist, spricht Shirin mit ihrer Familie, die den Qasqai-Nomaden angehört, einen türkischen Dialekt. In der WG ist jedoch Persisch die gemeinsame Sprache.

Die persische Sprache und Kultur wird im Iran ganz selbstverständlich auch von den Minderheiten benutzt und geachtet, ohne dies als Widerspruch zur eigenen Regionalsprache und Kultur zu verstehen. Während nur etwa die Hälfte der Iraner Persisch als Erstsprache sprechen, wird sie als Amts- und Kultursprache auch von Aseris, Kurden, Balutschen, Lori, Qashqai, Talysh, Gilani und Mazandarani-sprachigen Iranern benutzt. Regionalistisch und ethnisch definierte Oppositionsgruppen forderten deshalb auch bislang nie die Sezession, sondern konzentrieren sich auf Forderungen nach demokratischen Rechten und einer gewissen Autonomie. Zu den Gräbern der klassischen persischen Dichter Hafes und Saadi in Shiraz pilgern auch jene, die eine andere Muttersprache sprechen, sich aber als der iranischen Kultur zugehörig verstehen. Auf dem viel besuchten Sarkophag von Hafes ist eines seiner schönsten Gedichte zu lesen:

Wenn du zu meinem Grabe

Deine Schritte lenkst

Bring Wein und Laute mit

Damit ich zu deiner Spielmannsweise

Tanzend mich erhebe

Dieser Wunsch des Dichters kann heute nicht mehr so leicht erfüllt werden. In der Öffentlichkeit würde es hier niemand wagen, Wein zu trinken. Und öffentliches Musizieren ist nur Männern gestattet. Weibliche Sängerinnen dürfen, seit die Mullahs die Macht ergriffen haben, nur noch vor Frauen auftreten. So stammt denn auch ein großer Teil der Musik, die im Iran gehört wird, aus dem Exil. Los Angeles mit seinen exiliranischen Fernsehkanälen ist der Ort, wo heute weltweit die meiste iranische Musik produziert wird. Die Lieder aus dem Exil kommen nicht nur über die Satellitenprogramme, sondern auch als Cassetten und CDs sowie über das Internet ins Land.

Hussein, ein junger Techniker aus Shiraz, zählt zu den regelmäßigen Konsumenten der iranischen L.A.-Kulturindustrie: »Die Musik von dort ist einfach besser. Wir alle hier hören sie.« Werden die Satellitenanlagen, mit denen die Exilsender empfangen werden können, beschlagnahmt, sind sie schnell durch neue ersetzt: »So schnell kommt die Regierung gar nicht nach.« Auch Hussein träumt vom Westen: »Ich würde schon lieber in den USA oder in Europa leben. Hier ist es schwierig, einen Arbeitsplatz zu bekommen.« Für viele junge Iraner sind die ökonomischen Probleme des Landes und die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Jobsuche das größere Problem als die immer strenger überwachten Kleidungsvorschriften oder das Alkoholverbot des Regimes. Das rapide Bevölkerungswachstum zehrt das ökonomische Wachstum regelmäßig auf. Dagegen hilft auch nicht das relativ hohe Bildungsniveau. Die gut ausgebildeten Akademikerinnen und Akademiker finden oft nur als Taxifahrer oder Hotelbedienstete eine Anstellung.

So etwa auch Fatime und Mahube, die an der Rezeption eines Hotels in Khoramabad, der Hauptstadt der Provinz Luristan, arbeiten. Fatime hat ein Studium der Agrarwissenschaften abgeschlossen und auch Mahube ist eine überdurchschnittlich gebildete Frau mit Fremdsprachenkenntnissen. Die Versuche der beiden, mir einige Wörter Lori oder Laki, der beiden Regionalsprachen der Gegend, beizubringen, scheitern kläglich. Fatime kann jedoch genau über lokale Pflanzen und Anbaumethoden Auskunft geben. Statt als Agrarwissenschaftlerin zu arbeiten, nimmt sie jedoch nun die Zahlungen der Hotelgäste entgegen. Dass die beiden überhaupt eine feste Anstellung haben, ist fast schon ein Privileg.

