Zwei Singles sind kein Paar

Julie Delpys erste Regiearbeit »Zwei Tage in Paris« ist ein zauberhafter Film, in dem sogar die Hauskatze als Komödiantin überzeugt. von jürgen kiontke

Vielleicht kann man Julie Delpys Film »Zwei Tage in Paris« am besten so zu­sammenfassen: Es ist die Geschich­te eines Paares, das maßgeblich aus zwei Singles besteht. Man könnte auch sagen, die beiden sind zu unterschiedlich, sie passen nicht zueinander, und das merken sie erst, nachdem sie schon Jahre miteinander verbracht haben.

Wir wissen nicht, wie die von Julie Delpy gespielte französische Fotografin Marion und der New Yorker Jack (Adam Goldberg) zusammengekommen sind, erfahren nur, dass das globalisierte Paar in New York eine gemein­same Wohnung hat, und schauen ihnen erst mal auf Reisen zu.

Gerade kommen die Europa-Reisenden aus Venedig, und da gab’s eher Graubrot statt Stadt der Verliebten. In Paris dagegen, der Stadt der Liebe, ihrer nächsten Station und zugleich Marions Heimatstadt, soll es nicht unbedingt besser werden. Eigentlich sind die beiden nach Paris gekommen, um die Katze abzuholen, die Marion bei ihren Eltern in Pflege gegeben hat.

Dass Marion dann an jeder Ecke einen Ex-Lover trifft, wirkt nicht gerade beruhigend auf Jack. Für ihn ist klar: Früher ging es Ma­rion hier richtig gut. Prinzessin, Party-Königin, laut, versext und besoffen. Auseinandersetzungen folgen. Man merkt, dass die beiden sehr witzig sein können. Wären sie 75, würde das reichen. Aber in dem Alter, in dem sie sind, Ende 20 oder vielleicht Mitte 30, braucht es wohl noch andere Dinge.

Was Delpy hier abfilmt, ist der Typus der Feel-Bad-Komödie. Mit der Übernahme der Regie folgt sie dem Trend der diesjährigen Berlinale, wo sie für ihr Filmchen kurz bejubelt wurde – Schauspieler versuchen sich im Multi-Tasking. Von Delpy stam­men neben Spontaneität und Talent als Darstel­lerin in »Zwei Tage in Paris« denn auch noch Musik, Heimatstadt, Drehbuch, Verwand­te und Freunde.

Natürlich muss man sich an die beiden Filme »Before Sunrise« (USA 1995) und »Before Sunset« (2004) unter der Regie Richard Linklaters erinnert fühlen, in denen Delpy an der Seite von Ethan Hawke schlagfertig herumquirlte – gleichsam mit depressiver Note. Auch in »Zwei Tage in Paris« spielt sich Del­py in den Flow, ein Skript scheint nicht besonders nötig: Die Akteure wirken, als seien sie in einem Kin­derspiel unterwegs, vertieft und überzeugend, wie sie sind – Delpys Protagonisten schlagen sich hervorragend. Wir lachen viel, aber auch Tränen, denn eigentlich geht’s um verdammt traurige Sachen.

Die leicht niederdrückende Komik resultiert aus dem Umstand, dass sich das Paar auf dem falschen Terrain be­findet, auf Marions Terrain nämlich. Denn sie hat in dieser Stadt eine Vergangenheit – und für Jacks Geschmack erheblich zu viel davon.

Wenn bei ihm Schluss war, dann war auch Schluss. Kein Kontakt mehr zur Verflossenen, keine gemeinsamen Berührungspunkte. Marion wirkt dagegen, als habe sie noch mit jedem Liebhaber Gemeinsamkeiten, feste Beziehungen noch nicht eingerechnet. »Wir haben nur ’rumgemacht«, gibt sie mehrmals bekannt, aber es klingt nicht wie eine abgeschlossene Tat­sache. Ganz Paris scheint was mit Marion am Laufen zu haben. Fotos ihrer Verflossenen, die sie nackt mit Luftballons am Dingsbums fotografiert hat, machen Jack nicht weniger misstrauisch.

