Die Position der Republik

Die Hausdurchsuchungen der vorigen Woche wurden äußerst dürftig begründet. Etwa damit, dass das Ansehen Deutschlands gefährdet sei. von carsten schnober

Terrorangst in Berlin« glaubte die Boulevardzeitung B.Z. in der vorigen Woche zu erkennen. Fast 1 000 Polizisten waren ausgerückt, um der Gefahr Herr zu werden. In Hamburg, Berlin, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg führten sie Durchsuchungen in mehr als 40 Wohnungen, Büros, Archiven, Buchläden, bei einem Internetanbieter und in linken Kulturzentren wie dem Mehringhof und dem Bethanien in Berlin und der Roten Flora in Hamburg durch.

Die Ermittlungen richten sich gegen die »Militante Gruppe (MG)«, die sich nach Angaben der Bundesanwaltschaft seit dem Jahr 2001 zu 25 Anschlägen in und um Berlin bekannt hat. Des Weiteren genügen der Bundesanwaltschaft zwölf Aktionen verschiedener, teils namenloser Gruppen zur Annahme einer übergreifenden Terrororganisation mit der Bezeichnung »Militante Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel G 8 2007 in Heiligendamm«, die den G 8-Gipfel gefährden wolle.

Die meisten der angeblich in der »Militanten Kampagne« organisierten Einzelgruppen haben nur jeweils eine Straftat begangen; die Ermittler vermuten aber personelle Überschneidungen und fassen die Gruppen ganz einfach zu einer Vereinigung zusammen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt insgesamt gegen 21 namentlich bekannte und weitere unbekannte Personen. Dreien wirft sie die Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« vor, den anderen 18 Mitgliedschaft in der »Militanten Kampagne«.

Dass die Öffentlichkeit die fast 40 Anschläge kaum zur Kenntnis genommen hat, erklärt sich, wenn man die Aktionen betrachtet: Gäbe es den Paragrafen 129a nicht, könnte die Staatsanwaltschaft nur wegen Sachbeschädigung und Brandstiftung ermitteln. Mehrere geparkte Autos brannten ab, bei Wohnhäusern, öffent­lichen Einrichtungen und Firmengebäuden wurden Fensterscheiben eingeworfen. Durch die Konstruktion der »Militanten Kampagne« werden sogar Farbbeutelwürfe auf Häuserfassaden zu terroristischen Akten aufgebauscht.

Verhaftet wurde bei der seit Jahren größten Polizeiaktion gegen die linke Szene allerdings keiner der Verdächtigen – nicht etwa, weil sie sich in den Untergrund zurückgezogen hätten, sondern weil schlicht kein Haftbefehl vorliegt. Woran das liegt, erklärt Sven Lindemann, ein Anwalt eines Beschuldigten, der zugleich selbst der Gründung einer terroristischen Vereinigung verdächtigt wird. Der Verdacht gegen ihn begründet sich mit seiner angeblichen Teilnahme an zwei öffentlichen Treffen in den Jahren 2005 und 2006, auf denen Aktionen gegen den G 8-Gipfel geplant wurden. Außerdem wird ihm vorgeworfen, er habe so genannte konspirative Treffen mit Terrorverdächtigen abgehalten. Die angebliche Konspiration bestand etwa darin, dass bei telefonischen Verabredungen der Grund des Treffens nicht genannt wurde; wenig Material für einen Haftbefehl, zumal einige der Informationen aus möglicherweise illegal beschafften E-Mails stammten, wie die Jungle World erfuhr.

Andere Durchsuchungen werden mit dem seit 2004 im Handel erhältlichen Buch »Autonome in Bewegung« begründet, das die Entwicklung der Szene über einen Zeitraum von 23 Jahren dokumentiert. Die Ermittler werten es in einem Durchsuchungsbeschluss als »Selbstbezichtigungsschreiben« und werfen sechs mutmaßlichen Autoren vor, bereits im Jahr 1988 beim IWF-Treffen in Berlin Molotowcocktails und Brandsätze gezündet zu haben. Deshalb stehen auch diese Autoren unter dem Verdacht, zur »Militanten Kampagne« zu gehören, obwohl in den Durchsuchungsbeschlüssen eingeräumt sind, dass die Beschuldigten wegen ihres teilweise »vorgerückten Lebensalters« die Anschläge »zur Umsetzung der Kampagne« nicht verüben würden. Es entspreche aber der Konzeption der Gruppe, »jüngere Personen aus der militanten linken Szene zum Zwecke der operativen Durchführung der Anschläge zu re­kru­tieren«. Spiegel online berichtet, der Älteste der Verdächtigen sei bereits 68 Jahre alt.

