Staatsschauspiel, neu aufgeführt

Das Spektakel des Terrorismus Von carlos kunze

Glaubt man den einschlägigen Behörden, wird Deutschland derzeit von einer Terroristenschwemme heimgesucht. Auch eine organisierte Terrorstruktur existiert bereits – Vereinigungen, »deren Ziel es insbesondere ist, mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen den bevorstehenden Wirtschaftsgipfel (…) erheblich zu stören oder zu verhindern«. Das sagt die Bundesanwaltschaft (BAW) und ließ deshalb einen Teil der linken Infrastruktur durchsuchen: Buchläden, soziale Zentren, aber auch Privatwohnungen.

Diese Vereinigungen bestehen aus Menschen, die bereits seit langem im Geschäft des Terrorismus bewandert sind. Je älter sie sind, desto gefährlicher sind sie auch. Wie beispielsweise Fritz S. aus Hamburg, der mitt­lerweile 68 Jahre alt ist, was ihn ausreichend dafür qualifiziert, als Terrorverdächtiger zu dienen. Weitere Verdächtige sind Autoren eines Buches, die vor knapp 20 Jahren, als in Berlin der Internationale Währungsfonds tagte, irgendwas mit irgendwelchen Molotow-Cocktails zu haben gehabt sollen.

Diverse Mittel, mit denen der Terror vorbereitet wird, sind aufgefunden worden. »Bei der Groß-Razzia bei militanten G 8-Gegnern hat die Polizei«, so meldet der Focus Vollzug, »in Berlin am Mittwoch Zubehör für Brandsätze mit Zeitzündern wie ›Wecker, Drähte, Uhren und größere China-Böller‹ sichergestellt.« Konrad Freiberg, der Chef der Gewerkschaft der Polizei, befürchtet das Schlimmste. »Wir werden es noch erleben, dass Linksextremisten Brandanschläge verüben und sich dabei auf die RAF beziehen«, orakelt er.

Das ist richtig gefährlich, denn: »Auch die RAF startete ihren Terror mit einem Brandanschlag auf ein Berliner Kaufhaus«, warnt Focus-online-Redakteur Fabian Löhe. Das ist zwar schon ein wenig her, gut 40 Jahre, und es war auch nicht die RAF, die damals noch gar nicht existierte, es war auch nicht ein Kaufhaus, sondern es waren zwei, und es war auch nicht in Berlin, sondern in Frankfurt. Aber man sollte nicht kleinlich werden und die Wahrheit erwarten, wenn das Schicksal des deutschen Staats und insbesondere seine »internationale Position als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen« (BAW) auf dem Spiel steht.

So funktioniert es mittlerweile, das deutsche Spektakel des Terrorismus. Es funktioniert über die Herstellung eines Bildes, das sich vollständig von der (geschichtlichen wie gegenwärtigen) Realität abgelöst hat. Es funktioniert über die Amalgamierung von allem und jedem. Dass die Gruppen und Grüppchen wie RAF, RZ, Bewegung 2. Juni, die für den »bewaffneten Kampf« (so die Gruppen) bzw. »Terrorismus« (so der Staat) zuständig waren, seit Jahrzehnten nicht mehr existieren, dass die Taten der überaus terrorverdächtigen »Militanten Gruppe« dem entsprechen, womit sich die Jugend in den französischen Banlieues die Zeit vertreibt: dem Abfackeln von Autos, ist dem Spektakel egal.

Dass es im Interesse des Staats liegt, das Schauspiel des Terrorismus aufzuführen, liegt auf der Hand. Er erneuert damit seine innerstaatliche Feinderklärung. Vor allem aber geht es ihm darum, Konflikte als Replay eines Kampfes zu inszenieren, den er schon einmal gewonnen hat. Dass die Anti-G 8-Bewegung komplett darauf verzichtet, Warenproduktion und Staat zu kritisieren, ist ein erster Erfolg für ihn; als radikale, gesellschaftsverändernde Kraft existiert sie damit nicht, sondern nur als Rekrutierungsmaterial für die Linkspartei. Sollte der linksradikale Teil der Anti-G8-Bewegung – wie es sich mit der Parole »Wir sind alle 129a« andeutet – darauf verfallen, sich reflexhaft mit dem Terrorismus, dem halluzinierten Feind des Staats, zu identifizieren, wäre das ein weiterer Erfolg für ihn.