Dialektik der Drogen

Rauschmittel gehören zum hedonistischen Lifestyle. So lautet die etwas simple Botschaft des Almanachs »Breites Wissen«. von uli krug
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Das Drogenkompendium »Breites Wissen« gleicht einem verkoksten Toilettengespräch. Es ist ebenso unzusammenhängend wie allumfassend. Jedenfalls fehlt nahezu keine Geschichte und kein Mythos rund um Drogen, wie sie seit Jahrzehnten im Pop-Smalltalk an Kneipentischen oder auf Partys zur Sprache kommen. Akribisch und chaotisch zugleich werden da aufgelistet und katalogisiert: der Kokaingenuss von Sherlock Holmes anhand unzweideutiger Textstellen aus Arthur Conan Doyles Romanen, die Drogentode der Rockmusik von den Kampftrinkern und Drummern John Bonham (Led Zeppelin) und Keith Moon (The Who) bis zum Deadhead schlechthin, dem sowohl von Heroin als auch Kokain abhängigen Jerry Garcia (Gründer von Grateful Dead). Man erfährt die erstaunliche Tatsache, dass Brian Jones, Jimi Hendrix, Alan Wilson (die Stimme von Canned Heat), Janis Joplin und Jim Morrison allesamt mit 27 starben, und bekommt eine Liste der Jazz-Songs aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die unmissverständliche Drogenanspielungen enthalten.

Selbstverständlich wird auch an das Lebenswerk der Hohepriester des Psychedelischen erinnert: An das von Dr. Oscar Janninger beispielsweise, Cousin des Beat-Poeten Allen Ginsberg und in L.A. ansässiger Psychiater, der legendär gewordene LSD-Kuren unter anderem mit Cary Grant durchführte; Aldous Huxley, der literarisch die Droge »Soma« entwarf (»alle Vorteile von Christentum und Alkohol, keiner ihrer Mängel«) fehlt ebenso wenig wie der LSD-Papst Timothy Leary. 1970 wurde er verhaftet, aber von der Stadtguerilla-Organisation »Weathermen« postwendend befreit, um 1972 – von Präsident Nixon als »gefährlichster Mann Amerikas« bezeichnet – auf dem ehemaligen »Hippie Trail« in Afghanistan aufgespürt und wiederum verhaftet zu werden. Dass es in den USA eine Kirche namens Church Of The Toad Of Light geben soll, die zum Zwecke der Erleuchtung zum Drüsensekret der Kröte Bufo avarius greift, ist dabei ebenso ein Highlight in der Rubrik »nutzloses, aber gern gepflegtes Wissen« wie die Aussage, dass Bilsenkraut, Grundbestandteil halluzinogener »Hexensalben«, einst dem Bier beigegeben wurde und der Braustadt Pilsen in Tschechien den Namen gab.

Aber auch handfestes Praxiswissen bieten Ingo Niermann und Adriano Sack: eine Liste mit den absurdesten Drogen­legenden, von denen man selbst sicher auch schon welche vorgesetzt bekommen und hoffentlich nicht weitererzählt hat (wie die vom psychoaktiven Wirkstoff »Bananadin«, die Jahrzehnte lang Oberschüler getrocknete Bananenschalen rauchen ließ); extrem penible Anleitungen zum Herstellen von rauchbarem Opium ergänzen sich mit einer Beschreibung der bewährtesten Drogenschmuggelmethoden.

Augenzwinkernd wird dargelegt, welche Darreichungsform von Alkohol am dicksten macht, nämlich Beck’s Alkoholfrei. Das Getränk führt die Liste mit 60 Kilokalorien pro Gramm Alkohol an, während Whisky mit einem Zehntel dieser Menge fast schon als Diät­drink daherkommt. Falt-, Bau- und Wickelanleitungen für jede auch nur entfernt denkbare Art, Haschisch zu rauchen, sind sowieso obligatorisch.

