Französische Verschwörung

Der Giro d’Italia wird ohne den unter Dopingverdacht stehenden Vorjahressieger Ivan Basso stattfinden. Das italienische Anti-Dopinggesetz ist zwar wirkungsvoll, die Fans glauben aber lieber an finstere Machenschaften. von catrin dingler, rom

Die wuchtigen Reiterstanddenkmäler Giuseppe Garibaldis, die in jeder italienischen Stadt einen nach dem Helden benannten Platz dominieren, passen nicht recht zu den Rennradsportlern, die kommenden Samstag beim 90. Giro d’Italia am Start stehen. Doch anlässlich seines 200. Geburtstags soll Italiens legendäre Radrundfahrt in diesem Jahr eine Tour zu Ehren des berühmten Protagonisten der italienischen Einheitsbewegung werden. Die Patronage des Reiterhelden kann freilich nicht darüber hinwegtrösten, dass der Fahrer, der im vergangenen Jahr den Giro souverän gewann, seinen Titel nicht wird verteidigen können. Ivan Basso steht seit wenigen Tagen erneut unter Dopingverdacht und wird beim Giro nicht an den Start gehen.

Basso gehörte zusammen mit Jan Ullrich zu den beiden bekanntesten Radprofis, die im Frühjahr vorigen Jahres in Verdacht gerieten, mit dem spanischen Arzt Eufemiano Fuentes in Kontakt gestanden zu haben. Die Guardia Civil hatte während der so genannten Operation Puerto in seinen Madrider Praxisräumen Dopingmittel in großen Mengen beschlagnahmt. Neben den üblichen Präparaten (Epo, Anabolika und Wachstumshormone) konnten über 200 eingefrorene Blutkonserven sichergestellt werden, die zum Blutdoping verwendet wurden. Da die Blutbeutel mit ziemlich einfallslosen Decknamen versehen waren, zirkulierten rasch die Namen der verdächtigen Sportler.

Von Anfang an wurde vermutet, dass die Blutkonserven, die mit »Nummer 2« oder dem Pseudonym »Birillo« beschriftet waren, dem Girosieger gehören könnten. Das nationale italienische olympische Komitee, der CONI, leitete eine Untersuchung ein, doch aus Mangel an Beweisen musste das Verfahren eingestellt werden. Allerdings hatten die Verantwortlichen immer betont, dass es sich um eine »vorläufige Archivierung« der Akte handle und die Ermittlungen jederzeit wieder aufgenommen würden, sollte neues belastendes Material auftauchen. Genau dies scheint nun der Fall zu sein.

Der Sportkommission sollen inzwischen sieben Blutbeutel mit der Aufschrift »Birillo« (angeblich der Name von Bassos Hund) vorliegen. Ob diese tatsächlich dem italienischen Radprofi zugeordnet werden können, kann, wie im Falle Jan Ullrichs, zweifelsfrei nur ein DNA-Abgleich klären. Da der Weltverband der Radsportler, die UCI, in diesem Jahr alle ProTour-Mannschaften dazu verpflichtet hat, von ihren Fahrern eine Einverständniserklärung zum DNA-Test einzuholen, liegt auch Bassos Team dessen Einwilligung bereits vor. Unklar ist bisher nur, ob diese auch für ein nationales Kontrollverfahren verwandt werden darf.

Die italienischen Gesetze lassen jedoch kaum Spielraum. Basso wird vorgeworfen, gegen Artikel 2.2 des Codex der Welt-Antidoping-Agentur (WADA) verstoßen zu haben. Dieser Paragraph, der die Anwendung oder die versuchte Anwendung verbotener Substanzen oder verbotener Methoden unter Strafe stellt, wurde sowohl in die Anti-Doping-Regelung des CONI als auch als Gesetz 376/2000 ins italienische Zivilstrafrecht übernommen. Sollte Basso dem CONI seine Einwilligung zum DNA-Test verweigern, könnte ein zivilrechtliches Strafverfahren eingeleitet und der DNA-Test gerichtlich erzwungen werden.

