Lustig, lustig, trallerallera, heut’ war Nicolasabend da!

Viele Intellektuelle aus dem ehemals linken Spektrum haben den Konservativen Sarkozy unterstützt: die Feuilletondebatte über den Kurs der französischen Politik. von bernhard schmid

Es überrascht mich, wie viel Feuer er in sein Engagement legt«, sagt ein Philosoph über den anderen. »Ein Feuer, von dem wir seit 30 Jahren übereingekommen waren, dass wir es für die bosnischen Widerstandskämpfer, die tschetschenischen Märtyrer und die sowjetischen Dissidenten reservieren, die uns den Sinn und den Geschmack der Freiheit gelehrt haben.«

Mit diesen Worten kritisiert Bernard-Henri Lévy, kurz »BHL« genannt, seinen Philosophenkollegen André Glucksmann: Dieser habe sich schon erstaunlich früh, »noch vor Beginn der Wahlkampagne«, wie BHL konstatiert, auf eine Seite im diesjährigen französischen Präsidentschaftswahlkampf festgelegt. Das sozialliberale Wochenmagazin Le Nouvel Observateur eröffnete seine Ausgabe vom Donnerstag voriger Woche mit »dem Duell BHL-Glucksmann«. Drei Tage vor der Stichwahl zur französischen Präsidentschaft debattieren die beiden Männer, die beide in den siebziger Jahren mit dem Maoismus sympathisierten und nach ihrer Abkehr von marxistischen Ideen die Denkschule der »Neuen Philosophen« mitbegründeten. Sie stritten bis zuletzt über die Wahl und die mit ihr verbundenen Auswirkungen.

Glucksmann hatte am 30. Januar in einem längeren Artikel in der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde begründet, »warum ich Nicolas Sarkozy wähle«. Dagegen hatte BHL seine Entscheidung wesentlich länger hinausgezögert, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Noch im Februar erklärte er der Zeitung Libération, er wolle seine Wahlentscheidung so lange wie möglich offen halten, »um den politischen Preis steigen zu lassen«. Er deutete aber an, dass es ihm vor allem darum gehe, Entgegenkommen für seine Inhalte bei den Sozialdemokraten zu finden. BHL ist ein glühender Anhänger eines sozialliberalen Bündnisses mit dem christdemokratisch-­liberalen »Zentrum« um ­François Bayrou und kämpft für die Zurückdrängung der marxistischen Restbestände bei den Sozialisten.

Am 9. April erklärte er dann, er werde für Royal stimmen, da Nicolas Sarkozy »die rote Linie überschritten habe«, nachdem der Kandidat von einer »angeborenen, genetisch bedingten Neigung« zu Pädophilie, Suizid und Homosexualität gesprochen hatte. Diese Äußerungen waren in einem längeren Streitgespräch zwischen Sarkozy und dem linken, atheistischen Philosophen Michel Onfray – selbst ein Wähler Olivier Besancenots – gefallen. Auszüge des Streitgesprächs, die freilich nach Angaben Onfrays entschärft worden sind, wurden in der Aprilausgabe des Philosophie Magazine abgedruckt. Die Auslassungen zur angeblichen genetischen Programmierung von Homosexualität und Selbstmord riefen im Verlauf des Osterwochenendes eine kurze öffentliche Polemik hervor. Sage noch einer, Philosophen könnten in Wahlkämpfen überhaupt keine Rolle spielen!

Was nun BHL und Glucksmann betrifft, so sind sich die beiden über wesentliche programmatische Grundsätze doch einig. Beide begründen ihre Wahl­entscheidung vor allem mit dem »Antitotalitarismus«, also ihrem Wunsch noch Zurückdrängung sowohl des Marxismus als auch der post- oder neofaschistischen extremen Rechten, und insbesondere mit der Außenpolitik. Die beiden ehemaligen »Neuen Philosophen« sind Anhänger einer »aktiven Menschenrechtspolitik«: Die westlichen Staaten sollten durch eine offensive Außenpolitik, unter Umständen auch mit militärischen Mitteln, die Durchsetzung der Menschenrechte weltweit gewährleisten. Für BHL bedeutete dies in der Vergangenheit vor allem das Engagement für ein militärisches Eingreifen im Bosnien-Krieg »gegen den serbischen Faschismus«; für André Glucksmann steht in jüngerer Zeit vor allem der Wunsch im Vordergrund, Russland wegen des Tschetschenien-Feldzugs in die Schranken zu weisen.

