Mann, Frau und basta!

Hunderttausende Italiener demonstrierten in Rom für »mehr Familie«. Ihnen ging es nicht um familienpolitische Forderungen, sondern um Religion, Natur und Tradition. von catrin dingler, rom

Più Famiglia!« In Italien hätte man versucht sein können, die Forderung nach ausgerechnet »mehr Familie« für einen Scherz zu halten. Doch die Massen, die am Samstag dem Aufruf zum »Family Day« gefolgt sind, meinten es ernst. Beim Anblick der unzähligen Plakate mit albernen Variationen von Kleinfamilien verging einem das Lachen. Mehr als 450 dem katholischen Spektrum zuzurechnende Vereinigungen hatten unzählige Busse und Sonderzüge reserviert, um nach Rom zu kommen. Eine halbe Million vom Familiengeist besessene Brüder und Schwestern priesen vor der Basilika San Giovanni die heilige Familie, feierten mit Ovationen die Grußworte christdemokratischer Politiker und sangen dazu populäre Liebesschnulzen, die über Lautsprecher den weiten Platz beschallten.

Bereits im Februar, als die Regierung einen Gesetzesentwurf zu den »Rechten und Pflichten von Personen, die dauerhaft zusammenleben«, vorlegte (Jungle World, 12/07), kündigten Vertreter der katholischen Familienverbände für den Mai, den der Madonna geweihten Monat, ihren Protest an. Jeder Versuch einer rechtlichen Gleichstellung von nicht verheirateten hetero- und homosexuellen Paaren mit der Institution der Familie bedeute den Bruch mit einer 2 000jährigen kulturellen Tradition und müsse entschieden bekämpft werden. Doch rasch wurde klar, dass es den Organisatoren nicht allein um die umstrittene Gesetzesvorlage ging. Im Vergleich zu den homophoben Hetzpredigten der italienischen Bischöfe schlug der Aufruf zum »Family Day« sogar moderate Töne an. Immerhin wird den vom traditionellen Modell abweichenden »Erfahrungen des Zusammenlebens« eine privatrechtliche Anerkennung zugestanden. Strikt abgelehnt wird dagegen, mit Verweis auf die Verfassung, jede öffentliche Institutionalisierung andersartiger Familienmodelle.

Die katholische Kirche fürchtet um ihren Einfluss, um die kulturelle Hegemonie. Die Zahl der Heiraten geht seit Jahren kontinuierlich zurück, und mehr als 30 Prozent der Heiratswilligen belassen es bei der standesamtlichen Registrierung. Artikel 29 der italienischen Verfassung definiert die Familie als eine »auf der Ehe begründete natürliche Gemeinschaft«. Für Italiens Katholiken besteht kein Zweifel, dass damit die Ehe als »stabile Vereinigung von Mann und Frau« definiert ist. Schließlich könne nur sie die »geordnete, natürliche Zeugung« garantieren und Kindern eine »zivile, moralische und religiöse Erziehung« zukommen lassen. Dass dieses heile Bild in Kontrast steht zu der zunehmenden Gewalt innerhalb der Familien, wurde auf dem »Family Day« nicht thematisiert, während doch gleichzeitig die spektakulärsten Vorfälle nahezu täglich die Schlagzeilen bestimmen.

Die einzig konkrete familienpolitische Forderung, die erhoben wurde, galt der Einführung einer abgestuften Besteuerung des Wohn­eigentums für Familien mit mehreren Kindern. Ansonsten blieb die reale Situation der Familien außen vor. Es gibt in Italien kein Kindergeld und nur wenige öffentliche Einrichtungen zur Kinderbetreuung. Kinder zu bekommen, heißt in den meisten Fällen, tatsächlich »mehr Familie« haben zu müssen. Über 50 Prozent der Kinder werden von ihren Großeltern versorgt.

Wie der Untertitel des Demonstrationsaufrufs bezeugte, geht es in der familienpolitischen Auseinandersetzung vor allem um bevölkerungs­politische Konzepte: »Was gut ist für die Familie, ist gut für das Land.« Unverhohlen mischten sich nationalistische, xenophobe Stereotype in den Diskurs. Nicht zufällig unterstützten auch diejenigen rechten Parteien den »Family Day«, die sonst lieber keltische als römisch-katholische Rituale pflegen. Es gehe um die »Krise des Westens«, um seinen »demographischen Untergang«.

Tatsächlich kommen in Italien immer weniger Kinder zur Welt, die Quote liegt inzwischen bei 1,3 Kindern pro Frau. Dass der leichte Anstieg, der in den letzten Jahren zu verzeichnen ist, der höheren Geburtenrate unter den Migrantinnen zu verdanken ist, versetzt nicht nur die rechtskonservativen Verteidiger des christlichen Abendlandes in Schrecken. Die nostalgische Verklärung der italienischen Kleinfamilie gehört auch zum Credo der neuen demokratischen Mitte.

Gleichzeitig mit dem christlichen Familientreffen luden kirchenkritische Parteien und Gruppierungen auf die Piazza Navona zu einer Gegenkundgebung ein. Der »laizistische Mut«, der dort demonstriert werden wollte, reichte jedoch nicht zur ernsthaften Kritik der katholischen Offensive. Mit geradezu biblischer Geduld wurden lediglich die Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung aller Familienmodelle wiederholt.

Am 12. Mai 1974 war auf derselben Piazza der Sieg des Volksentscheids zum Scheidungsrecht gefeiert worden. Die Veranstalter wollten ausdrücklich an dieses historische Datum erinnern. Die zivilrechtliche Anerkennung hetero-und homosexueller Paare sei die »natürliche Vollendung« jener »intimen Revolution«, die mit der Verabschiedung des Scheidungsrechts ihren Anfang nahm. Unter einem kleinen Zeltdach sollten Fotos und Propagandamaterial die Kampagnen um zivile Rechte und den daraus resultierenden Wandel der italienischen Gesellschaft dokumentieren.

Tatsächlich aber zeigte die winzige Ausstellung nur, wie sehr sich die gesellschaftliche Atmosphäre seit damals verändert hat. In den siebziger Jahren folgte dem Referendum zum Scheidungsrecht das Referendum zum Schwangerschaftsabbruch. Heute steht das damals erstrittene Recht unter ständiger Kritik. Ein Referendum, das darauf zielte, das Recht zur künstlichen Befruchtung nicht am traditionellen Familienmodell zu orientieren, scheiterte im Frühjahr 2005 kläglich. Auf einer die Demons­tration begleitenden Konferenz wurde zwar der »Mythos der natürlichen Familie« entlarvt und die »Transformation« der italienischen Familie in all ihren Facetten vorgeführt, jedoch blieb unerwähnt, dass zu Beginn der zivilrechtlichen Bewegungen das traditionelle Familienmodell noch grundsätzlich in Frage gestellt worden war.

Heute aber wünschen sich diejenigen, die einst ihre Freiheit durch die familiären Strukturen unterdrückt sahen und die Institution der Familie kritisierten und ablehnten, offenbar nichts mehr, als selbst eine Familie zu gründen. Und Sexualität scheint nur noch im Zusammenhang mit der Fortpflanzung thematisiert werden zu können. Als auf dem die Kundgebung abschließenden Konzert der aktuelle Schlagerliebling Simone Cristicchi die Freiheit der »Verrückten« besang, wurde deutlich, dass sich der »laizistische Mut« mittlerweile auf eine kleine Reminiszenz an rebellischere Tage, auf ein bisschen melodiösen Nonkonformismus reduziert.