Voll auf die Acht

Die radikale Linke erhofft sich nach den Razzien einen Schub für ihre Mobilisierung zum G 8-Gipfel. von gaston kirsche

Das Transparent »Repression zurückschlagen« an der wenige Stunden zuvor noch von der Polizei umstellten Roten Flora war gut sichtbar, eine Sprecherin rief dazu auf, »sich diesen Angriff der Staatsmacht auf die Strukturen der Gipfelgegner nicht gefallen zu lassen«. Wie in Berlin und anderswo wurde auch im Hamburger Schanzenviertel am 9. Mai heftig gegen die Großrazzia von Bundesanwaltschaft und BKA protestiert.

Anlass der Durchsuchung waren Ermittlungen wegen der »Häufung« von Brandanschlägen in den vergangenen Jahren in Hamburg. In einem Bekennerschreiben zum Anschlag auf den Mercedes des Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie, Walter Marnette, am 28. Juli 2005, wurde zu einer »breiten, auch militanten Kampagne gegen den G 8-Gipfel« aufgerufen. In den Bekennerschreiben zu zwölf weiteren Farbbeutelwürfen und Autoanzündungen wurde seitdem von anderen Gruppen auf diese »militante Kampagne« positiv Bezug genommen, zuletzt im Dezember: »Wenn sich in sechs Monaten der Tross der politischen Klasse aus den G 8-Staaten im mondänen Ostseebad Heiligendamm ein Stelldichein gibt, um dort sein jährliches Sommerspektakel imperialistischer Weltherrschaft zu inszenieren, wird auch Staatssekretär Mirow mit von der Partie sein«, tönte eine »AG Kolonialismus und Krieg in der militanten Anti-G 8-Kampagne«. Unbekannte hatten vor dem Wohnhaus den Mini Cooper der Ehefrau des Finanzstaatssekretärs Thomas Mirow (SPD) angezündet, während die Familie im Skiurlaub weilte. Dass solche kraftmeiernden Aktionen und großmäuligen Erklärungen auf den gesamten radikalen Flügel der Anti-G 8-Bewegung ausstrahlen und Reaktionen der Gegenseite heraufbeschwören würden, war kalkuliert oder wurde zumindest in Kauf genommen. Bereits im Dezember zog Generalbundesanwältin Monika Harms das Verfahren nach Paragraf 129a – Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – an sich.

Nach den Razzien nun war jenseits der geäußerten Empörung die Erleichterung in der Szene groß, dass niemand verhaftet wurde. Dabei ist die Ermittlungstätigkeit längerfristig angelegt, und die BAW wird mit dem beschlagnahmten Material sicher einiges vorhaben. Woher kommt also der Zweckoptimismus in der autonomen Szene? Auf der Berliner Spon­tan­demonstration war eine beliebte Parole: »BKA, macht euch nichts vor, die Razzia war ein Eigentor«. G 8-Gegner jubelten: »Die beabsichtigte Einschüchterung der linken Szene und des gesamten G 8-Protestspektrums ist misslungen. Die Repressionswelle hat einen ungeheuren Mobilisierungsschub bewirkt. Danke, Frau Harms, das war ein Eigentor!« Ein Sprecher der Hamburger Roten Flora wertete die Durchsuchung als erfolglos: »Sie werden bei uns nichts finden, sie haben heute morgen nur unnütz die Mäuse geweckt.«

Eine Berliner Anti-G 8-Gruppe sah sich am Wochenende schon kurz vor dem Sieg: »Die Ankündigung der Bundesregierung, den G 8-Gipfel in Heiligendamm im Juni diesen Jahres nur noch an 1,5 Tagen stattfinden zu lassen, zeigt, dass die geplanten Proteste bereits erste Erfolge verbuchen können.« Die Razzia wird dabei nicht als Beeinträchtigung der Kampagne gesehen: »Da müssen wir uns ja schon fast beim BKA bedanken«, hieß es. Und: Es müsse »endlich Schluss sein mit diesem illegitimen Kaffeekränzchen, bei dem die reichsten Staaten der Welt unter sich auskungeln, wie sie weiter die Profite ihrer Wirtschaft sichern können und sich nebenbei einen humanitären Anschein geben«.

Bei so viel Jubel drohen nicht nur die Aufrufe zum Protest in Heiligendamm zur sinnentleerten Farce zu werden, sondern auch die Kritik der Repression wird unglaubwürdig. Die ganze Aufregung nur, weil man ein »Kaffeekränzchen« stören möchte? Inhalte spielen sowieso kaum mehr eine Rolle, aber man weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, wenn man die Sprechblasen von »gerechter Globalisierung« und »undemokratischer Weltregierung« hört, die durch die Erklärungen zu den Razzien geistern.

Viele dieser Erklärungen, die jetzt als einmütige Solidarität mit den von der Razzia Betroffenen abgefeiert werden, sind zudem alles andere als Ausdruck eines Zusammenrückens. Sie transportieren genau das, worum es dem Staat wohl gegangen ist: die Spaltung des reformistischen Teils vom radikalen Teil der Bewegung. So hebt Claudia Roth, Vorsitzende der Grünen, darauf ab, dass die Razzia undifferenziert gewesen sei: »Die breit angelegten Durchsuchungsaktionen von Wohnungen und Büros von G 8-Gegnern und Globalisierungskritikern sind offenbar unverhältnismäßig, willkürlich und undifferenziert. Es darf keine Kriminalisierung und keine gezielte Einschüchterung von G 8-Gegnern geben, die ihren Protest gewaltfrei organisieren wollen.« Ähnlich bei einer Organisation der Friedensbewegung, Pax Christi: »Die Bundesanwaltschaft verfolgt mit Recht rund 40 Anschläge zwischen 2005 und 2007. Aber wir fragen nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel und haben Sorge, dass hier mit der Keule des Terrorismusvorwurfs die gesamte Protestbewegung getroffen werden soll.«

Auch die Jusos sind etwas kritisch, aber nicht zu sehr: »Diese Durchsuchungen stehen allzu offensichtlich im Zusammenhang mit den Protesten für eine gerechte Globalisierung anlässlich des G 8-Gipfels. Proteste gegen das Vorantreiben einer marktradikalen Globalisierung sind nötig, nicht kriminell. Eine Kriminalisierung der Proteste darf es nicht geben.« Und für Attac erklärte Peter Wahl: »Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und weiterhin mit aller Kraft zu unseren friedlichen Protesten gegen den G 8-Gipfel mobilisieren.«

Alle diese Verlautbarungen gelten als Solidaritätserklärungen – dass sie vor allem offene Distanzierungen beinhalten, scheint für die radikalen Linken, die sich am Protest gegen den G 8-Gipfel beteiligen, unerheblich zu sein. Das Beste, was sich über die Erklärungen von Claudia Roth, Pax Christi, der Jusos und Attac sagen lässt, ist, dass sie sich an die erfolgreichen linksradikalen Aufrufe zum Protest gegen die Mai-Razzia drangehängt haben, um ihren braven, nicht nur nicht militanten, sondern auch in keiner Weise radikalen Protest zu promoten.

Dass sie solidarisch sind, wenn den Betroffenen des 129a-Verfahrens – wider Erwarten – tatsächlich eines Tages der Prozess gemacht werden sollte, darf bezweifelt werden. Dann ginge die Repression nämlich erst richtig los.