»Der Streik tut der Telekom weh«

Ado Wilhelm

Bei der Telekom wird weiter gestreikt. Man will 50 000 Mitarbeiter in neue Gesellschaften im Konzern auslagern. Dort sollen sie vier Stunden pro Woche länger arbeiten und auf neun Prozent ihres Einkommens verzichten. Zusammen mit den leistungsabhängigen Bezahlungen und neuen Arbeitszeitregelungen, so Fachleute von der Gewerkschaft Verdi, bedeutet das eine Einkommensminderung von 40 Prozent. Dies will Verdi nicht hinnehmen. 96,5 Prozent der zur Urabstimmung aufgerufenen Beschäftigten sprachen sich vor kurzem für den unbefristeten Ausstand auf.

Ado Wilhelm ist Streikleiter von Verdi. Mit ihm sprach Stefan Wirner.

Wie viele Mitarbeiter befinden sich derzeit im Streik?

Am heutigen Freitag sind es 7 000 Beschäftigte. Wir haben ja wegen des Feiertags einen Brückentag, da sind weniger im Dienst.

Welche Bereiche werden bestreikt?

Das sind die Bereiche, die auch von der Maß­nahme betroffen sind: der technische Kundendienst, die technische Infrastruktur und der Call-Center-Bereich.

Hat vor allem die Bevölkerung unter dem Streik zu leiden, wie immer wieder berichtet wird?

Wenn man ein Dienstleistungsunternehmen bestreikt, müssen leider teilweise auch die Kunden da­runter leiden. Wir versuchen aber, das in einem erträglichen Rahmen zu halten. Wenn man sich den Zeitraum vom 11. April, als wir den ersten Warnstreik abhielten, bis heu­te ansieht, haben wir im Durchschnitt 4 000 Menschen im Streik gehabt. Davon waren die Kunden nur in geringem Maße betroffen.

Auf der einen Seite will man die Kunden nicht belästigen, auf der anderen Seite muss der Streik dem Konzern ja irgendwie weh tun, sonst wirkt er nicht. Wie lösen Sie das Problem? Und wie lange lässt sich der Streik durchhalten?

Der Streik tut der Telekom bereits weh. Sie hat ja sowieso schon erhebliche Probleme, ih­re Aufträge abzuarbeiten, weil sie zu wenige Menschen beschäftigt. Das ist einer unserer Hauptkritikpunkte. Es wird ja weiter Personal abgebaut, im vorigen Jahr begann man damit, 32 000 Beschäftigte einzusparen. Die fehlen jetzt an allen Ecken und Enden. Vie­les, was jetzt passiert, wird dem Streik angelastet, obwohl es Probleme sind, die schon lange in dem Unternehmen vorliegen.

Wir haben die Telekom aufgefordert, über den von uns geforderten Tarifvertrag zu einem Auslagerungsschutz, einen Sozialplan-­Tarifvertrag, zu verhandeln. Wenn der Konzern das zusagt, dann könnten wir an den Verhandlungstisch zurückkehren. Aber es gibt hierfür derzeit keine Anzeichen.

Aus den meisten Parteien wird dazu aufgerufen, den Streik schnell zu beenden. Wie treten Sie dem entgegen?

Eine Umfrage der ARD zeigt, dass 78 Prozent der Deutschen Verständnis für den Streik haben, Umfragen von Forsa und Focus sagen in etwa das Gleiche. Wenn sich manche Politiker nun zu Wort melden, dann kann man ihnen nur raten, sich um die Probleme zu kümmern, die die Telekom mit einer Regulierungspolitik hat, die den Konzern einseitig belastet. Sie haben die Möglichkeit, auf Brüssel und hierzulande auf die Bundesnetz­agentur einzuwirken. Die Telekom hat Kosten, die sie nicht kostendeckend auf die Unternehmen abwälzen kann, die ihre Technik und Leitungen nutzen. Die Regulierungsbehörde lässt dies nicht zu. Die Telekom muss den anderen Unternehmen aber ihre Anlagen zur Verfügung stellen. Diese Konkurrenten haben dadurch große Vorteile. Man will, dass die Telekom Kunden verliert.

Der Vorstandsvorsitzende der Telekom, René Obermann, wirft Verdi vor, mit den Konkurrenten der Telekom andere Tarifverträge mit niedrigeren Löhnen abgeschlossen zu haben. Stimmt das?