Ein Geheimnis der Ermittler bleibt es wohl auch, weshalb öffentliche Szenetreffpunkte und Läden sehr gründlich und unspezifisch durchsucht wurden, während die Wohnungen einiger Beschuldigter unberührt blieben. Die Bundesanwaltschaft legitimiert dieses willkürliche Sammeln von Daten: Die Aktion habe unter anderem das Ziel gehabt, »Beweismaterial über die personelle und organisatorische Struktur der Vereinigungen« aufzufinden.

Dass es bei der Aktion ums Sammeln von Informationen über die gesamte Szene ging, verdeutlicht die Durchsuchung beim Internetanbieter SO36.net. Der Durchsuchungsbeschluss wies ausdrücklich Personen- und Adressenverzeichnisse als zu beschlagnahmende Beweismittel aus. Betroffen waren neben zehn privaten E-Mail-Postfächern auch zwei Mailinglisten, womit alle Besitzer darin eingetragener E-Mail-Adressen unter Terrorverdacht gestellt werden.

Die Begründungen der Durchsuchungsbeschlüsse offenbaren auch eine neue Interpretation der Strafprozessordnung. Sie stellen bei der Beurteilung von Straftaten die Staatsräson in den Vordergrund: »Diese Straftaten sind dazu bestimmt, die in der Bundesrepublik bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu erschüttern, und können insbesondere die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich schädigen.«

Der Anwalt Christoph Kliesing geht davon aus, dass die 129a-Verfahren nur eingeleitet wurden, um die Überwachungsmöglichkeiten der Strafprozessordnung ausschöpfen zu können. Er zweifelt wegen der dürftigen Beweislage daran, dass es überhaupt zu Anklagen gegen die Beschuldigten kommt.

Obwohl die Begründungen der Durchsuchungsbeschlüsse und die ausbleibenden Haftbefehle zeigen, dass die Bundesanwaltschaft wenig in der Hand hat, das ihre Vorwürfe untermauert, ist die Liste der Verdächtigen offenbar nicht zufällig zusammengestellt. Vielmehr finden sich darauf bekannte Aktivisten wieder, deren Handlungsfähigkeit während des G8-Gipfels offenbar eingeschränkt werden sollte.

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) forderte bereits vor den Razzien eine Erweiterung des Paragrafen 129 und drohte kurz danach, potenzielle Störer 14 Tage in Unterbindungsgewahrsam nehmen zu lassen, was die Polizeigesetze einiger Bundesländer ermöglichen. Damit bestätigte er den Verdacht, dass es sich bei der Großrazzia um eine politisch motivierte Aktion der Justiz unter Anleitung der als rechte Hardlinerin bekannten Generalbundesanwältin Monika Harms gehandelt hat.

Während den Betroffenen durch die Beschlagnahmungen von Computern die politische Arbeit erschwert wird, wird dafür gesorgt, dass die »Terror­angst« nicht nachlässt. Die Vermengung von friedlichem Protest, Sachbeschädigungen oder Blockaden und dem Begriff des Terrorismus führt eine Situation herbei, die Abweichungen von rechtsstaatlichen Prinzipien beim Polizeieinsatz gegen Demonstranten legitimieren soll. Schäuble erwähnte in dem Zusammenhang sogar die islamistischen Anschläge vom 11. März 2005 in London, die während des G 8-Gipfels in Schottland begangen wurden.

Mit dieser Stimmungsmache lässt sich vieles rechtfertigen. Kurz nach den Razzien wurden die für den 7. Juni geplanten G 8-Demonstrationen verboten. Das Land Mecklenburg-Vorpommern gab die Einrichtung von Massengefängnissen für militante Gegner des Gipfels bekannt, »Vorbeugehaft wird diskutiert«, und Schäubles Traum von Bundeswehreinsätzen im Inland erfüllen während des G8-Gipfels 1 100 Soldaten. Ganz ohne Grundgesetzänderung.