Diesen Punkt zitiert Glucksmann auch als Begründung dafür, dass er Sarkozy unterstützt: Dieser werde energisch Druck auf Russland ausüben, und anders als sein Amtsvorgänger Jacques Chirac werde er Wladimir Putin »keine Ehrenmedaille verleihen«. Ferner wünsche er sich ein härteres Auftreten gegenüber Libyen, wegen der Todesurteile gegen die bulgarischen Krankenschwestern, und gegen den Sudan wegen der Massaker in Darfur. BHL glaubt hingegen, in Ségolène Royal eine bessere Kandidatin zu haben, da sie sich für einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking aussprach, falls China seine Unterstützung für das sudanesische Regime nicht aufgebe – eine Idee, die Sarkozy jüngst vor französischen Sportlern als albern bezeichnet hat.

Eine Reihe anderer französischer Intellektueller hat sich, wenngleich verhaltener, ebenfalls im Wahlkampf zu Wort gemeldet. Am lautesten waren dabei lange Zeit jene Stimmen ex-linker Intellektueller zu vernehmen, die sich für die Wahl Nicolas Sarkozys aussprachen. Dabei spielten zwei unterschiedliche Motive eine Rolle. Bei einem Teil der ex-linken Denker, die sich unter den Schirm des »republikanischen Nationalstaats« zurückziehen möchten, um Schutz vor dem »zunehmenden Chaos in der Welt« zu beanspruchen, spielte vor allem Nicolas Sarkozys Einsatz für den »Schutz der nationalen Identität« eine Rolle.

So für den Ex-Kommunisten und früheren Regierungssprecher von François Mitterrand, Max Gallo. Gallo war in den vergangenen 15 Jahren vor allem als Schriftsteller tätig, der seine Begeisterung für die republikanische Staats­idee in der französischen Geschichte mit einer ungezügelten Bewunderung für »große Männer« – etwa Charles de Gaulle und Napoléon Bonaparte – verknüpfte. Nunmehr findet er an Nicolas Sarkozy Gefallen, vor allem, weil dieser dem »ständigen Reueverlangen« hinsichtlich der negativen Züge der Nationalgeschichte – Kolonialeroberung, Sklaverei – eine Absage erteile.

Weniger national argumentieren andere ex-linke Intellektuelle, die sich dem konservativen Kandidaten angeschlossen haben. So bezeichnet Glucksmann Sarkozy, im Gegenteil, als den »Kandidaten der Öffnung der französischen Gesellschaft zur Welt«. Tatsächlich kombiniert Sarkozy selbst beide Diskurse, den neoliberalen und den nationalen, miteinander. Er verspricht den starken Nationalstaat und macht sich zugleich dafür stark, das »überkommene französische Sozialmodell« wirtschaftsliberal durchzureformieren und sich dabei von »besseren Modellen« – etwa dem britischen – inspirieren zu lassen.

Am wenigsten öffentliche Aufmerksamkeit hat ein Aufruf von rund 200 Intellektuellen gefunden, der genau drei Tage vor dem ersten Wahlgang veröffentlicht worden war und die sozialdemokratische Kandidatin Ségolène Royal unterstützte, »damit die Linksparteien nicht erneut (wie 2002) vom zweiten Wahlgang ausgeschlossen bleiben«.

Den Appell hatten aus der Linken kommende Prominente wie der Politikwissenschaftler Etienne Balibar, der radikale Arbeitssoziologe Stéphane Wacquant, der in der Tradition Pierre Bourdieus stehende Sozialwissenschaftler Loïc Wacquant, der Historiker Benjamin Stora und der Soziologe und Psychologe Robert Castel unterschrieben. Auch François Maspero, seit den sechziger Jahren »der« linke Verleger – er ist heute im Ruhestand –, hat den Aufruf unterzeichnet.

Die Unterzeichnenden sprechen sich allerdings nicht mit Emphase für Royal aus, sondern nehmen eher eine abwehrende Position gegenüber einem drohenden Wahlsieg der Konservativen ein. Vielleicht hat dieser Mangel an sichtbarem Enthusiasmus für eine Seite dafür gesorgt, dass das Medieninteresse an ihrem Aufruf gering blieb. Vielleicht ging es ihnen aber auch zu sehr um Inhalte, während die meisten Medien aus der Wahlentscheidung eine Personality Show machen wollten.