Das ist nicht falsch, aber ob das Konkurrenten der Telekom sind, ist fraglich. Ober­mann vergleicht die Telekom mit einem Call Center auf der grünen Wiese, in dem eine völlig andere Arbeit verrichtet wird. Wir haben da tatsächlich einen anderen Tarifvertrag abgeschlossen als mit der Telekom, hier wird weniger bezahlt, aber es ist einfach nicht miteinander vergleichbar. Verdi musste in diese Sparte erstmal hineinkommen, um die Leute von ihren Mindestlöhnen wegzubringen. Das geht nicht von heute auf morgen, da muss man vielleicht erstmal auch einen Vertrag mit schlechteren Bedingungen abschließen, um später darauf aufbauen zu können. Genau das haben wir getan.

Es wird behauptet, der Streik gefährde gerade jetzt die Telekom, und immer wieder wird von einer drohenden Übernahme gesprochen.

Bei jedem Streik wird behauptet, er gefährde Arbeitsplätze und erleichtere Übernahmen. Die Gefahr einer Übernahme aber besteht immer. Darauf hat der Ausstand keine sonderlichen Auswirkungen.

Wie kam es zu dieser Krise bei der Telekom?

Zunächst muss man mal sagen, dass das Unternehmen nach wie vor horrende Gewinne macht. In der letzten Haupt­versammlung der Telekom am 3. Mai wurde eine Dividende von drei Milliarden Euro ausgeschüttet. So schlimm kann das also alles nicht sein.

Allerdings macht das Management seit Jahren gravierende Feh­ler. Wir erleben jetzt die 17. oder 18. Umorganisierung. Da kann ein Unternehmen nicht vernünftig funktionieren.

Und diese unsägliche Politik des Per­so­nalabbaus muss aufgegeben werden. Seit der Privatisierung der Postunterneh­men sind bei der Telekom über 120 000 Arbeitsplätze abgebaut worden. Wenn den Beschäftigten mit Gehaltskürzungen und längerer Arbeitszeit gedroht wird, dann motiviert das niemanden. Wer glaubt, mit drei Service-Gesellschaften, nur weil es andere Rechtsformen sind, den Service zu ver­bessern, der ist schief gewickelt. Aber von diesem Weg ist die Konzernleitung wahrscheinlich nicht abzubringen.

Was würde ein Niederlage für Verdi bedeuten, etwa, wenn man einen Kompromiss eingehen muss, der große Verschlechterungen für die Beschäftigten mit sich bringt?

Wir kämpfen ja nicht grundsätzlich gegen die Auslagerungen, sondern wir wollen einen Tarifvertrag durchsetzen, mit dem wir die Menschen bei der Ausgliederung schützen. Dabei werden wir nicht nachlassen.

Sie haben über Einschüchterungen von streikenden Mitarbeitern geklagt. Was ist da los?

Es wurden Handys eingesammelt, teilweise sogar private, um zu überprüfen, mit wem telefoniert wurde oder wer mit wem SMS ausgetauscht hat, also um nach­zuvollziehen, wie wir den Arbeitskampf organisieren. Nachweisbar ist zu­dem, dass Prämien an Mitarbeiter gezahlt werden, die an den Arbeitsplatz zurückkehren. Die Telekom bezeichnet dies als »Prämien für besondere Belastungen«. Demjenigen, der den Streik auf­gibt, will man 300 bis 500 Euro zahlen, das ist ungefähr die Hälfte dessen, was man den Menschen in einem ­Monat nehmen will. Auf solche unmoralischen Angebote fällt niemand rein. Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Be­schäf­tigter dieses Angebot akzeptiert hätte.

Wenn man sich dies anhört und auf die Entwicklung bei Siemens schaut, wo eine unternehmerfreundliche, gelbe Gewerkschaft, die AUB, aufgebaut wurde, muss man dann nicht feststellen, dass das Vorgehen gegen die Gewerkschaften immer härter und perfider wird?

Das ist ein großes Problem. Wir befürch­ten, dass durch die Telekom eine Blaupause für andere Unternehmen durchgesetzt werden soll. Man versucht etwas in einem Bereich durchzusetzen, der mit einem Organisationsgrad von 70 bis 75 Prozent sehr gut gewerkschaftlich organisiert ist. Wenn das funktioniert, soll das in weniger gut organisierten Bereichen ebenfalls gemacht werden. Deshalb steht ganz Verdi hinter diesem Streik, alle DGB-Gewerkschaften und der DGB selbst.