Obwohl Basso zunächst seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem CONI zugesagt hatte, erbat er sich Mitte voriger Woche bei der Anhörung überraschend Bedenkzeit, um die neue Sachlage zu prüfen. Doch auch unabhängig von der Blutprobe scheinen die Beweise gegen Basso erdrückend. Nach Angaben des Chefermittlers Ettore Torri belegten abgehörte Telefonate und abgefangene SMS, dass Basso entgegen seiner Beteuerungen sehr wohl Kontakte zu Fuentes gehabt habe. Dem Rennfahrer droht deshalb nicht nur eine zweijährige Doping­sperre, sondern auch eine Strafanzeige wegen nachgewiesener Falschaussage.

Schon vor dem Bekanntwerden der neuen Ermittlungen hatte der Direktor der Tour de France, Christian Prudhomme, Ivan Basso zur persona non grata erklärt und die Rennställe aufgefordert, für die Tour de France keine mutmaßlichen Klienten Fuentes’ zu melden. Vor dem Radrennen Lüttich-Bas­togne-Lüttich stimmten vor allem die französischen und deutschen Mannschaftschefs dem Appell des Tour-Veranstalters zu. UCI-Präsident Pat McQuaid äußerte dagegen Skepsis. Um tatsächlich alle vermeint­lichen Kunden Fuentes’ zu identifizieren, müssten alle in Spanien gelagerten Blutkonserven freigegeben und per DNA-Test eindeutig zugeordnet werden. Da erst jetzt bekannt geworden sei, dass das Dossier zur spanischen »Operation Puerto« nicht nur 500 Seiten, sondern 6 000 Seiten umfasse und über 100 Namen von Radprofis enthalte, sei es unwahrscheinlich, dass die Vorfälle vor Beginn der nationalen Rundfahrten aufgeklärt werden könnten.

Angelo Zomegnan, der Manager der Giro-Veranstaltungsgruppe RCE, hatte sich bis zuletzt gegen einen Ausschluss seines wichtigsten Werbeträgers ausgesprochen. Allerdings war Basso, nachdem die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ihn bekannt geworden war, umgehend von seinem Team Discovery Channel suspendiert worden. Inzwischen wurde sein Vertrag, angeblich auf eigenen Wunsch, aufgelöst. Palmiro Masciarelli, Manager der italienischen Mannschaft ­Acqua & Sapone, erklärte unterdessen, er sehe keinen Grund, seinen ebenfalls vom CONI vorgeladenen Fahrer Michelle Scarponi vom Giro zu suspendieren, solange keine Anzeige vorläge. Scarponi habe sich zum DNA-Test bereit erklärt und damit bereits bewiesen, dass er ein »reines Gewissen« haben könne.

Zomegnans Bedenken, das Publikum könnte sich angesichts der neuen Dopingvorwürfe gegen den Vorjahressieger vom Giro abwenden, scheinen völlig unbegründet. Die Sportpresse reagiert zurückhaltend, und in den einschlägigen Blogs halten die Fans ungebrochen zu Basso. Nicht wenige vermuten sogar ein französisches Komplott: Mit den neuen Attacken wolle man den Favoriten der Tour de France ausschalten.

Häufig zu hören sind Vergleiche mit Marco Pantani. Dieser war 1999 nach einer positiven Blutprobe zwei Etappen vor Ende des Giro als Spitzenreiter vom Rennen ausgeschlossen worden und danach nie wieder in Tritt gekommen, 2004 starb er an einer Überdosis Kokain. In einem Fernsehfilm anlässlich seines Todestags wurde Pantani zu Beginn des Jahres zum »dramatischen Helden« des Radsports und zum »traurigen Opfer« der Sponsoren verklärt. Die Mailänder Sportzeitung Gazzetta dello Sport hat wie in jedem Jahr einen Anstieg des Giro zum Gedenken an den einstigen Helden als »Pantani-Berg« auserkoren. Diesmal ist es der Aufstieg zum Wallfahrtsort Oropa: Die einmal in den nationalen Götterhimmel aufgestiegenen Radprofis sind unsterblich.

Angst, dass sich die Fans nach dem Ausscheiden von Basso nur noch auf den alten, berittenen Natio­nalhelden berufen können, braucht nicht aufzukommen. Immer noch stehen diverse italienische Rennfahrer zur Heldenverehrung bereit: Davide Rebellin und Danilo De Luca zeigten sich in Bestform, Paolo Savoldelli konnte den Auftakt zur Tour de Romandi gewinnen, und Altmeister Gilberto Simoni hat angekündigt, sich in den Bergen mit seinem Erzrivalen Damiano Cunego noch einmal einen Zweikampf liefern zu wollen.