Zauberbilder

Wiederaufnahme: »Der Himmel über Berlin«

Am eiligsten hat es der Gitarrist der Band ­Crime and the City Solution: Der läuft im Kreis, als wären die vier Akkorde, die er spielt, gleich die letzten. Es ist 1987, der Film, in dem der Mann rennt, heißt »Der Himmel über Berlin«.

Die Band fixt mich an – dass Rockmusik im Spielfilm vorkommt, ist selten. Der andere Live-Act ist Nick Cave. Von Crime and the City Solution weiß leider keiner was, aber Nick Cave kommt kurz darauf in unsere Stadt. Seinem Gitarristen Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten kann ich nichts abgewinnen – bei Cave spielt er so einfallsreich und diszipliniert, man mag es kaum glauben. Cave kommt auf die Bühne, schnippt die Kippe ins Publikum und pustet Rotze in die erste Reihe – zwei Blondinen brechen einfach zusammen, Wahnsinn. So muss man es machen, wie Cave und die Blondinen. So wie Bargeld und Crime and the City Solution will ich auch spielen, im Publikum schießen sie mit Tränengas – schon wieder!

Aber zurück zu Wenders – er hat die lange schöne Einstellung ins deutsche Kino gebracht. Der ist Romantiker. Und hängt sich rein: Die Szene mit Crime and the City Solution zeigt alles, was den deutschen Underground der achtziger Jahre ausmacht. Nervöse Leute stehen auf der Bühne und spielen nervöse Musik. Sie sind ultradünn und tragen dabei äußerst schwarze Klamotten.

Warum auch immer, die achtziger Jahre waren ein düsteres Zeitalter. Atomtod, Herrschaft und Knechtschaft, unglaublich mies gelaunte Lehrer in Birkenstockschuhen und ihre unglaublich mies gelaunten fusselbärtigen Schriftsteller.

Wenders setzt auf Engel, Trapezkünstlerinnen und Musik im Dunkeln. Sein Drehbuchautor Peter Handke setzt auf den Ur-Topos Engel (Bruno Ganz/Otto Sander): Die Unsterblichkeit wird aufgegeben, um die Trapezkünstlerin (Solveig Dommartin, kürzlich gestorben) zu heiraten. Dazwischen legen die Engel den Insassen der Staatsbibliothek die Hand auf – wie soll der schwere Stoff nur in den Kopf hinein. Woher Erkenntnis nehmen. Das menschliche Wissen ist verliehen – kommt es von oben an Pfingsten? Nee, von den Weltgeistern Ganz und Sander. Das erschlägt. Sonst kriegen die Studenten nur leuchtende Augen von Hölderlin und Kafka. Irre Mischung, was?

»Der Himmel über Berlin« erstaunt nicht nur die Kritik, er ist auch ein Erfolg bei den Kino­gängern. Goldene Palme in Cannes, Publikumspreis São Paulo, Deutscher Filmpreis in Gold usw.

Lag’s dran, dass Wenders und Handke die Engel bemühten? »Als das Kind Kind war, wusste es nicht, dass es Kind war«, wird uns eingesprochen. Diesen Satz notiert zu Beginn des Films der Engel Damiel (Ganz). Am Ende wird er schreiben: »Ich weiß jetzt, was kein Engel weiß.« Denn der Engel kennt nur das Bedienen und Gutes tun, aber keine gegenseitige Liebe. Wer will so was ein Leben lang machen, zumal, wenn man unsterblich ist. Wim Wenders ist so ein Film nie wieder gelungen.

Glückliches Publikum, das nun den »Himmel über Berlin« wieder im Kino sehen kann, 20 Jahre nach seiner Premiere in Cannes. Dieser Film braucht Cinemascope und Platz für Budenzauber. Dem Filmverleih Neue Visionen sei Dank. »Der Himmel über Berlin« ist ein Dokument, das zeigt, dass das deutsche Kino und seine Schauspieler, insbesondere Bruno Ganz, noch was anderes können als Hitler, Hitler und noch mal Hitler.

jürgen kiontke

»Der Himmel über Berlin« (D/F 1987). R: Wim ­Wenders. Kinostart: 3. Mai