Eilig heiligen

Der Papst in Brasilien von jörn schulz

Ist es denn ein Wunder? Diese Frage wird in der katholischen Kirche auf dem Amtsweg geklärt. Ärzte und Theologen prüfen, ob der Vorgang, meist eine Heilung, nicht auch anders erklärt werden kann. Wenn sie zu dem Schluss kommen, dass das nicht der Fall ist, berät eine Kongregation von Geist­lichen, das letzte Wort hat dann der Papst.

Die Prozedur dient vor allem der Heiligsprechung. Nur ein echtes Wunder macht aus einem besonders eifrigen Frömm­ler einen Heiligen, es gilt als Beweis dafür, dass Gott dessen Fürbitte erhört. Die Zahl dieser erfolgreichen Fürsprecher hat sich auf wundersame Weise erhöht, Papst Johannes Paul II. ernannte 482 Heilige, mehr als alle seine Vorgänger zusammen, und sein Nachfolger Benedikt XVI. legt ebenfalls ein beachtliches Tempo bei der Heiligsprechung vor.

Der Grund könnte der Bedarf an nicht europäischen Heiligen sein. Es fügt sich trefflich, dass zwei rechtzeitig beglaubigte Wunderheilungen es dem Papst in der vergangenen Woche ermöglichten, Antonio de Sant’An­na Galvao heilig zu sprechen. Nun haben die brasilianischen Katholiken ihren ersten im Land geborenen Heiligen, das kann im Konkurrenzkampf mit den Evangelikalen, denen mittlerweile etwa 15 Prozent der Bevölkerung folgen, nicht schaden.

Der Besuch des Papstes war jedoch nicht nur eine gekonnte Präsentation jener magischen Rituale, die der katholischen Kirche ihr zauberhaftes Flair verleihen. Benedikt XVI. übernahm in Brasilien persönlich die Führung der von ihm initiierten globalen Offensive zur Verbrei­tung der reaktionären Kirchendoktrin. Im Zentrum steht die Gesellschaftspolitik, die Themen variieren. In Italien ist es die Homo-Ehe, in Lateinamerika die Abtreibung. »Ein unschuldiges Kind zu töten, lässt sich nicht mit dem Erhalt der Kommunion vereinbaren«, rechtfertigte Benedikt XVI. die Exkommunikation von Politikern, die in Mexiko-Stadt einer Fristenlösung zugestimmt hatten.

Der Papst stellte noch einmal klar, dass die Befreiungstheologie eine Abweichung von der Doktrin darstellt und die Geistlichen sich von den linken sozialen Bewegungen fernhalten sollen. Während die Kirche politisch aktiv wird und nun auch ihre Anhänger indoktriniert, um ihr reaktionäres Gesellschaftsbild durch­zusetzen, soll sie sich zwar als globalisierungskritisch präsentieren, die soziale Ungleichheit jedoch nicht bekämpfen.

Benedikt XVI. wiederholte in Brasilien die Forde­rungen der katholischen Sexuallehre und wetterte gegen die Abtreibung, seine Aussagen zu sozialen Fragen dagegen erschöpften sich in Mahnungen ohne konkrete Handlungsanweisungen. Auch der Papst dürfte wissen, dass Keusch­heit in Brasilien selten ist, 96 Prozent der unter 30jährigen befürworten einer Umfrage zufolge den Gebrauch von Kondomen. Auf eben diesem Widerspruch beruht jedoch die Macht der Kirche, die für sich in Anspruch nimmt, Sünden vergeben zu können.

Nicht verzeihen will er Politikern, die die Abtreibungsgesetze liberalisieren oder die Homo-Ehe legalisieren. Unter Benedikt XVI. erneuert die Kirche ihren Anspruch, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. Zu einer katholischen Sharia wird das nicht führen, mit ähnlicher Anmaßung wie viele seiner muslimischen Kollegen behauptet der Papst jedoch, einen göttlichen Willen zu repräsentieren, der über dem Gesetz steht und dem die Gläubigen folgen müssen.