Dass seine Kenntnisse des einheimi­schen Idioms eher rudimentär sind, ist ebenfalls nicht gerade hilfreich. Ei­ne Erfolgsgeschichte à la Gene Kellys »Ein Amerikaner in Paris« oder gar in der Art von Henry Millers Abenteuern möchte man dem bärtigen und verschlossenen Jungen nur wünschen. Statt nach dem Beziehungsbruch befreit aufzuatmen, hat Jack bald einen Antiglobalisierungskämpfer an den Hacken.

Bei aller Ironie in der phänomenolo­gischen Betrachtung der Zweierkiste also fehlt auch das Quentchen Tragödie nicht, die sich wie üblich als ­Farce zeigt und damit für den nötigen Schmerz im lustigen Schlagabtausch sorgt. Irgendwer verliert immer oder bleibt an der Flasche hängen. Die One-Sad-Man-Indie-Band: Der politisch bewusste junge US-Bürger, der Bush hasst und Europa liebt, findet nur ein wohliges Zuhause im Fast-Food-Res­taurant.

Dass Marion und Jack zu viele unaus­gesprochene Differenzen mit sich herumtragen, während sie wortreich an den Symp­tomen rumdoktern, macht den Esprit und die Absurdität von »Zwei Tage in Paris« aus. Diese Komödie gehört zu jenen Filmen, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass man zwei Stunden unbeschwert und beschnattert im Kino sitzt und hinterher keine Ahnung hat, was man gerade gesehen und gehört hat.

Erklärungen fallen da schwer: »Wort­witz«, »spritzige Komödie«, »Pointen-Feuerwerk« und anderes Vokabular trifft zwar ins Schwar­ze, ist aber gleichzeitig so abgedroschen, dass man sich nichts darunter vorstellen kann. Sagen wir, Delpys Regiewerk ist ein kleiner, verflatterter und zauberhafter Film, in dem sogar die Hauskatze als Komödiantin überzeugt. Hinterher will man sich die Haare blond färben.

Man schaut Leuten beim Scheitern zu. Dass der eine aus Eifersucht nicht über seinen Schatten springen kann, die andere ihre Unabhängigkeit nicht abstreift wie das zu klein geratene, lästige Kondom, das die beiden benutzen wollen, während sie in Ma­rions knarzendem Mädchenbett unterwegs sind – die Eltern hören alles –, ist hier schon das Brisanteste, was der Film zu bieten hat.

Und überhaupt: die Eltern. Der Einfachheit halber haben Delpys Eltern – Marie Pillet, Albert Delpy; ein französisches Schauspieler-Ehepaar – diesen Part gleich selbst übernommen. Sie has­sen Amerika, gefallen sich darin, Jack Ungenießbares vorzusetzen, sie sprechen kein Englisch und er kann kein Französisch. Mutter erzählt von ihrer Affäre mit Jim Morrison. Marions Vater ist Künstler und stellt gerade seine Bilder aus – ausnahmslos obszönen Inhalts, was Jack nicht fröhlicher macht. Vom Scheitern einer Beziehung wird auch niemand fröhlich.

Der Preis der Urbanisierung und Glo­balisierung scheint hier – ganz in der Tradition Woody Allens – die Neurose zu sein. Das Tempo des Films unterstreicht es: Wir sehen zwei Menschen, die sich miteinander in der Rush Hour bewegen, die hektisch werden. Anders betrachtet: Sie könnten auch froh sein, dass sie ihr Generve der ständigen Erklärungsnot und Selbst­behauptung los sind. So oder so ist das ein Film über das Auseinandergehen – boy meets girl, und dieses Meeting ist beendet.

Aber: Wenn alle Singles sind, wie geht es dann weiter? Julie Delpys Film gibt so wenig Antworten wie möglich: Jeder probiert so lange ’rum, wie er gute Kar­ten hat. Die dazugehörigen Fragen stel­len sich erst nach Filmende ein: Wozu gibt es Singles und wozu Paare? Wenn man begehrt wird, warum sollte man sich binden? Andere Menschen ertragen, Kinder machen, Haare aus der Dusche ziehen, Bartfusseln aus dem Waschbecken, zusammenleben – wozu all der überflüssige, extrem angesetzte Tinnef?

Delpy zum Thema Paris: »Liebe ist eine Haltung, keine Stadt.«

»Zwei Tage in Paris« ist, ganz touristisch, mit der Handkamera gefilmt.

»Zwei Tage in Paris«. F 2006. R: Julie Delpy. Start: 17. Mai