Das Autorenduo bietet also beste Unterhaltung und obendrein für die Interessierten ein Konzentrat dessen, was sie sich ansonsten aus diversen Schmökern im örtlichen Headshop an Kenntnissen in Pharmakologie, Kräuterkunde, Gartenbau und Küchenrezepten zusammenklauben müssten. Ein gelungenes Buch, jedenfalls fast. Denn das am Schluss präsentierte »Toxikologische Manifest« ist ernst gemeint und damit leider missraten. Darin wird zu Recht das »Ende der großen Epoche der romantischen Drogensucht« postuliert (mit deren Episoden Niermann und Sack den Großteil des Buches bestritten haben); zu Recht verwerfen die Autoren nochmals die Vorstellungen quasi-religiöser Transzendenz, die an Drogen wie LSD einst hafteten, und stellen eben­so zu Recht fest, dass eine Integration illegaler Drogen in die Lebensroutine vieler längst stattgefunden hat, dass Drogen Teil banaler Alltags- und Entspannungsrituale sind (das »menschliche Rauschbedürfnis« stelle »einen vierten Trieb nach Nahrung, Schlaf und Sex« vor, heißt es dort).

So richtig es aber ist, gerade in Zeiten grassierender Raucherhetze, darauf hinzuweisen, dass ein Leben ohne Rausch inhuman ist – so falsch ist es, das, was zweifelsfrei Spaß macht, auch gleich reflexhaft für harmlos zu erklären: Die heutigen Drogennutzer »ballern sich einfach gelegentlich weg, um abzuschalten oder endlich mal richtig aufzudrehen. Noch mehr als mit dem Paradies hat der Rausch für sie mit einer jüngeren zivilisatorischen Errungenschaft gemein: dem Urlaub. Ob als Extremsportabenteuer, als Entdeckungsreise oder bloßes Totschlagen von Zeit – Drogen versprechen einen wenige Stunden langen Abstecher in eine fremde, abwechslungsreiche Welt. Und alle Freunde kommen mit.«

Das aber nun ist, wenn man so will, bloß die säkularisierte Variante der Drogeneuphorie eines Allen Ginsberg, der einst den Weltfrieden mit obligatorischer LSD-Beimischung zum Leitungswasser erreichen wollte. Niermann/Sack wären hingegen schon zufrieden, wenn es nur aus den Hähnen der All-Inclusive-Ferienanlage flösse – beide Vorstellungen verschließen jedoch in schöner Eintracht die Augen vor den Nachtseiten des Rausches – die nachzuweisen wiederum der nächsten puritanischen Kampagne umso leichter fällt, die dann wieder den Rausch als solchen und alle ihn unterstützenden Substanzen zum Teufelswerk erklärt. Hedonismus und Puritanismus befinden sich solcherart in einem redundanten Zirkel.

Denn der Drogenrausch ist beides, eine Lebensnotwendigkeit und trotzdem keineswegs ungefährlich – und das nicht nur in physischer Hinsicht. Er zielt auf Enthemmung, auf halluzinatives Verlassen der Körpergrenzen, auch auf Rückkehr ins Nichts (Freuds »ozeanisches Gefühl«), reine Selbstbezüglichkeit, Risiko ohne Angstempfinden, eingebildete Omnipotenz, Ignoranz gesetzter Schranken. So befreiend und nötig solche Episoden sein mögen, so nah haben sie als Sucht auch am seelischen Grauen gebaut. Wie denn aber die subjektiven und gesellschaftlichen Bedingungen beschaffen sein müssten, um einen mündigen Umgang mit gefährlichen Dingen zu ermöglichen, diese Frage stellt sich das Autorenduo nicht.

Ingo Niermann/Adriano Sack: Breites Wissen. Die seltsame Welt der Drogen und ihrer Nutzer. Eichborn, Frankfurt 2007, 180 S., 14,90 Euro