Auch Dariush kann von Glück reden, dass er noch arbeiten kann. Der ehemalige Offizier der iranischen Armee, der bereits unter dem Schah gedient hat und bis heute ein eingefleischter Monarchist geblieben ist, muss zur Aufbesserung seiner Pension Taxi fahren. Seine Rente von umgerechnet 250 Euro überweist er direkt an seine Tochter, die an der Universität studiert. Die Regierung hasst er: »Die Mullahs haben uns nur terrorisiert!« Mit dem Verweis auf die angeblich »arabische Abstammung« der Mullahs mit dem schwarzen Turban will er erklären, dass die »echten Perser« ganz anders seien. Die Perser, sagt er, seien wie die Deutschen »Arier« und keine »Semiten« wie »diese Araber«. Sollten die USA jedoch den Iran angreifen, würde er trotzdem erneut sein Land verteidigen: »Dann stehen wir alle zusammen, auch wenn wir die Regierung hassen.«

Im Gegensatz zum Westen spielt das iranische Atomprogramm hier kaum eine Rolle in den Gesprächen der Iraner. Zwar wird weit offener über Politik diskutiert als etwa in ­Syrien oder Ägypten, doch dass die USA die »friedliche Nutzung der Kern­energie« verhindern wollen, kritisieren selbst die Oppositionellen der kommunistischen Tudeh-Partei. Auch die Tudeh spricht vom »Recht auf die friedliche Nutzung der Kernenergie« und wendet sich gegen Sanktionen gegen den Iran. In den politischen Gesprächen auf der Straße oder in den Teehäusern klingt zwar manchmal die angstvolle Frage nach einem Krieg an, das Hauptthema stellen jedoch eher die sozialen und ökonomischen Probleme des Landes dar.

In der kurdisch geprägten Stadt Mahabad warten die Tagelöhner direkt im Stadtzentrum auf Arbeit. In vielen Städten müssen alleinstehende Frauen, die über keine familiäre Unterstützung verfügen, betteln gehen. Im Südosten des Landes leben ganze Clans vom Schmuggel, nicht zuletzt von Heroin aus Afghanistan. Das meiste davon landet irgendwann auf dem europäischen Markt. Immer mehr wird jedoch auch von iranischen Jugendlichen konsumiert. Öffentlich als Problem geleugnet, wurde der Konsum lange polizeilich bekämpft; Anfang April wurde erstmals ein großes Rehabilitationsprogramm für Süchtige angekündigt.

So sind es angesichts der sozialen Probleme des Landes denn auch die sozialen Unruhen, die zum größten Problem für die iranische Regierung werden könnten. Dieselben Bevölkerungsschichten aus den Arbeiterbezirken Süd­teherans, die 1979 die Träger der islamischen Revolution waren und die die Wahl Mahmoud Ahmadinejads 2005 zum Präsidenten ermöglichten, sind heute sehr unzufrieden mit der Regierung. In einem Cayhane, einem Teehaus in Rey, einem Stadtteil, der als einer der konservativsten Teherans bekannt ist, treffe ich einen ehemaligen Wähler Ahmadinejads. »Ja, ich habe ihn gewählt«, erklärt mir der junge Mann, »aber er hat meine Erwartungen überhaupt nicht erfüllt. Er ist wie alle und braucht uns Arme nur, bis er gewählt ist.«

Tatsächlich hatten die Anhänger Ahmadinejads bei den letzten Kommunalwahlen im Dezember 2006 eine deutliche Abfuhr erhalten. Umso nervöser reagiert die Regierung auf soziale Proteste und gewerkschaftliche Organisierung. Als nach der Verhaftung des Gewerkschaftsführers Mansour ­Ossanlu die Busfahrer von Teheran in den Streik traten, wurden Ende Januar über 500 Arbeitnehmer festgenommen. Am 14. März inhaftierte die Polizei bei Protesten für Lohnerhöhungen über 1 000 Lehrerinnen und Lehrer. Am 12. April wurde ein Arbeiter beim Autohersteller »Iran Khodro« verhaftet, weil er öffentlich die Forderungen der Zeitarbeiter im Werk unterstützte.

Die islamischen Kleidungsvorschriften, die derzeit mit einer scharfen Repressionswelle durchgesetzt werden sollen, bei der in der vorigen Woche tausende Frauen von Sittenwächterinnen vorübergehend festgenommen und verwarnt wurden, führen im Iran zunehmend zu Protesten. Dennoch sind sie nur eines von vielen Feldern der politischen Auseinandersetzung. Die auf den ersten Blick weniger sichtbaren sozialen Probleme könnten dem Regime langfristig gefährlicher werden.

»Die Revolution ist 1979 von den Armen getragen worden«, erklärt Ali, während er mir etwas vom frisch gegrillten Kebab anbietet. »Auch jetzt wird eine wirkliche politische Veränderung nicht von den Oberschichten kommen, sondern von jenen, denen es immer noch schlecht geht.« Lediglich beim Picknicken sind sich Arme und Reiche einig.